„Jede Zeit hat ihre Farbe“

Landwirtschaft

Wie grün wird die Moderne?

Der Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen startete mit dem Motto: „Jede Zeit hat ihre Farbe“. Am 21. November forderte die Bundesvorsitzende Annalena Baerbock, das Jahr 2021 „zum Beginn einer neuen Epoche“ zu machen. Wo einer der größten Knackpunkte der einstigen Umweltpartei lag, zeigte die Diskussion um den Abschnitt zur Gentechnik im am Sonntag verabschiedeten neuen Grundsatzprogramm. Bündnis 90/Die Grünen wurden von der Moderne eingeholt und entschieden unter Eindruck der Pandemie und des wissenschaftlichen Fortschritts.

Pandemie und CRISP/Cas9

Der Stimmungsaufheller des Jahres stammt von BioNTec. Die Mainzer Firma hat mit BNT162b2 die Meldung über einen ersten Impfstoff nach westeuropäischem Sicherheitsstandard verbreitet und ist in der Sensationszeit von nur wenigen Monaten mit der mRNA-Technik die gentechnische Variante gegangen. Grundlage ist die RNA, mit der die Erbinformation aus dem Zellkern zu den Ribosomen transportiert und die entsprechenden Proteine aufgebaut werden. Die RNA liest die Informationen vom Speichermedium DNS ab und übersetzt in den Ribosomen den Code in die Proteine. Die Messenger RNA (mRNA) bekommt die Bauanleitung für Antigene gegen SARS-CoV-2 vermittelt, die dann der Körper selbst aufbauen kann.  Dieser Humanmedizinische Bereich wird als rote Gentechnik beschrieben.

CRISPR/Cas9 ist eine der neuen Züchtungsmethoden, die natürliche Mutationen ohne Fremdgene auslösen kann und neue Sorten schneller auf den Markt bringen kann. Dieser landwirtschaftliche Bereich wird als grüne Gentechnik  beschrieben.

Auf neuen Wegen

Auf dem Weg zum neuen Grundsatzprogramm hieß es im Änderungsantrag GSP.F-01-086-5, dass sich die Partei an der Wissenschaft orientieren solle. Im Konsens hat sich folgender Abschnitt (153) durchgesetzt: „Auch wenn die Versprechen der klassischen Gentechnik bis heute nicht eingelöst sind, so sind alte und neue gentechnische Verfahren doch in der Welt. Unser Kompass zum Umgang mit ihnen ist wie mit jeder Technologie, die Folgen der jeweiligen Anwendung für Mensch und Umwelt zu beurteilen. Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum. Forschung zu neuer Gentechnik soll ebenso gestärkt werden, wie alternative Ansätze, die auf traditionelle Züchtung setzen. Auch bei neuen gentechnischen Verfahren braucht es Risikoforschung. Wir halten en einem strengen Zulassungsverfahren und an der europäischen Orientierung am Vorsorgeprinzip fest. Es darf keine Patente auf den Genpool der Natur geben. Alle Züchtungen von Pflanzen und Tieren sind unter einer Open-Source-Lizenz zu stellen, die eine Patenteirung ausschließt.“

Genom-Editierung als ein weiterer Baustein neben den klassischen Wegen der Kreuzungsmutation und Selektion mit Züchterprivileg: So haben es kürzlich erst Jon Falk von der Saaten-Union und Urs Niggli vom Institute of Sustainable Food & Farming Systems in einer Debatte des Grain Clubs formuliert [1].

Die Formulierung ist kein bedingungsloses Ja für die grüne Gentechnik – aber, wie es die Delegierte Dorothea Kaufmann aus Heidelberg formulierte, naturidentische Pflanzen mit höheren Erträgen kämen auch den Bestäubern zugute.

Den Blick auf die Chancen wenden

Im Bundestag wurde kurz zuvor am Donnerstag über BioNTec und die Genom-Editierung debattiert. Volker Wissing von der FDP und Wirtschafts- sowie Landwirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz forderte eindringlich, den Blick nicht nur auf die Risiken, sondern auch auf die Chancen zu lenken. Forschung und Wissenschaft dürfe nicht dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen werden.

Die allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgestimmte neue Grundhaltung der Grünen fand noch keinen Weg zum Rednerpult. Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen) warf der FDP vor, „Anwendungen der Gentechnik in geschlossenen Systemen im Agrarbereich und in der Medizin schmerzfrei in einen Topf“ zuwerfen. Er gesteht auch nur den Impfstoffen „umfassende Risikoprüfungen“ vor.

Argumente, dass von der Genom-Editierung  nur die großen Konzerne profitierten, und Konsumenten keine Wahlfreiheit mehr hätten, sind mit dem Grundsatzprogramm abschließend noch nicht ausgeräumt.

Lesestoff:

[1] Koexistenz der Züchtungstechnologien: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/koexistenz-von-klassischer-zuechtung-und-genom-editing.html

Roland Krieg

© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html

Zurück