Kakao: „Wir müssen politischer werden“
Landwirtschaft
Hilfe für den Kakaosektor nur mit den Erzeugerländern
„Wir brauchen dringend einen Schoko-TÜV!“ Miko Hillig von der im Schuljahr 2009/2010 gegründeten Organisation „Schokofair“ setzte am Mittwoch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) um, wozu Wolfgang Niedecken als Pate für die Schülerorganisation schon früh gefordert hat: „Ihr müsst immer wieder nachfragen, ihr müsst richtig nerven, bis den Kindern wirklich geholfen wird.“ Schokofair setzt sich im Kakaobereich gegen Kinderarbeit ein. Miko Hillig lud die Mitglieder des Forums Nachhaltiger Kakao auf ihrer Mitgliederversammlung 2019 an seinen Tisch ein, um Lösungsansätze zu finden. Denn: „Alles wird schon besser! Wir haben schon viel erreicht“, sagen die Unternehmen, heißt es auf der Broschüre von Schokofair. Aber den Schülern wird zu viel geredet und zu wenig getan. „Wir fordern einen gesetzlichen Stopp gegen Kinderarbeit,“ sagte Hillig. Freiwillige Vereinbarungen reichen nicht mehr aus. Der Schoko-TÜV soll die Erzeugung eines der wichtigsten Rohstoffe der Welt auf die Einhaltung der Menschenrechte überprüfen.
Die Einladung zur Internationalen Konferenz für Agroforstsysteme im Kakaosektor nach Köln für den 25. und 26. Juni in das Schokoladenmuseum beginnt ebenfalls mit einem ähnlichen Aufruf: „Obwohl die soziale Schieflage der Kakaobauern in den letzten 20 Jahren auf zahlreichen Meetings diskutiert wurde, verursacht der Kakaoanbau noch immer ökonomische, menschenrechtliche und ökologische Probleme in den Kakaoanbauländern.“
Erzeugerländer einbinden
Mittlerweile hat die Dringlichkeit auch die höchsten politischen Ebenen erreicht. Die Parlamentarische Staatssekretärin Maria Flachsbarth beim BMZ forderte zu Beginn der Arbeitssitzungen ebenfalls: „Wir müssen politischer werden.“ Endlich müssen sich die Erzeugerländer an den Entwicklungstisch setzen. Es gebezahlreiche Projekte; staatliche, von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, freiwillige Kriterien der Unternehmen, doch noch immer können die Kakaobauern nicht von ihrer Arbeit leben. Das Thema ist viel komplexer als es ein höherer Kakaopreis umsetzen könnte. Die Mitgliederversammlung des Forums will in Berlin die Ziele schärfen, um die großen Herausforderungen Kinderarbeit und Entwaldung anzugehen.
Den Kakaobauern ging es vor 30 Jahren besser. Die steigende Volatilität der Weltmarktpreise hat seit den 1980er Jahren zum stetigen Abschwung des Preisniveaus geführt. Die Pflanzungen sind überaltert und die Bauern geben für Dünger und Pflanzgut sehr viel Geld aus. Weil die Erträge niedrig sind, weichen die Familien in den Regenwald aus und roden neue Flächen, um über mehr Kakao ihr Einkommen zu erzielen. Öfters steht zwar in den Schlagzeilen, dass die Schokoladenunternehmen um ihren Rohstoff fürchten, aber eine Verbesserung der Situation ist kaum in Sicht. Maria Flachsbarth will die Sichtweise ändern. Die Industrieländer sind die Kunden für die Erzeugerländer und sollten auch entsprechend auftreten. „Die Zukunft Afrikas liegt in der Hand der Afrikaner. Wir sind aber nicht nur Zuschauer, sondern Akteur.“ Der Kunde bestimmt, zu welchen Konditionen das Produkt erzeugt werden solle. „Mit Kinderarbeit klauen wir den Kindern ihre Zukunft.“
Kinderarbeit, Armut und Entwaldung
Kakao wird zu 95 Prozent auf Kleinbetrieben zwischen zwei und fünf Hektar angebaut. Der Verdienst ist so gering, dass die Kinder mitarbeiten müssen. Das Problem ist vor Ort bekannt, berichtet Flachsbarth. Offiziell gibt sie niemand zu. Aber die Anbauregionen sind oft so abgelegen, dass sie weder durch Infrastruktur noch durch Schulen erschlossen sind. Natürlich sind sie auf den Plantagen zu finden. Das Thema will BMZ-Minister Gerd Müller in diesem Jahr noch verbindlicher machen. Um beispielsweise dieses Problem effektiv zu beheben, sind Zahlen und Statistik notwendig. Die Internationale Cocoa Organization (ICCO) hat allerdings im letzten Jahr ein Monitoring abgelehnt. Das BMZ will zusammen mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium und dem Kakaoforum das Thema wiederholt auf die Agenda setzen [1]. Ein Erfolg bei allen Themen wird es nur mit Beteiligung der Länder geben, machte Flachsbarth deutlich. Wie Miko Hillig vermerkte sie, dass Freiwilligkeit alleine zu keiner Lösung führt.
Die meiste Bewegung gibt es beim Thema Armut. Friedel Adams vom Südwind-Institut beklagte, dass zwar alle eine Datenerhebung einfordern, aber von den Unternehmen niemand die Arbeit finanzieren wollte. Am Ende hat das Königliche Tropeninstitut der Niederlande (KIT) die Studie realisiert [2]. In Ghana und der Elfenbeinküste fehlt es bei den Kakaobauern an allem. Selbst bei der Behausung sind Dächer undicht und die Wohnsituation hygienische bedenklich. Geld fehlt aber am meisten für die Ausbildung, für notwendige Rücklagen und Gesundheit. Mangelernährung komme saisonal vor. Die Unterschiede zwischen den Haushalten sind aber groß. Autorin Anna Laven gab einen Einblick in die Studie. In Ghana entspannt die staatliche Gesundheitsvorsorge gegenüber der Elfenbeinküste die Einkommenssituation. Kakao wird meist von Haushalten angebaut, die von Männern geführt werden. Von Frauen geleitete Haushalte setzen vermehrt auf andere Feldfrüchte. Der Anbau von Kakao müsse naturverträglich intensiviert werden. Die meisten ernten mit 450 Kilo Kakaobohnen nur die Hälfte dessen, was möglich ist. Das ist ein Grund, warum neue Flächen in den Regenwald vordringen. Könnten die Kakaobauern intensiver und einträglicher wirtschaften, werden wieder Flächen für die Aufforstung frei.
Livng Income
Die Mitgliederversammlung hat am Mittwoch das Thema Living Income auf die Tagesordnung gesetzt. Beate Weiskopf vom Kakaoforum hat das Prinzip erklärt. Die „Living Income Community of Practise hat für die Kakaobauern in der Elfenbeinküste die Verhältnisse analysiert [3]. Die Einkommen werden nach landwirtschaftlichem Einkommen und Einkünften aus nicht-landwirtschaftlichen Quellen zusammengestellt. Letzteres sind Löhne aus anderen Sektoren, aber auch Überweisungen aus dem Ausland. Diesem Ist-Wert wird ein Sollwert gegenübergestellt, der für die Bereiche Nahrung, Unterkunft, sauberes Wasser, Gesundheit, Bildung und kleiner Rücklage regional angepasst ermittelt wird. In der Elfenbeinküste trägt Kakao im Durchschnitt zu 66 Prozent das landwirtschaftliche Einkommen. Zusammen mit außerbetrieblichen Einnahmen kommen die Haushalte auf zusammen 172 Euro pro Monat. Das Living Income für ein einfaches aber gesundes Leben beträgt 478 Euro pro Monat, so dass die Lücke von 306 Euro pro Monat zu schließen wäre. In Ghana ist die Lücke mit 179 Euro im Monat deutlich kleiner.
Fair Trade hat das Living Income-Modell genutzt und einen Referenzpreis für Kakao aus der Elfenbeinküste berechnet. Pro Tonne zahlt Fair Trade aktuell 2.000 US-Dollar. Ab Oktober dieses Jahres wird der Referenzpreis auf 2.400 US-Dollar erhöht. Hinzu komme ein Aufschlag von 240 US-Dollar, die von den Genossenschaften für Trocknungsanlagen und Schulprojekte nutzen können.
Der ganze Komplex
Ist die Kakaobohne also die „Frucht des armen Mannes“? Die KIT-Studie hinterfragt die in der Vergangenheit oft genannte These und das ein monetäres Ziel alleine für die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ausreiche. Die Wissenschaftler listen einen ganzen Komplex an Ursachen auf, der die Wertschöpfungskette wirtschaftlich benachteiligt. Der Landbesitz ist in vielen Fällen unsicher, die Situation von Bauern ohne Land erst recht. Die Betriebe sind oft zu klein, die Kakaobäume zu alt. Geld fehlt für notwendige Betriebsmittel wie Dünger und Pflanzenschutzmittel, weshalb die Kakaobohnen oft eine schlechte Qualität besitzen. Monokultur und das Fehlen von Menschenrechten sowie Kinderarbeit tun ihr Übriges. Die Summe dieser Probleme behindert viele Programme zur Entwicklung von Bauern und Verarbeitern. Und sie zeigen vor allem: Ohne die Beteiligung der Erzeugerländer lassen sich die Ursachen nicht beseitigen.
Lesestoff:
[1] Im Januar haben BMEL und BMZ den Zehn-Punkte-Plan für einen nachhaltigen Kakaosektor aufgestellt:
[2] https://www.kit.nl/project/demystifying-cocoa-sector/
[3] https://www.living-income.com/
Roland Krieg