Kampf um jedes Korn
Landwirtschaft
+++ 13:00 Uhr
„Die Erntemenge ist schlicht und ergreifend gering“Kein düsteres Bild zeichnete Dr. Klaus Kliem, Präsident des Thüringer Bauernverbandes und Vorsitzender des Fachausschusses Getreide beim Deutschen Bauernverband (DBV), auf der Presseabschlusskonferenz zur Ernte des DBV heute Mittag in Berlin. Aber die Realitäten sprach er offen an: „Die Bauern haben um jedes Korn gekämpft.“
Wetterabhängigkeit
Dass die
Bauern wie kaum ein anderer Berufszweig vom Wetter abhängig sind, zeigt die
Entwicklung des letzten Jahres. Die ausgiebigen Regenfälle im Herbst 2010 haben
die Aussaat für 2011 verzögert, den Kulturen fehlte danach bei tiefen
Wintertemperaturen die schützende Schneedecke. Ausgesäter Raps wurde vielfach
wieder umgebrochen und stattdessen Mais angebaut. Unter Spätfrösten litten auch
Obst- und Gemüsebauern. Zwischen März und April dieses Jahres fielen nur 88
Liter Niederschlag je Quadratmeter. Der Durchschnitt liegt bei 186. Regional
mussten die Bauern mit 30 Literm auskommen. Der Sommer hat dann Regen
überreichlich ausgeschüttet, Felder überflutet und die Ernte immer wieder
verzögert und unterbrochen. Auch schon wieder mit Auswirkungen auf das nächste
Jahr.
Getreide bei
feucht-warmer Witterung keimt auf dem Feld in der Ähre wieder aus. Als
Brotgetreide lässt es sich nicht mehr verwenden, es hat nur noch
Futterqualität. Das Wetter senkte nicht nur die erntemengen, sondern wirkt auch
negativ auf Qualitätsparameter. Deshalb haben viele Bauern versucht, das
Getreide mit 18 bis 20 Prozent Feuchtigkeit zu ernten und aufwendig auf 14,5
Prozent Lagerfähigkeit herunterzutrocknen. Kosten: 18 bis 19 Euro je Tonne,
rund ein Zehntel des Erzeugerpreises.
Nur rund 39
Millionen Tonnen Getreide haben die Bauern in die Scheune gefahren. 12 Prozent
weniger als im Vorjahr. Dr. Kliem sagt aber auch, dass die von den Mühlen geforderten
Qualitäten geliefert werden können.
Nicht alle
Bauern haben eine schlechte Ernte eingefahren. Manche haben mehr und zu
besseren Preisen geerntet als im Vorjahr, so Kliem. Zuckerrüben und Mais haben
von der Witterung sogar profitiert. So gut, wie derzeit standen die Bestände
schon lange nicht mehr.
Weltgetreide
Frankreich
habe wegen der anhaltenden Frühjahrstrockenheit mit 60 Millionen Tonnen neun
Prozent weniger als im Vorjahr geerntet. Die Gesamternte der EU bewegt sich
aber mit 281 Millionen Tonnen auf Vorjahresniveau. Brände und Trockenheit haben
Russlands Getreideernte im letzten Jahr gestoppt. In diesem Jahr kommen wohl
bis zu 90 Millionen Tonnen Getreide zusammen – 29 Millionen Tonnen mehr als im
Jahr 2010. Auch die Ukraine hat mehr als zehn Millionen Tonnen
Getreideüberschuss, den sie den
Vereinten Nationen als Reserve für die Preisstabilisierung angeboten hat.
Die USA
haben kürzlich ihre Schätzung für die Weltweizenproduktion um zehn Millionen
Tonnen auf 672 Millionen Tonnen angehoben. Damit werden in diesem Jahr 24
Millionen Tonnen mehr produziert.
Doch nach
Dr. Kliem decken die höheren Erträge nicht den Verbrauch. Um den Bedarf zu
decken, muss auf Lagerbestände zurückgegriffen werden. Und mit dem Anwachsen
der Bevölkerung wächst der Bedarf weiter. Fortschritte in der Züchtung seinen
unabdingbar, so Kliem. Getreide muss mit Trockenstress und Nässe besser
zurechtkommen.
Vorkontrakte
Als Preisabsicherung
haben die Bauern die Möglichkeit schon vor der Saat Terminkontrakte
abzuschließen. Die beinhalten Menge und Qualitätsanforderungen. Beides ist
witterungsabhängig und viele Bauern werden in diesem Jahr die Terminkontrakte
nicht erfüllen können. Das war auch im letzten Jahr schon so. Verliert der
Vorkontrakt seine Attraktivität?
„Vertrag ist
Vertrag“, erläutert Dr. Kliem Herd-und-Hof.de. Das Warentermingeschäft
unterliegt dem unternehmerischen Risiko. Hielten sich die Bauern an die Regel, jeweils
ein Drittel vor, während und nach der Ernte zu verkaufen, dann streue das
Risiko und fange ausgefallene Kontrakte auf. Diese Erfahrung hätten die Bauern
schon im letzten Jahr gemacht. Wer allerdings mit mehr Kontrakten spekulieren
wollte, so Kliem, der verliert bei schlechter Witterung.
Nahrungsmittelpreise
Nachrichtenagenturen
haben die jährliche Meldung in der Schublade, dass bei schlechter Ernte die
Lebensmittelpreise steigen. Die Fachwelt hat die Antwort auch in der Schublade:
Die
Lebensmittelpreise werden steigen, aber nicht wegen der Erntesituation. Zum
einen folgen sie der Inflationsrate, zum anderen müssen sie steigen, weil die
Betriebskosten angestiegen sind. Nach Dr. Kliem haben sich zwischen April 2010
und April 2011 Saatgut um 19, Energie um 12, Düngemittel um sechs und
Pflanzenschutzmittel um sieben Prozent verteuert. Auch die gestiegene Nachfrage
in der Welt wird die Lebensmittel verteuern.
Risikoausgleichsrücklage
Ein Steckenpferd des DBV ist die Forderung nach Risikoausgleichsrücklage. In guten Jahren sollen die Bauern steuerneutral Geld für schlechte Jahre zurücklegen können, was auf Widerstand im Wirtschaftsministerium trifft. Das fürchtet, andere Berufsverbände wollen nachziehen. Dr. Kliem betonte erneut, dass die Bauern kein Geld vom Staat haben wollen, sie wollen auch keine Versicherungslösung, bei der andere mit verdienen. Die Bauern seine die einzigen, die ganzjährig unter freiem Himmel arbeiten und bräuchten so eine Rücklage. Im Rahmen der Agrarreform denkt auch Brüssel über Instrumente der Risikobegrenzung nach.
Roland Krieg (Text und Foto)