Kann Bio die Welt ernähren?

Landwirtschaft

Herbsttagung des BÖLW

Die Weltbevölkerung wächst auf neun Milliarden Menschen, Energiepflanzen sollen fossile Brennstoffe ersetzen, der Fleischkonsum steigt, jährlich gehen weltweit 20 Millionen Hektar Ackerfläche verloren, die Zahl der Hungernden ist auf 920 Millionen angestiegen und Wasser wird knapp. Das Thema „Kann Bio die Welt ernähren“ ist „eingebettet in düstere Zeiten“, so Felix Prinz zu Löwenstein, Felix Prinz zu LoewensteinVorstandsvorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) zur Eröffnung der Herbsttagung am Donnerstag in Berlin. Kann die Frage der Ernährung nicht gelöst werden, so Staatssekretär Gert Lindemann aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, bringt das unendlich viel Leid und soziale Spannungen. Die Aufgaben sind vielfältig: Produktionssteigerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die Umstellung der Landwirtschaft auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise, Zugang der ländlichen Bevölkerung zu Bildung und Gesundheitssystemen, Investitionen in die Landwirtschaft, ohne auf kapitalintensive Betriebsmittel zurückgreifen zu müssen und Sicherstellung der Ernährungssouveränität auf dem heimischen Markt. Lindemann vermerkt, dass die konventionellen Züchtungspotenziale für Pflanzen, die trotz des Klimawandels stabile Erträge bringen müssen, noch lange nicht ausgeschöpft sind. Man müsse nicht auf die Gentechnik zurückgreifen.

Zahlenwerke
Wenn neun Milliarden Menschen alle Fast Food essen wollen, reichen die Ressourcen der Welt nicht aus. Bekommt jeder Mensch 300 Kilogramm Getreide im Jahr, kann sich jeder ernähren – auch wenn er damit nicht zufrieden sein sollte. Uwe Möller vom Club of Rome hatte auf dem MeLa-Kongress die Frage beantwortet, ob die Welt neun Milliarden Menschen ernähren kann.
Kann aber auch der Bioanbau alle Menschen ernähren? Die aktuellsten Zahlen:

Ökoanbau und Ökobetriebe nach Kontinenten

Ökofläche in ha

Anteil an LF gesamt

Zahl Ökobetriebe

Afrika

417.059

0,1 %

175.266

Asien

3.090.924

0,2 %

97.020

Europa

7.389.085

1,6 %

203.526

Lateinamerika

4.915.643

0,7 %

223.277

Nordamerika

2.224.755

0,6 %

12.064

Ozeanien

12.380.796

2,7 %

7.594

Gesamt

30.418.261

0,7 %

718.744

Q: Willer 2008

Im Jahr 2006 wurden nach Schätzungen der International Federation of Organic Agriculture (IFOAM) rund 40 Milliarden US-Dollar umgesetzt und in allen Ländern wächst der ökologische Anbau. Auch zweistellig. Aber im Verhältnis zur gestellten Aufgabe und der verfügbaren Zeit, die Welt zu ernähren, erscheint der Anteil von 0,7 Prozent an der weltweiten Anbaufläche doch als sehr gering. Zusammengelegt ist das knapp drei Mal die landwirtschaftliche Gesamtfläche Deutschlands.
Noch ernüchternder wird der Blick, wenn die folgende Tabelle auswirft, was auf ökologischen Landbau umgestellt ist:

Landnutzung ökologischer Flächen in Entwicklungsländer 2006

Dauergrünland

52 Prozent

Keine Angaben

19 Prozent

Ackerland ohne Detailangaben

12 Prozent

Dauerkulturen

9 Prozent

Ackerland

8 Prozent

Q: FiBL Survey 2008

Über 40 Prozent Anteil im Ökolandbau hat Ackerland nur in Europa und den USA. In Australien stellt Dauergrünland mit 90 Prozent und in Lateinamerika mit über 70 Prozent den höchsten Anteil. In Afrika bilden Dauerkulturen wie Kaffee und Kakao ein Drittel der Ökoanbaufläche.

An die Kleinbauern denken
Prinz zu Löwenstein will den Ökolandbau aber nicht nur in Zahlen und Statistiken sehen. Für Dr. Martin Bröckelmann-Simon, Geschäftsführer Internationale Zusammenarbeit bei Misereor, ist der Hunger zunächst eine Missachtung von Recht. Das „Recht auf Nahrung“ berge also auch eine politische Lösung für die 2,9 Milliarden Menschen, die weniger als zwei US-Dollar am Tag zur Verfügung haben und bis zu 80 Prozent ihres Etats für Lebensmittel ausgeben müssen.
Vier Fünftel der Bauern stehen nur sechs Prozent der Ackerfläche zur Verfügung. Die meisten davon haben weniger als zwei Hektar Fläche, um sich und die Familie zu ernähren. Hinzukommen kommen Millionen landlose Landarbeiter. Es habe zwar Agrarreformen gegeben, die jedoch alle stecken geblieben sind, so Bröckelmann-Simon. Die finanzielle und technische Hilfe der nationalen und internationalen Zusammenarbeit ist an den Kleinbauern vorbeigegangen. So hat sich selbst Afrika, das bis in die 1960er Jahre ein Exporteur von Nahrungsmitteln gewesen ist, zu einem Nettoimporteur gewandelt. Beispiele von Misereor zeigen, dass die Umstellung auf den Ökolandbau den Bauern zwar nicht sofort, aber nach vier bis sechs Jahren positive Einkommenshilfen bescheren kann.
Mitschuld haben die Warenterminbörsen, die sich von ihren Aufgaben der Preissicherung entkoppelt haben. Die Finanzkrise schlägt auch bei den Agrarrohstoffbörsen zu.

Öko muss die Welt ernähren
Für Prof. Dr. Hans Herre ist die Tagungsfrage erst gar keine. Öko muss die Welt ernähren folgert der 2. Vorsitzende des internationalen Agrarrats angesichts der knapper werdenden Ressourcen. Der Druck auf die Lebensmittelpreise zeige, dass im System etwas falsch sei. Seit Jahren steigt mit der Zahl der Hungernden auch die Weltnettoproduktion bei Lebensmitteln an – aber auch die Kosten für die industrielle Produktion. Der Weltagrarrat hat deshalb die Landwirtschaft in diesem Jahr in sein soziales Umfeld und die Umwelt eingebunden, denn sie müsse ressourcenextensiver werden.
In den Entwicklungsländern hat man den Fehler gemacht, dass Kleinbauern, die nicht lesen können und keine Ausbildung für biologische Beziehungen im Ökosystem erfahren haben, eine High-Tech-Landwirtschaft übertragen wird, die nicht in er Region verankert ist.
Prof Dr. Hans HerrenSo gibt es auch gutgemeinte Projekte die falsch laufen. In Kenia wird mit Bewässerungstechnik Mango produziert. Der Sack Mango kostet dann einen Euro. In Nairobi sind Mango knapper und Händler kaufen Mango für 20 Euro ein. Und sie suchen subventionierte Ware auf dem internationalen Markt, weil die Früchte aus dem Bewässerungsanbau nicht den Weg in die Stadt finden. Zum einen gibt es nur schlechte Straßen aus dem Hinterland heraus und andererseits breche der Lkw mehrfach auf der Fahrt zusammen. Auch der Südsudan könnte für die umliegenden Regionen eine Kornkammer sein – doch verhindern die kriegerischen Auseinandersetzungen die Landnutzung.
Man müsse noch viel mehr verstehen, wo die Verbindungspunkte zwischen Landnutzung und sozialen und gesellschaftlichen Aufgaben sind. Die Bauern solle man für ihre ökosozialen Dienste bezahlen. So beispielsweise für die Sicherung der Wasserqualität oder den Erhalt der Biodiversität. Die industrielle Agrarnutzung hat die Tier- von der Pflanzenproduktion entkoppelt, weswegen die regionalen Nährstoffkreisläufe unterbrochen sind. Beides solle räumlich wieder zusammenfügt werden.
Außerdem gelangen bis zu 30 Prozent der Ernten durch Ernte- und Nachernteverluste gar nicht erst auf die Teller.

Dematerialisierung statt Richtlinie
Die Einbindung der Landwirtschaft in ein Gesamtbild zur Armuts- und Hungerbekämpfung hat auch Dr. Johannes Kotschi von Agrecol gefordert. In Ruanda beispielsweise wurden parallel zum Hang Hecken gepflanzt, um die darunter liegenden Flächen vor der Erosion zu schützen. Zunächst schränkte die Hecke die Nahrungsproduktion durch Inanspruchnahme von Fläche ein, doch sicherte die Biomasse nach einigen Jahren erhebliche Zusatzeffekte: Leguminosen fixieren Stickstoff im Boden und verringerten den Düngeaufwand. Die Hecken liefeten 80 Prozent des benötigten Energiebedarfs zur Familie, sie dienten als Futter für die Tiere, die über ihren Dung wieder die Felder düngten und die Bodenfruchtbarkeit erhöhten. Bislang wurde die Landwirtschaft einseitig nur auf die Steigerung der Flächenproduktion betrachtet.
Warum allerdings der Ökolandbau sich noch nicht überall stark ausgebreitet hat, wusste der Landwirt Dr. Kotschi auch zu berichten: Die lieferbaren Mengen für den Handel sind zu gering und inhomogen, regionale Produkte wie Linsen oder spezielle Kürbisgewächse werden international nicht nachgefragt, die Produkte sind meist leicht verderblich, Handelspartner und Absatzwege sind den Bauern oftmals nicht bekannt und auch Gruppenzertifikate sind vielen Bauern zu teuer. Die Zertifikatskosten schöpfen oft den Mehrgewinn der Zusatzerlöse wieder ab.
Zudem gibt es das „Dilemma der Richtlinien“. Will ein Bauern seine Baumwolle ökologisch vermarkten, muss er oft den ganzen Betrieb umstellen, bleibt aber auf den anderen Waren sitzen.
In Nord-Sumatra haben Gemüsebauern einen eigenen Weg gefunden. Für ihr Gemüse verzichten sie weitgehend auf mineralischen Dünger. Doch ganz ohne geht es nicht, denn durch die Mechanisierung in der Vergangenheit wurden die Wasserbüffel abgeschafft, die organischen Dünger liefern könnten. Bis ein ausreichender Bestand wieder aufgebaut ist sind sie trotz Öko-Gemüse auf Mineraldünger angewiesen. Damit kommen sie aber „ihr Ökogemüse“ nicht auf die Absatzmärkte der Großstädte und Singapur. Dort sind die Richtlinien sehr streng. Für Dr. Kotschi sind daher regionale Richtlinien, die auf solche Gegebenheiten Rücksicht nehmen, eine Lösung. Sie können helfen, dass mehr Bauern auf die Ressourcen schonende Produktion umzustellen.

Auf sich selbst besinnen
Bestehende Stoffströme zwischen Nord und Süd zu ökologisieren wird die Gründe, warum die Menschen arm sind und hungern, nicht beseitigen. Nur mit Weideland, Kaffee und Tee werden sich neun Milliarden Menschen auf die Dauer nicht zufrieden geben. Das Reservoir schlechthin, dass es zu entwickeln gilt, sind die Bauern vor Ort. Damit sie für sich selbst produzieren.
Das 2003 in Kamerun gestartete Projekt von Christina Fonba Ngwe kümmert sich im Südwesten des Landes um die Marginalisierten und führt sie aus ihrer Armut. Bevölkerungsdruck und Entwaldung des Regenwalds verringern die Bodenfruchtbarkeit. Hinzu zeigen sich erste Klimaveränderungen mit einer längeren Trocken- und kürzeren Regenzeit. Gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln, Betriebsbesichtigungen, Organisation von Ernte, Lagerung und Verarbeitung, Einführung der Schneckenhaltung und Professionalisierung der Imkerei haben einen ganzen Korb eigenständiger regionaler Produkte hervorgebracht, die mittlerweile auch in die Nachbarländer verkauft werden. Ansprechpartner sind dabei die Frauen, ohne deren Zustimmung beispielsweise auch kein Land verkauft wird. Durch die gemeinsame Vermarktung über Erzeugergemeinschaften haben sich die Einkommen der Bauern mehr als verzehnfacht.
Das Ökoprodukte auch verkauft werden können, wenn die Bevölkerung nur 800 US-Dollar im Jahr verdient, zeigt die „sonnenhafte Lebenskraft“: Sekem. Vielen durch seine auch in Deutschland erhältlichen Waren bekannt. Helmy Abouleish, Sohn des Firmengründers zeigte auf, dass selbst in der ägyptischen Wüste Anbau und Lebensweise nach biologisch-dynamischer Vorstellung möglich sind. Mittlerweile werden 30.000 Hektar Land, rund ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Ägyptens, bewirtschaftet und 65 Prozent der Gewürze, Linsen, Medizinalpflanzen und Baumwolle auf dem heimischen Markt abgesetzt. 1977 gegründet, wurde das Projekt von den Machthabern zunächst skeptisch beäugt hat sich aber durchgesetzt und 2003 den alternativen Nobelpreis erhalten. Der Baumwollanbau mitten im Niltal hat Anfang der 1990er Jahre Ägypten veranlasst, den Einsatz seiner Pflanzenschutzmittel von 36 auf drei Millionen Tonnen zu reduzieren. Ohne das internationale Netzwerk wäre der Erfolg allerdings nicht umsetzbar gewesen, sagte Abouleish.

Lesestoff:
www.boelw.de
www.misereor.de
www.sekem.com
Den Bericht des Weltagrarrats können Sie unter www.agassessment.org einsehen.
Die Zahlen stammen alle aus:
Willer, Helga: Organic Agriculture Worldwide: in: The Wolrd of Organic Agriculture Statistics and Emerging Trends 2008; IFOM, Bonn and FiBL, Frick; ISBN Eartscan 978-1-84407-592-8
Auf der BioFach 2008 waren Afrika und sein Ökoanbau Schwerpunktthema.

Roland Krieg; Fotos: roRo

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