Kastration: Karten für Ferkel werden neu gemischt
Landwirtschaft
Der fünfte Weg kommt aus Australien

Der Juni und September dieses Jahres waren die Schlüsseltermine für Allan Giffard. Da wurden die ersten Dateien für eine endgültige Registrierung im zweiten Quartal 2019 eingereicht. Dann entscheiden die Zulassungsbehörden, ob es noch einen fünften offiziellen Weg für die Ferkelkastration zur Verfügung steht. Mit Giffard sprach Herd-und-Hof.de auf der EuroTier über seine Methode und die Chancen für den deutschen und europäischen Markt.
Die Vorgeschichte
Einem kleinen Kreis ist der Markenname Tri-Solfen schon ein Begriff. Die Rechte an dem Produkt gehören Medical Ethics, vertrieben wird das Mittel von Bayer in Australien. Das Sicherheitsdatenblatt A18213/AUS weist das Mittel für die äußere Anwendung bei Rindern und Schafen aus. Für die Kastration und Enthornung von Kälbern sowie dem Kupieren von Lammschwänzen darf es als Mittel der Lokalanästhesie eingesetzt werden. Das Gel enthält Lignocain, das als Lidocain beispielsweise beim Zahnarzt als Lokalanästhetikum eingesetzt wird und Bupivacain, das ebenfalls ein Lokalanästhetikum ist. Mit Adrenalinsäure-Tartrate ist ein Antagonist für den Adrenalinrezeptor enthalten. Außerdem enthält es das Antiseptikum Cetrimid. Alle Mittel sind nach Aussage australischer Veterinäre in der Humanmedizin erprobt.
Das Mittel wird seit 2005 eingesetzt, das vorliegende Sicherheitsdatenblatt ist eine überarbeitete Version. Demnächst kann Bayer Tri-Solfen auch in Neuseeland vertreiben. Es hat vereinzelt Umwidmungen für die Anwendung bei der Ferkelkastration gegeben. Bislang gab es nur ein Veto von australischen Veterinären über mögliche Rückstände in exportiertem Qualitäts-Rindfleisch. Für den Artikel aus dem Jahr 2014 hat sich die Australische Veterinär Organisation (AVA) kurze Zeit später wegen missverständlichen Interpretationen entschuldigt. Die erneute Betrachtung resultiert in dem Fazit: „Tri-Solfen ist ein wichtiges Schlüsselelement für das Tierwohl, wurde bereits erfolgreich zur Reduzierung von Leid bei Schafen eingesetzt und kann das auch bei anderen Tierarten umsetzen.“
Down Under und im Norden der Welt
In Australien wurde das Mittel bei über 80 Millionen Schafen und Rindern eingesetzt, berichtete Giffard in Hannover. Der Clou der europäischen Zulassung und des Markteintrittes im nächsten Jahr: Tri-Solfen wird ausdrücklich zur Ferkelkastration zugelassen. Der Australier verfolgt die Diskussion in Europa und speziell in Deutschland. Er weiß, auf was er sich einlässt. Der Markt ist schließlich groß. Dänemark, Schweden und demnächst Finnland haben sich für die lokale Anästhesie entschieden. Österreich wird beim Verbot der betäubungslosen Kastration weitestgehend dem deutschen Weg folgen. Neben der praktischen Ebene kennt Giffard aber auch die politische Ebene, dass im deutschen Tierschutzgesetz die „Schmerzfreiheit“ vorgeschrieben ist.
Giffard kommt nicht unvorbereitet nach Europa. Klinische Studien in Deutschland sind bereits abgeschlossen. Dr. Meredith Sheil hat über weitere Feldversuche in Frankreich, Brasilien und Spanien berichtet. Sie hat das Mittel entwickelt. Die gelernte Humanmedizinerin für Kleinkinder hat als Ansatz die Unterbrechung der Schmerzkette gewählt. Wenn sich jemand in den Finger schneidet, dann tut es im ersten Moment nicht weh. Es gibt zwar einen kleinen Schock, doch bis die Signalkette des Schmerzes beginnt, vergeht eine Zeit. Das hat sie für den Prozess mit Tri-Solfen genutzt.
Der fünfte Weg
Der Landwirt vereist die Hoden wie bei einer Sportverletzung mit einem ganz normalen Kältespray und senkt die Hauttemperatur unter zehn Grad. Unmittelbar danach erfolgt der Kastratationsschnitt und der Landwirt benetzt die noch nicht aktiven Schmerzrezeptoren der Wunde mit dem blau eingefärbten Tri-Solfen. Die Farbe ermöglicht dem Landwirt eine Kontrolle der Anwendung. Nach einer Wartezeit von 30 Sekunden werden dann ohne Schmerz die Hoden entfernt. Alle möglichen Sicherheitsbedenken von der Überdosierung des Mittels bis zur Gefährdung des Anwenders sind hinfällig. Sonst würde es keine Zulassung gegeben.
Daten zur Anwendung
So soll es demnächst auch in deutschen Sauenbetrieben sein. Nach der Kälteeinwirkung wird die Schmerzkaskade durch die Anästhesiewirkstoffe unterbrochen. Das Adrenalin minimiert die Blutung und verlängert die Betäubungswirkung. Die Formulierung als Gel erlaubt die Behandlung ohne Berührung und schützt die Wunde. Cetrimid verhindert eine Infektion.
Die Ferkel werden zur Anwendung wie bei der Narkose mit Isofluran rücklings eingespannt. Vier nebeneinander, so dass der Landwirt die Arbeitsschritte nacheinander durchführen kann.
Eine der wichtigsten Fragen ist der Kostenfaktor. Die bisherigen Alternativen von der Immunokastration bis zur Inhalations- oder Injektionsnarkose kosten zwischen drei und fünf Euro pro Ferkel, beziehungsweise Masttier. Bei der chemischen Kastration geht die Anwendung vom Ferkelerzeuger auf den Mäster über. Allan Giffard beziffert die Kosten für die Kastration mit Tri-Solfen auf weniger als einen Euro.
Die Einschätzung
Zusammen mit der Ebermast hat keine der Alternativen nur Vor- und Nachteile. Für die Ebermast gibt es offenbar keine zusätzliche Marktreserve. So verbleiben nur Anwendungen, die auf die Ferkel einwirken. Auf der EuroTier wurde vor allem die Immunokastration gepuscht und bekam noch pünktliche Unterstützung von einer Studie der Universität Hohenheim. Dieser Weg gilt als der für die Tiere am besten – hat aber die geringsten Marktchancen. Janina Willers von der Verbraucherzentrale Niedersachsen ist sich mit Nina Blankenhagen von der Rewe Group einig, dass Verbraucher gar nicht wissen wollten, wie die Ferkel kastriert worden sind. Dabei ist genau das der Ansatz der Tierorganisationen gewesen, die betäubungslose Kastration zu beenden. Rewe verkauft Fleisch aus jeder Alternative und wird sich dann auch das Fleisch beschaffen, dessen Masteber mit Hilfe von Tri-Solfen kastriert wurde. Die australische Methode hat die besten Chancen, wenn der Preis für die Behandlung bei einem Euro liegt. Denn einen Mehrwert sind die deutschen Verbraucher nicht bereit, zu zahlen.
Angela Dinter von der Organisation Provieh berichtete auf der EuroTier über die Favorisierung der Ebermast. Der Verband habe aber durch die restriktiven Marktchancen umgelernt und beschreibt die Immunokastration als den einzigen Weg, der die Tiere unversehrt belässt. Das ist bei einem Eingriff in den Hormonhaushalt zur Beendigung eines natürlichen Verhaltens sicher nicht unstrittig. Ist das auf chemischen Weg kastrierte Mastschwein noch ein Eber?
Die Anwendung von Tri-Solfen kann der Veterinär dem Landwirt beibringen und sieht im Firmenvideo einfacher aus, als das Handling mit Isofluran. Zumal ist das Mittel ungefährlich und die Anwendung braucht keine Infrastruktur, die das Bundeslandwirtschaftsministerium für diese Lösung einfordert.
Der größte Knackpunkt ist die politische Diskussion um das Tierschutzgesetz. Dabei ist noch immer nicht definiert, ab wann ein Ferkel Schmerz in welcher Form empfindet. Reicht die Messung des Stresshormons Cortisol für die Interpretation „Schmerzanwesenheit“ aus? Die Ferkel erfahren schon Stress, wenn sie mit der Hand in die Höhe gehoben werden.
Da könnte die SPD schon eher mit sich reden lassen. Auch Tri-Solfen, das übrigens nicht von Bayer in Europa vertrieben werden wird, ist kein Königsweg. Es kann die Alternativen bereichern und wird bei den Praktikern wegen seines Kostenvorteiles etliche Vorzüge erhalten.
Der fünfte Weg vom fünften Kontinent ist dem Bundeslandwirtschaftsministerium nicht bekannt. Die Anfrage vor einer Woche blieb unbeantwortet.
Lesestoff:
Roland Krieg; Foto: roRo
Berichtigung: Am 20.11.2018 wurden Registrierungsdatum und Reihenfolge der Arbeitsschritte korrigiert. Ich bitte den Fehler zu entschuldigen. Roland Krieg