Keine Alternativen zum globalen Wettbewerb

Landwirtschaft

Jahrestagung der Agrar- und Ernährungswirtschaft

Nach einem Preishoch 2007/2008 stürzten die Agrarpreise wieder ab. Die Milchbauern traten in einen Lieferstreik und zuletzt sammelten Runde Tische in den Ministerien Lösungen für eine Soforthilfe der Bauern und ihre Betriebe. In diesem Rahmen treffen sich seit Dienstag Politik und Wirtschaft zur 4. Handelsblatt Jahrestagung der Agrar- und Ernährungswirtschaft und diskutieren das Jahr 2009 – ob es ein konjunkturelles Wendejahr für die Agrarwirtschaft werde?

Keine Frage: Internationaler Wettbewerb
Die Zeichen stehen auf Sturm. Kommt nach der geplatzten Rohstoffblase eine neue? Wie sieht die Finanzierung des Agrarsektors nach 2013 aus? Die FAO plant für den Herbst einen neuen Welternährungsgipfel und vielleicht kommt in die Doha-Runde doch noch neue Bewegung. Auch „die Natur ist in Aufruhr“, befindet Dr. Franz Fischler, Präsident des Ökosozialen Forums Europa, und gibt den Rahmen für die zweitägigen Gespräche vor.
Noch im Herbst 2008 wähnte sich die Agrar- und Ernährungsindustrie auf einem robusten Wachstumspfad bis in das Jahr 2014 hinein, bis die Finanz- und Wirtschaftskrise auch diesen Sektor erreichte. Der Rückgang der Milchnachfrage ist mit den bekannten Auswirkungen nur ein Beispiel, wie sie den Agrarmarkt trifft, so Gert Lindemann, Parlamentarischer Staatsekretär aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaf und Verbraucherschutz (BMELV). Das neue Ziel heißt: Die Betriebe in volatilen Märkten ohne staatliche Beihilfe mit unternehmerischer Risikovorsorge stark machen und für gesellschaftliche Aufgaben entlohnen.
Was die einzelnen Betriebe betrifft, habe der runde Tisch Lebensmittel einen Prozess eingeleitet, der auf allen Wertschöpfungsstufen die Wettbewerbsfähigkeit erhöhe. Vergleichbares habe auch das informelle Agrarministertreffen in Brno für die europäische Ebene geleistet. Die Höhe des künftigen EU-Gesamthaushalts und der Anteil der Agrarausgaben bestimme über die Ausgestaltung der Agrarpolitik und -struktur. Dabei ist die multifunktionale Landwirtschaft das richtige Modell, so Lindemann „was keiner Änderung bedarf“ – trotzdem wird sich beweisen müssen, wie sie bezahlt werden kann. Rund 300 Euro erhalten die Bauern je Hektar für gesellschaftliche Leistungen, wie den Erhalt der Artenvielfalt, Trinkwassersicherung oder Pflege der Kulturlandschaft. Europaweit liegt derzeit die Mehrheit für einen Betrag in Höhe von 200 Euro.
So sehr vermutlich auch mehr gewünscht ist und gefordert wird, so skeptisch steht Julien Mousnier aus dem Kabinett von Agrarkommissarin Fischer Boel denen gegenüber. Die nationalen Regierungen stünden unter hohem Druck die Wettbewerb verzerrenden Beihilfen zurückzunehmen. Zudem müsse die EU täglich den Kampf gegen Protektionismus führen, um den Binnenmarkt intakt zu halten. Eine Renationalisierung der Agrarpolitik könne es nicht geben. Auch nach 2013 werde die eine Mischung aus erster und zweiter Säule Bestand haben. Allerdings warnte Mousnier davor, dass es „ein Recht auf Geld“ gebe. Man müsse der Öffentlichkeit die Vorteile der Gemeinsamen Agrarpolitik näher bringen.

Wer ernährt die Welt?
Rund 80 Millionen Menschen kommen jedes Jahr hinzu, die ernährt werden wollen. Diesen „Peak“ haben wir fast hinter uns, so Dr. Fischler, und der Zuwachs geht auf 40 Millionen zurück. Aber auch dann hinterfragte er, ob dieses Bevölkerungswachstum wirklich eine „Garantie für die Nachfrage“ sei, wie oft angeführt, oder nicht viel mehr eine „Garantie für den Hunger“? Denn, um eine Nachfrage generieren zu können, brauchen die Menschen Kaufkraft. Auch sei es nicht so, dass das Ausland auf deutsche und europäische Produkte warte.
Gert Lindemann grenzte ein, dass die Agrarexporte nicht die Menschen in den Entwicklungsländern ernähren können. Dafür müssen die sich ihre eigenen Rahmenbedingungen schaffen. Die Exporte sollen als veredelte Produkte in kaufkräftige neue Märkte gehen.

Preisbildung ist schwieriger geworden
„Fundamentals are still King“ sagte Dr. Klaus-Dieter Schumacher von Toepfer International aus Hamburg. Angebot und Nachfrage bestimmen immer noch den Preis – aber neue Indikatoren gewinnen an Bedeutung in der globalisierten Welt. Da ist zum einen die Bindung des Nahrungsmittelpreises an den des Erdöls, seitdem aus Getreide Ethanol gewonnen wird. Zwar ist der Flächen- und Mengenbeitrag noch gering, aber der Mais in den USA macht es in seinem Preisverlauf vor. Daneben üben die Frachtraten eine große Wirkung auf die Rohstoffpreise aus. Eine Tonne Fracht zwischen dem US-Golf und Rotterdam kostete in der Vergangenheit zwischen 15 und 20 US-Dollar, in Spitzenzeiten 100 US-Dollar. Vor Weihnachten im letzten Jahr sanken die Raten auf 10 Dollar je Tonne, ziehen aber jetzt wieder an, weil China die günstigen Preise für Erz, Kohle und Stahl ausnutze und viel importiere. Agrarrohstoffe erfreuen sich an der Börse größerer Beliebtheit, weil der Agrarbereich als risikoärmer gilt und Investitionen aus dem Kapital abzieht.
Viele Länder setzen beim Handel noch auf den Staat und forcieren Barrieren und Einfuhrverbote.

Kommt die Getreide-OPEC?
Am vergangenen Wochenende veranstaltete Russland das erste Weltgetreideforum in St. Petersburg. Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner reiste an: „Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung auf über neun Milliarden Menschen bis 2050 und der in diesem Zusammenhang zu erwartenden stark steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen dürfen wir die Anstrengungen zur Hungerbekämpfung nicht vernachlässigen. Schon jetzt leiden mehr als eine Milliarde Menschen an Hunger. Dies wird bei der aktuellen Diskussion über die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise oft übersehen.“ Ziel des Forums war es, Strategien zur Deckung der steigenden Nachfrage und gegen die protektionistischen Tendenzen in Folge der Wirtschaftskrise zu finden. Das Forum kritisierte auf der einen Seite zwar Länder, die wegen der jüngsten Getreidedefizite Exportbeschränkungen eingeführt haben und damit die Volatilität erhöhten, auf der anderen Seite zeigten Russland, die Ukraine und Kasachstan Interesse an einer „koordinierten Politik zur Expansion am Welt-Getreidemarkt“. Eine Getreide-OPEC am schwarzen Meer?

Nicht zuletzt wirke auch der Klimawandel auf die Preise. In den Industrieländern könne der Ertrag um bis zu neun Prozent, in Lateinamerika sogar bis zu 11 Prozent steigen, doch werden die Entwicklungsländer deutliche Ertragseinbußen hinnehmen müssen. Südasien zwischen 18 und 22, Afrika südlich der Sahara drei bis neun Prozent.

Technik und Wissenschaft
Um alleine dem begegnen zu können, reiche eine reine Ertragssteigerung bei wachsender Bevölkerung nicht aus. Man müsse auch neue Landressourcen erschließen, so Dr. Schumacher. Die drei „T“ sollen dabei helfen: Technique als Form des Managements, Technology in Form der Produktivität und Trade als Handel.
Die Bedeutung von Wissenschaft und Technik hob auch Mousnier hervor. Es gehe dabei nicht vor allem um die grüne Gentechnik. Die ist nur ein Teil des Gesamtpakets, das aus konventioneller Züchtung und Technik besteht. Mousnier beklagte, dass derzeit fast 50 GVO-Sorten zur Zulassung bei der EU vorliegen, doch sie alle im Wesentlichen nur ähnliche Resistenzen aufweisen wollen. Gert Lindemann sprach die Industrie direkt an. Mit einer Resistenz gegen einen Schädling oder einen Pflanzenschutzmittel könne die Agrarindustrie keine besondere Akzeptanz der grünen Gentechnik erwarten. Hier fehlt offensichtlich immer noch der richtige Clou.
MaishaeckslerWie weit die Technik in den letzten Jahrzehnten vorangegangen ist, beschrieb Dr. Theo Freye von der Claas Gruppe. 1937 schaffte ein Mähdrescher zwei Tonnen Getreide in der Stunde, heute sind es 70 Tonnen. Ein hochmoderner Mähdrescher wiegt heute 33 Tonnen und bringt nicht mehr Druck auf den Acker als sein kleiner Bruder mit 11 Tonnen Gesamtgewicht. Lediglich die Straßenverkehrsordnung gibt dem Bauraum eine Größenbeschränkung, weswegen die Techniker die Leistungsdichte der Geräte erhöhen mussten und konnten.
Moderne Mähdrescher haben ein Zweitank-System. In den einen kommen die Maiskolben, in den anderen das Stroh, so dass die Diskussion zwischen Teller und Tank durch eine Koppelproduktion und Kaskadennutzung der gesamten Pflanze technisch bereits gelöst ist.
Das neueste ist Telematics, bei der Dutzende von Daten aus dem laufenden Betrieb über ein Mobilfunkgerät an einen Server übermittelt und dann ausgewertet werden. So stellt man beispielsweise fest, dass ein Gerät bei 11 Stunden Einsatz drei Stunden mit vollem Korntank auf die Entleerung gewartet hat. Mit Hilfe der Daten können ganze Flotten effizienter gesteuert und die Einstellungen von Trommelgeschwindigkeit, Windmaschine und Rüttler ausgewählt werden, die bei vorgegebenen Bedingungen den meisten Ertrag verlustfrei einfahren.
Ganz ungetrübt ist der Forscherdrang nicht, denn alleine die Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes binde 40 Prozent des Entwicklungsetats, so Dr. Freye.

Lesestoff:
4. Handelsblatt Jahrestagung der Agrar- und Ernährungswirtschaft am 09. und 10. Juni:
Französisches Milchpreismodell für Deutschland?
Markt: Alles grün bei Schweinefleisch
Ernährungswirtschaft und Handel
Technischer Fortschritt, aber wie?

Roland Krieg; Foto: roRo

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