Keine Entwarnung für den ländlichen Raum

Landwirtschaft

Kommunalkongress der CDU/CSU

Die Landwirtschaft gehört zum ländlichen Raum, doch der ländliche Raum ist mehr als nur Landwirtschaft. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und knapper Kassen gefährdet der Wegzug junger Menschen die Attraktivität der ländlichen Räume. Infrastruktur und Arbeitsplätze fallen weg. Im Jahr 2007 initiierte das Bundeslandwirtschaftsministerium eine Kongressreihe für Lösungen des ländlichen Raumes [1]. Der Kommunalkongress der CDU/CSU am Mittwoch in Berlin gab Gelegenheit für ein Zwischenfazit.

Herausforderungen sind geblieben

Nach Peter Götz, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik, sind die Herausforderungen nach wie die gleichen und groß. Mit der Übernahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund sind die Kommunen in diesem Jahr um 2,5 Milliarden Euro entlastet worden. Bis 2016 summieren sich die Einsparungen der Kommunen auf 20 Milliarden Euro. Sie haben mittlerweile im Bereich der Gewerbesteuer wieder das Niveau vor der Wirtschaftskrise erreicht.
Entlastungen und Einnahmen erreichen jedoch nicht alle Gemeinden gleichermaßen. Götz sieht nach der Föderalismusreform mehr die Länder in der Pflicht, für ihre Kommunen zu sorgen, als den Bund.

NAWI D statt BIP

Zukunftswissenschaftler Prof. Dr. Horst Opaschowski zeichnet den Paradigmenwechsel auf, der für die Entwicklung des ländlichen Raums nötig wird. Das Wohl der Märkte und das Wohl der Menschen klaffe immer weiter auseinander. Das Bruttoinlandsprodukt sei schon längst kein Parameter mehr für das Wohlergehen der Menschen. Dennoch verwechsele die Politik Wachstum noch immer mit Konjunkturpolitik. Den Menschen werde die Erhaltung des Arbeitsplatzes wichtiger als ein höheres Einkommen. Vor allem das Land fühlt sich von der Entwicklung der Städter abgekoppelt. Die Menschen fragen nach gerechter Verteilung. Anstelle des Bruttoinlandsproduktes hat Prof. Opaschowski den Wohlstandsindikator NAWI D entwickelt. Dieser basiert auf bevölkerungsrepräsentativen Umfragen und sammelt bei den Menschen auf, was sie unter Wohlstand verstehen. Der neue Index steht auf vier Säulen: Er umfasst den ökonomischen Wohlstand „Sicher und ohne Geldsorgen leben“, die ökologische Perspektive „Naturnah und nachhaltig leben“, bezieht den gesellschaftlichen Aspekt „Frei und in Frieden leben“ ein und fußt auf einer individuellen Komponente: „Gesund und ohne Zukunftsängste leben“.
Was derzeit auf dem Land passiert, gefährde die Grundgeborgenheit der Menschen. Neue Modelle müssen her, die auf genossenschaftlichen Initiativen basieren. Das Altern hat eine neue Qualität bekommen, denn heute ist nach Opaschowski jeder zweite 90-jährige nicht mehr pflegebedürftig. Senioren ziehen aus dem Altersheim aus und sanieren Eigentum, um in einer Wohngemeinschaft zu leben. Das Beispiel rundet Opaschwoski mit dem Hinweis ab, es sei auch noch preiswerter als ein Seniorenheim.

Die Realität ist anders

Ganz so glatt verläuft die Entwicklung der ländlichen Räume jedoch nicht. Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion erinnert an die Gerichtsprozesse, die Kitas in der Nähe von Altenheimen unterbinden. Die Politik könne nicht alle auftauchenden Probleme lösen.
Kauder hält die Energiewende für eine der großen Chancen der Kommunen. Eine weitere sei die energetische Gebäudesanierung, die den Kommunen am Ende doch mehr Entlastung bringt, als den kurzfristigen Verlust durch eine steuerliche Abschreibung. Dieses Modell sei richtungsweisender als die konventionelle Finanzierung. Zum einen wollen Senioren sich nicht mehr verschulden, zum anderen werden Banken ihnen kaum noch langlaufende Kredite geben, so Kauder.

Gewinner und Verlierer

Das von der CDU/CSU überreichte Entlastungsgeschenk an die Kommunen ist nach Christian Schramm, Oberbürgermeister der Stadt Bautzen, angekommen. Doch angesichts des kommunalen Schuldenberges von 63 Milliarden nur ein kleiner Beitrag. Auch Berlin helfen die Gelder nicht wirklich, so Bernd Krömer, Staatssekretär im Senat für Inneres. Allein der Flughafen Berlin-Brandenburg reiße wieder neue Löcher. Wie andere Großstädte wird auch die Hauptstadt noch Jahrzehnte unter der Schuldenlast leiden und hat mit einem großen Anteil von Sozialleistungsempfängern auch nur wenig Spielraum.
Ganz anders sieht es im Süden Deutschlands aus. Dr. Wolfgang Schuster, Oberbürgermeister von Stuttgart, verzeichnet eine schuldenfreie Landeshauptstadt. Das liege auch an einer stärker vertretenen Wirtschaft auf dem Land. Dr. Schuster warnt davor, dass die Kluft zwischen Reichen und Armen Gemeinden größer wird, denn am Ende müssen alle für die abgehängten Regionen bezahlen.
Hans-Jörg Duppré regte an, dass der Bund auch die Eingliederungshilfe für Behinderte übernehmen soll. Der Präsident des Deutschen Landkreistages fordert von den Ländern ihre Einstandspflicht ein.

Gleichwertig oder gleiche Chancen?

Niemand werde auf dem Land eine den Städten vergleichbare Infrastruktur erwarten, erklärt Duppré. Aber es sei Raum für neue Ideen. So sind 70 Prozent der Medizinstudenten weiblich. Die wollen später auch eine Familie haben und ihre Praxis nicht auf dem Land aufmachen. Krankenhäuser mit 150 Betten rechneten sich nicht.
Um aber neue Modelle zu realisieren, muss der Breitbandanschluss flächendeckend vorhanden sein. So könnten Praxen über die Telemedizin Analysen mit den Spezialisten in der Stadt austauschen, ohne dass der Patient seine Region verlässt. Umgekehrt können die Landbewohner über das Internet ihre beruflichen Qualifikation steigern und Wertschöpfungsketten auf dem Land bereichern. Der interkommunalen Zusammenarbeit stehen nach Christian Schramm aber zu viele Verordnungen im Wege. Bürgerläden mit Dienstleistungen, medizinischer Versorgung und einer Grundversorgung stehen längst im Blickpunkt der Datenschützer.
Ein Viertel der Stuttgarter sind nach Dr. Schramm ehrenamtlich tätig und füllen die Lücken, die zwischen Bund, Länder und Kommunen entstanden sind. Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft setzt eine anderes Denken voraus, das der demografische Wandel den Deutschen bald sowieso abfordern werde: Das weg vom „Ich“ und hin zum „Wir“ bringt auch die Entwicklung des ländlichen Raums in die Fläche, damit es neben den Gewinnern nicht auch Verlierer gibt.

Lesestoff:

[1] Kongressreihe zum ländlichen Raum

Roland Krieg

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