Keine Ernährungssicherung ohne Pflanzenschutz
Landwirtschaft
Internationaler Kongress der Pflanzenschützer in Berlin
Will der Mensch gesund bleiben, setzt das eine Mahlzeit voraus, deren Bestandteile keine Schäden verursachen. Kartoffeln, Erbsen, Reis und Co. müssen vor Erreichen des Tellers sorgsam verarbeitet sein. Da die allermeisten Feldfrüchte nicht direkt verzehrt werden, lagern sie eine Zeit lang in Silos, Hallen oder Vorratsschränken. Zu diesem Zeitpunkt wurden sie bereits geerntet und transportiert und hatten eine unbeschadete Vegetationszeit zwischen Samenablage im Boden und Reife hinter sich.
So fängt alles an – und kann ein schnelles Ende haben. Saatkrähen, im Boden wuselnde Nematoden, Pilze, Viren, zahllose Insekten und Lagerschädlinge wie Nager oder der Kornkäfer können den Zyklus zwischen Aussaat und Weiterverarbeitung jederzeit zum Stillstand bringen. Die Jahre 1845 - 1847 haben sich tief in die irische Geschichte gegraben, weil der Kartoffelkäfer so viel Schaden anrichtete, dass die Iren, vom Hunger geplagt, nach Europa und Nordamerika auswanderten. Solche Kalamitäten finden sich in der Geschichte der Menschheit immer wieder.
Die Bauern führen einen stetigen Kampf mit PSM gegen Nutzpflanzenschädlinge. PSM steht klassischerweise für Pflanzenschutzmittel, kann wahlweise auch für Pflanzenstärkungsmittel stehen. Konventionelle und ökologische Landwirte haben das gleiche Ziel: Ihr Erntegut vor Schädlingen zu schützen.
In dieser Woche trafen sich Hunderte Phytomediziner aus mehr als 90 Ländern zum 18. International Plant Protection Congress (IPPC) in Berlin. Der Kongress findet nur alle vier Jahre statt und sendet Botschaften in die ganze Welt. 1957 fand er letztmals in Deutschland statt und Dr. George Harrar legte mit seiner Grundsatzrede den ersten Baustein für die einige Jahre später einsetzende Grüne Revolution.
Die Aufgabe
Heute steht die Welt vor vergleichbaren Aufgaben. Noch immer hungern 800 Millionen Menschen, sind weitere 1,2 Milliarden fehlernährt und noch mal 800 Millionen Menschen übergewichtig. Knappes Land und steigende Bevölkerungszahlen stellen die Landwirtschaft vor eine Herkulesaufgabe, für die der Pflanzenschutz ein wichtiger Baustein bleibt. Die Wirkstoffe haben sich in den letzten Jahrzehnten geändert und sind in den Industrieländern sicherer geworden. In den Entwicklungsländern werden Pflanzenschutzmittel offensiv wie Lebensmittel beworben und von den Bauern oftmals unbedarft eingesetzt beklagte Kong Luen Heong. Der Professor von der chinesischen Universität Zhejiang wurde zur Eröffnung des Kongresses für seine Arbeiten über Reisschädlinge ausgezeichnet.
Noch nie hat die Menschheit so viel Weizen produziert wie heute. Seit dem Erntejahr 2006 ist die Erzeugung um weitere 23 Prozent angestiegen, erläuterte Per Pinstrup-Andersen von der amerikanischen Cornell Universität. Auch die Lagerbestände wurden erheblich ausgebaut. Allerdings vor allem in China und Indien mit mehr als 80 Prozent aller Läger. Auf der anderen Seite werden noch immer wertvolle Ernten unbedarft vernichtet. Bilder von unter offenem Himmel lagernden Tonnen von Mais im Sambia, der durch Schimmelbefall nicht mehr genießbar ist, zeigt, welche Aufgaben noch bevorstehen. Der Pflanzenschutz erstreckt sich nicht nur auf die Wachstumsphase auf den Äckern, sondern auch auf die Verluste bei und nach der Ernte und in der Weiterverarbeitung.
Nicht nur die Zahl der Menschen nimmt zu. Sie ändern in Abhängigkeit zu ihrem Einkommen auch das Ernährungsverhalten. Gab es 2009 nur 0,5 Milliarden Menschen, die der Mittelschicht zuzurechnen sind (28 Prozent der Weltbevölkerung), erhöht sich die Zahl bis 2020 auf 1,7 Milliarden (54 Prozent) und bis 2030 auf 3,2 Milliarden Menschen. Dann sind nahezu zwei Drittel der Menschen in der Lage, teurere und verarbeitete Nahrungsmittel zu kaufen. Und das werden sie auch tun. Zwischen 1960 und heute ist der Verzehr von tierischen Produkten in China, einschließlich Fisch, pro Kopf und Jahr von 20 auf 102 Kilogramm angestiegen.
Ohne Investitionen in die Infrastrukturen kann das Ernährungsproblem nach Pinstrup-Andersen nicht gelöst werden. Zudem müsse der Agrarforschungsbereich deutlich ausgebaut werden. Susanne Weigand berichtet vom 2010 eingeführten Studiengang an der Georg-August-Universität in Göttingen, wo der M.Sc. Crop Protection die schmerzhafte Lücke von Phytomedizinern wieder auffüllen will. Über chemisch-biologische Grundlagen müssen die Lebenszyklen der Schädlinge und die Interaktion der Pflanzen mit den Angreifern für effektive Bekämpfungsstrategien, die auch in der Praxis eingesetzt werden können, identifiziert werden. Derzeit werden jährlich 20 Absolventen für den zweijährigen Studiengang aufgenommen.
Pinstrup-Andersen identifiziert noch weitere Engpässe. So kann die Landwirtschaft die Aufgaben nicht alleine bewältigen. Ohne privates Kapital fehlen dem Agrarsektor Gelder [1]. Außerdem müsse die Angst vor der Gentechnik aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Der amerikanische Wissenschaftler fordert die Kongressteilnehmer zu mehr Aufklärungsarbeit auf. In Nordamerika und Europa stehen Transportkosten und Treibhausgasemissionen bei der Beurteilung von Produktionsverfahren im Mittelpunkt. Diese aber, so Pinstrup-Andersen, nehmen bei der Betrachtung des Lebenszyklus eines Lebensmittels meist nur den kleinsten Anteil an. So sollte jedes Land das produzieren, was es am kostengünstigsten herstellen kann. Demnach sollte Soja ökologisch besser in Brasilien eingekauft werden, als es über lange Forschungsprozesse hinweg, erst einmal in Europa zu etablieren.
Was die Pflanzenschädlinge vernichten
Bakterien, Insekten oder Pilze vernichten nicht nur die Pflanze als solche, sondern führen auch zu qualitativen Ertragsminderungen, wenn ein Korn oder ein Apfel zwar geerntet und verarbeitet werden kann, aber weniger Nährstoffe aufweist, weil sie von der Pflanze beim Kampf gegen den Eindringling aufgebraucht hat. Nach Clayton Hollier von der Louisiana State University geht es beim Pflanzenschutz auch um die Qualität der Nahrung. Um die Verluste zu quantifizieren, führte er die Kalorienkaskade an, die zwischen Erntereife und Teller auftritt. Die Ernteprodukte weisen rechnerisch zum Reifezeitpunkt noch durchschnittlich 4.600 kcal pro Kopf und Tag auf. Tatsächlich geerntet werden nur noch 4.000 kcal, nach der Verarbeitung kommen lediglich 2.400 kcal heraus. Der Konsument verzehrt am Ende nur noch 2.000 kcal. Den größten Kalorienverlust gibt es bei Ernte und Lagerung. Der Verlust beim Kunden ist größer als beim Landwirt auf dem Feld.
Was hilft denn nun?
Einfach mehr Pflanzenschutzmittel verkaufen und anwenden ist nicht der Fokus der Tagung. Das Thema ist komplexer. Schließlich werden die Bauern weltweit seit Jahrzehnten über Techniken für bessere Erträge unterrichtet. Dennoch gibt es ein Ertragsdefizit, obwohl beispielsweise Pflanzenschutzmittel zur Verfügung stehen, beklagt David Guest von der Universität in Sydney. Den Bauern in Indonesien standen nach seiner Forschung mehrere Jahre lang in verschiedenen Entwicklungsprojekten mehr als 30 Workshops für eine bessere Pflanzenproduktion zur Verfügung. Die haben sie auch alle besucht. Doch bleiben die Erträge am Ende niedrig. Guest hat eine „Armutsfalle“ entdeckt, aus der die Bauern kaum herauskommen. Die Lebensmittelpreise in den Städten müssen niedrig bleiben, was den Bauern Investitionskapital für Innovationen vorenthält. Dabei stehen sie mit ihren Produkten oft im Wettbewerb mit Importen. Ihnen fehlt der Zugang zu Inputressourcen, die wie auch Arbeitskräfte, oft zu teuer sind.
Guest moniert die Arbeit der Agrarkonzerne, die Ausbildungen oftmals nur für Cashcrops anbieten. Deren Gewinne sind für den einzelnen Bauern gering, aber für die Konzerne durch die an den Input gebundene Beratung lohnend. So erzielen die Bauern mit Reis deutlich weniger Gewinn als durch den Anbau von Kakao. Sie werden aber nur für den Anbau von Reis betreut. Guest plädiert für einen partizipativen Ansatz, bei dem die Bauern selbst bestimmen können, womit sie Geld verdienen. Höhere Gewinne lösen erst die Wertschöpfungskette im ländlichen Raum aus, bei der auch die Bauern profitieren.
Der Weg ist weit. Selbst die OECD bietet Workshops für den Integrierten Pflanzenschutz an – die aber am Feldrand aufhören. Vorratsschutz wird nicht thematisiert, musste sich Silke Dachbrodt-Saaydeh vom Julius Kühn-Institut kritisieren lassen.
Sustainable Development Goals
Nicht nur die Finanzierungskonferenz in Äthiopien könnte einen Grundstein für eine effektivere Zukunft gelegt haben. Im nächsten Monat wollen die Staaten die Sustainable Development Goals (SDG) in New York verabschieden [2]. David Bergvinson Generaldirektor des International Crop Research Institute for the semi-arid tropics (ICRISAT) bekam vor der Konferenz den IPPC-Preis für seine Arbeiten an insektenresistentem Mais. Er hat die SDG auf ihre Relevanz für die Phytomedizin untersucht und zehn von 17 Zielen identifiziert, die ohne Pflanzenschutz kaum zu erfüllen sind. Für das erste Ziel (Armut reduzieren) spielt eine zweite Grüne Revolution eine Rolle, wobei der Integrierte Pflanzenschutz das Aufwand-Ertrags-Verhältnis zu Gunsten der Bauern verschieben kann. Der Pflanzenschutz spielt beim Ziel 2 (Hunger bekämpfen) die zentrale Rolle entlang der bäuerlichen Wertschöpfungskette. Mehr Ausbildung (Ziel 4) gilt auch für den Pflanzenschutz. Das Werkzeug „Massive open Online Courses“ (MOOC) kann den Landwirten bis hin zum Mobil-Telefon Tipps und Tricks gegen Schädlinge verraten. Frauen erzielen rund 30 Prozent weniger Ertrag als Männer. Sie haben den geringsten Zugang zu Technologien und anderen Ressourcen. Ein Rechtsrahmen für die Geschlechtergleichheit (Ziel 5) ist daher für den effektiven Pflanzenschutz bedeutend. Ziel 6 bezieht sich auf Wasser und Abwasser. Pflanzen, die gegen Schädlinge geschützt sind, weisen eine bessere Wassernutzungseffizienz auf. Außerdem müssen die Mittel sparsamer eingesetzt und der Abfluss in das Trinkwasser vermieden werden. Energiepflanzen und ihr Pflanzenschutz sind Baustein des SDG-Ziel 7 (Energie). Wachstum (Ziel 8) wird in den ländlichen Räumen über sichere Erträge und Marktzugang erzielt. Für das Ziel einer nachhaltigen Produktion (12) müssen die Ernteverluste minimiert und die Rückstandswerte für ein höheres Vertrauen der Konsumenten verringert werden. Das Klima (Vorbereitung gegen den Klimawandel im Ziel 13) beeinflusst neben dem Pflanzenwachstum auch die Effizienz der Schutzmaßnahmen. So wandern Schädlinge in neue Gebiete ein. Und nicht zuletzt müssen die Wirkstoffe so aufgebaut sein, dass sie das Ökosystem erhalten (SDG-Ziel 15).
Lesestoff:
[1] Die Tagung zur Finanzierung der Entwicklungshilfe in Addis Abeba setzt bereits auf den privaten Sektor
[2] Die SDG sind unterschriftsreif
Roland Krieg