Keine Pflanzenschutzmittel mehr in Mals
Landwirtschaft
Bioland sieht Mals in Südtirol als Vorbild
Die Planeiler Alm ist über einen gemütlichen Fahrweg in knapp zwei Stunden zu erreichen. Etwas schneller geht es über den „alten Weg“, der allerdings auch steiler ist. Wer den Weg zurückgelegt hat, den erwarten Käse- und Speckplatten, Kaminwurzen und selbst hergestellter Joghurt.
Im Osten begrenzen die Ötztaler Alpen den Horizont, die Ortlergruppe im Süden und im Westen die Sesvennargruppe. Der Blick aus einem der vielen Hotels und Gaststätten des Südtiroler Ortes Mals geht über weite Wiesen und Getreidefelder. Wanderer folgen den Waalen, alte Bewässerungsgräben der Region.
Förderung ländlicher Entwicklung
Im Winter ist die zweitgrößte Gemeinde Südtirols mit weniger als 5.000 Einwohnern Skigebiet und lockt Tausende von Touristen. Um Wirtschafts- und Tourismusentwicklung zu fördern, positioniert sich die Gemeinde mit dem Motto „Mals leben“. „Eine solche Dachmarke und ihre konsequente Anwendung ist ein unerlässliches Instrument, um den Standort Mals für eine positive Wirtschafts- und Tourismusentwicklung zu stärken und besser zu vermitteln.“
Das zahlt sich aus. Der Verein für Kinderspielplätze
und Erholung aus Bozen hat die Gemeinde Mals in diesem Jahr zur „Kinderfreundlichen
Gemeinde Südtirols“ ausgerufen. „Bau und Instandhaltung von Spielplätzen, sichere
Schulwege, verkehrsberuhigende Maßnahmen, Bau von Radwegen und Kinderfreizeit“
waren die Auswahlkriterien. Die Gemeinde ist stolz auf die vielen
kinderfreundlichen Projekte, die diese Auslobung ermöglicht haben.
Und im Spätsommer kam ein zweiter Preis dazu. Am 12. September wurde Mals mit dem Europäischen Dorferneuerungspreis belohnt. Alternative Mobilitätsangebote, der Weg zur Energieautarkie mit neuen Energiequellen, die Entwicklung des Ortskerns sowie das ehrenamtliche Bürgerengagement haben dazu geführt.
Mals - ein Idyll und Vorbild für alle Gemeinden?
„Bewusstseinsbildung“
Der alle zwei Jahre vergebene Dorferneuerungspreis wurde im letzten Siegergort Vals im Kanton Graubünden übergeben. Unter anderem weil die Schweizer in ihrem Ort nur noch ökologisch wirtschaftende Betriebe haben.
Das haben die Malser nicht. Zudem liegt die Gemeinde im Obervinschgau, wo abwärts der Talhänge gewerblicher Gartenbau betrieben wird. Obst und Gemüse unter dem Zeichen des Marienkäfers wird konventionell und ökologisch angebaut und vermarktet. Der Anbau wird mit steigender Nachfrage größer und könnte auch nach Wals kommen. Dem haben die Südtiroler vorgebaut und in diesem Sommer Referendum abgehalten, ob ihre Gemeinde nicht frei von Pflanzenschutzmitteln sein sollte?
Die Entscheidung fiel am 05. September mit 75 Prozent Ja-Stimmen eindeutig aus und wurde sogar noch für die Begründung des Dorferneuerungspreises herangezogen: Die Volksabstimmung sei „ein Vorbild an Bewusstseinsbildung“ und angesichts der hohen Wellen, die es schlug „eine demokratische Leistung von gesellschaftlicher Relevanz.“
Das Verbot
Pflanzenschutzmittel ist eines der großen Themen, bei dem sich Ökolandbau und konventionelle Landwirtschaft deutlich voneinander unterscheiden. Vor allem, seit dem der EU-Entwurf für eine EU-Ökoverordnung eigene Grenzwerte für Bioprodukte vorschlägt [1].
In Mals sind jetzt einige Pflanzenschutzmittel verboten, was nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für Balkone und Kleingärten der Privatbesitzer gilt. Biobauern beklagten die Abdrift von Pflanzenschutzmitteln auf ihre Felder.
Der Südtiroler Bauernbund sieht schwarz, denn das Referendum untersage damit den integrierten Obstbau in der Gemeinde. Dieser finde vor allem auf kleinen Flächen statt und sichere den Bauern ihre Existenz.
Das Verbot wird in die Gemeindesatzung aufgenommen. Darin verspricht die Stadtverwaltung, dass verschiedene Wirtschaftsformen bestehen bleiben sollen und dass auf „dem Malser Gemeindegebiet der Einsatz biologisch abbaubarer Pflanzenschutzmittel gefördert“ wird. Das Referendum verzichtet auf eine Liste der verbotenen Pflanzenschutzmittel und überträgt diese Auseinandersetzung auf die Stadtverwaltung. Stehen dort umstrittene Wirkstoffe wie Neonocotinoide und Glyphosat demnächst auf der Tagesordnung?
Rechtmäßig?
Die Schweizer hatten sich für den Ökolandbau als Alternative entschieden. Denkbar wäre in Südtirol auch eine werbeträchtige Kampagne im Sinne der Tourismusindustrie gewesen. Oder eine freiwillige Pflanzenschutzmittel-Verzicht-Region nach dem Vorbild der „gentechnikfreien Regionen“. Ob das Referendum Bestand haben wird, ist derzeit noch offen. Die Tiroler Tageszeitung mutmaßt, dass es ein EU-Vertragsverletzungsverfahren geben wird. Die mehrtätige Abstimmung könnte das Referendum selbst hinfällig gemacht haben.
„Raus aus der Pestizid-Falle“
Für den deutschen Ökoverband Bioland hingegen ist Mals ein Vorbild. Die Südtiroler zeigen, dass auch deutsche Kommunen aktiv werden können. Vor dem Hintergrund der strittigen EU-Ökoverordnung und dem Pestizid-Verbot in Mals hat der Verband in einer Resolution ebenfalls ein „Verbot giftiger Pflanzenschutzmittel“ und eine „Pestizidabgabe“ gefordert. „Wir müssen raus aus der Pestizid-Falle. Die Menschen wollen keine Pestizide in Lebensmitteln oder in ihrem Blut haben. Als funktionierende Anbaumethode, die auf chemisch-synthetische Pestizide verzichtet, muss die Politik den ökologischen Landbau stärker unterstützen“, erklärte Jan Plagge, Präsident von Bioland.
Sind Nachahmer möglich?
Plagge wünscht sich viel Nachahmer nach Malser Vorbild. Doch nicht jeder Ort ist so auf Tourismus gepolt wie das malerische Mals. Außerdem bleibt die Frage, ob deutsche Gemeinden ein vergleichbares Referendum umsetzen können? Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat für Herd-und-Hof.de die rechtliche Lage analysiert:
„Das EU-Pflanzenschutzmittelrecht (insbesondere die unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltende Verordnung (EG) 1107/2009) stellt in Verbindung mit dem Pflanzenschutzgesetz von 2012 eine abschließende Regelung dar. Ein Verbot der Anwendung durch eine Gemeinde oder einen Landkreis ist rechtlich nicht möglich. Im Einzelfall können unter bestimmten Voraussetzungen durch die Überwachungsbehörde bestimmte Anwendungen reglementiert werden.“
Das gilt „vorbehaltlich der Auslegung durch die zuständigen Behörden im jeweiligen Bundesland“.
Der Weg für eine Verabredung aller Beteiligten in einer Region stehe jedoch nichts im Wege.
Lesestoff:
Was steht im Malser Referendum wirklich? Hier finden Sie die Frage und das Endergebnis als PDF: Malser Referendum.
[1] EU-Ökoverordnung
Roland Krieg