Klassenkampf gegen die Bauern
Landwirtschaft
Folgen der Zwangskollektivierung
Im April 2010 fand eine Tagung zur Zwangskollektivierung der ostdeutschen Bauern und deren folgen in Berlin stat. Veranstalter waren die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Aktuell ist ein Tagungsband zum Thema veröffentlicht worden.
Vom Zeitzeugen…
Eingeleitet wird der Band mit einem Beitrag des
Zeitzeugen, Manfred Propst aus Sachsen, der ein wenig von der Atmosphäre des Terrors
gegen die Bauern vermittelt.
Jens Schöne, Historiker aus Berlin, beschreibt die
Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR. Die Bodenreform 1945 und die
Kollektivierung bis 1960 gehören danach zum Gesamtkonzept stalinistischer
Agrarpolitik.
Udo Grashoff, Biochemiker und Historiker zeigt in
seinem Beitrag, dass die Anzahl der Selbstmorde unter den Bauern während der
Kollektivierungsphase 1959/60 stark anstieg. Er kommt bei vorsichtiger
Schätzung auf mehrere hundert Selbstmorde unter den Bauern aufgrund des
Kollektivierungsdrucks. Dies ist ein Mehrfaches der Toten an der innerdeutschen
Grenze, denen zu Recht viele Gedenkveranstaltungen gewidmet sind. An die Opfer
des DDR- Terrors unter den Bauern denken nur wenige. Andere Schätzungen
beziffern die Anzahl der Selbstmorde noch viel höher.
Der renommierte Historiker Falco Werkentin, Autor des
Standardwerkes über die politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, beschreibt
in seinem Beitrag den Klassenkampf auf dem Lande. Werkentin zeigt dabei, dass
schon bis 1953 als Teil der Strategie des Bauernlegens mehr als 20.000
„Großbauern“ (mit mehr 20 Hektar) enteignet und zum Teil kriminalisiert worden
sind. Die dabei freigewordenen Flächen umfassten fast 900.000 ha, fast 20% der
landwirtschaftlichen Nutzfläche der DDR. Und trotzdem wurden bis Mitte 1959,
vor Anbruch der letzten Kollektivierungsphase noch rund 55% der
landwirtschaftlichen Fläche von privaten Betrieben bewirtschaftet.
Daniela Münkel, Projektleiterin der Abteilung Forschung
der „Birthler- Behörde“ beschreibt in ihrem Beitrag die Rolle der DDR-
Staatssicherheit im Prozess der Kollektivierung.
Der Sammelband begnügt sich nicht mit einem Rückblick,
sondern beleuchtet in mehreren Beiträgen die heutige Landwirtschaft in
Ostdeutschland.
… bis zur aktuellen Agrarstruktur
Jörg Gerke beschreibt die Bedeutung der DDR-
Agrarstruktur für die ostdeutsche Landwirtschaft und die ländlichen Räume
heute. Eine besondere Betonung legt der Beitrag darauf, dass auf dem Lande
wesentliche Aspekte von Zivilgesellschaft nicht verwirklicht sind, eine
unabhängige Justiz, unabhängige Verwaltung und vor allem unabhängige Medien.
Der Beitrag von Uwe Bastian, Sozialwissenschaftler und
ehemaliger Bürgerrechtler, diskutiert Aspekte des Agrarnomenklaturkadersystems.
In der DDR waren LPG- Vorsitzende und Hauptbuchhalter Nomenklaturkader.
Verwaltungs- und Arbeitsabläufe blieben bis zur Wende Geheimnis dieser Kader.
Dies ist nach Bastian ein Grund dafür, dass diese Nomenklaturkader nach der
Wende staatliches und genossenschaftliches Eigentum so leicht übernehmen
konnten, ohne dass es größeren Widerstand gab. Als Beispiel beschreibt Bastian
einen landwirtschaftlichen Großbetrieb in Vorpommern mit ca. 6000 ha, der von
vier Nomenklaturkadern geleitet, entlang der Peene die ganze Insel Usedom
einnimmt. Bis 1945 wirtschafteten dort 15 Gutsbetriebe. Die heutigen Junker in
Ostdeutschland sind um ein mehrfaches mächtiger, als die bis 1945.
Hans Dieter Knapp, Biologe und Leiter der Außenstelle
Vilm des Bundesamtes für Naturschutz hat schon in den siebziger und achtziger
Jahren in der DDR über gefährdete Biotope geforscht. Kollektivierung und
Industrialisierung sind für ihn Teilaspekte eines ideologisch begründeten
Gesamtsystems sozialistischer Agrarpolitik. Folgen davon sind Rückgang von
Wiesenblumen, Ackerwildkräuter, von Störchen, Fröschen, Rehen und Hasen,
Bodendegradation, Gewässer- und Klimabelastung.
Geringere Produktivität
Der letzte aber einer der wichtigsten Beiträge ist der vom Greifswalder Geografen Helmut Klüter, der das Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft, Agrarindustrie und Tourismus behandelt. Auf der Basis von Statistiken des Bundes und der Länder vergleicht er unter anderem Produktivität, Beschäftigung und Investitionen in der Landwirtschaft der west- und ostdeutschen Bundesländer. Für die Vorstellung einer überlegenen ostdeutschen Landwirtschaft lässt die Auswertung keinen Platz mehr. Die Flächenproduktivität ist in Ostdeutschland um den Faktor 2-4 niedriger, als in Westdeutschland, die landwirtschaftlichen Investitionen sind im Osten hektarbezogen ebenfalls sehr viel niedriger und entsprechend spielt die ostdeutsche Landwirtschaft in Bezug auf die Beschäftigung eine geringe Rolle. Klüters Berechnungen sind daneben auch eine gravierende Kritik an den universitären Agrarökonomen in Ost und West.
Lesestoff:
Beleites et al. (2010): Klassenkampf gegen die Bauern- Die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft und ihre Folgen bis heute. Metropol Verlag, Berlin. ISBN 978-3-940938-96-1, 167 Seiten, Preis: 16,00 Euro
Jörg Gerke