Klima: Vom Schritt in den Galopp
Landwirtschaft
Juristen machen Klimapolitikern Beine
„Mit diesem Gesetz schaffen wir mehr Generationengerechtigkeit, mehr Planungssicherheit und einen entschlossenen Klimaschutz, der die Wirtschaft nicht abwürgt, sondern umbaut und modernisiert“, lobte Umweltministerin Svenja Schulze. Sie meint den Kabinettsbeschluss am Mittwoch. Ein Satz, der für jeden Schritt für Umwelt und Klima Gültigkeit hat. Diesmal allerdings hat die Koalition nicht agiert, sondern nur reagiert. Auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, dass den Klimastreitern
„Ziele mit Zähnen“
Für die Bundesumweltministerin Svenja Schulze war das Urteil „ein unverhoffter Moment“, den gleich zu nutzen wusste und die Fachabteilungen für eine Neufassung des Klimaschutzgesetzes beauftragte. Das Gericht habe den Mechanismus des Gesetzes nicht in Frage gestellt, sondern geurteilt, es „brauche mehr davon“. Die Kläger hatten bemängelt, dass für die Ziele keine Zwischenziele aufgestellt waren und die Verantwortung auf Kosten der neuen Generationen durch größeren Aufwand nach hinten geschoben werde. Jetzt müssen alle Sektoren für jedes Jahr Ziele Reduktionsziele für Emissionen aufstellen und bei absehbaren Lücken sofort nachbessern. Der Kabinettsentwurf habe jetzt die „Ziele mit Zähnen“ ausgestattet.
Svenja Schulze sagte, sie habe vor zwei Wochen nicht gedacht, dass die Koalition noch auf den letzten Metern der Legislaturperiode zu einer Einigung kommen. Jetzt steht eine Schlussbefassung vor dem Sommer und vor allem für Wahlkampf, zur Verfügung. Für die SPD-Ministerin ist das auch ein deutlicher Punktsieg vor dem Sommer und dem Wahlkampf. Das Klimaschutzgesetz antizipiert die EU-Regeln, weil die Legislative schneller reagieren kann. Bis 2030 werde es nicht mehr nur 55, sonder 60 Prozent Reduzierung der Emissionen zum Vergleichsjahr 1990 geben. Bis 2040 steht eine Minderung von 88 Prozent ins Haus und die Klimaneutralität soll 2045 erreicht werden. Ab 2050 soll Deutschland nach Schulze negative Emissionen emittieren, also mehr speichern als an die Umwelt abgeben. Dazu müsste das Land seine Klimaschutzmaßnahmen verdoppeln, so Schulze und zählt nicht nur die bereits vorhandenen Maßnahmen wie Elektromobilität, Sonnen- und Windkraft, sondern auch den grünen Wasserstoff auf. Vor dem Hintergrund der Pariser Klimaziele sind die Maßnahmen längst kein deutscher Alleingang mehr, sondern international eingebettet, was die Aufgaben leichter machten.
Landwirtschaft
„Die neuen Sektorziele für die Landwirtschaft sind ambitioniert, aber ich halte sie für unseren Bereich für machbar“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner nach dem Bundeskabinett. Landwirte dürfen bis 2030 nur noch 56 statt wie bisher 58 Millionen Tonnen CO2Äqi ausstoßen. In einer Protokollerklärung hat Klöckner folgende Maßnahmen festgehalten:
Im Erhalt und der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder und der Holzverwendung liegt ein enormes Klimaschutzpotenzial. Die Wälder sind einzigartige CO2-Speicher: Sie binden etwa 58 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr. Diese Ökosystemleistungen müssen honoriert werden. Neben dem Erhalt und Aufbau der CO2-Speicherungskapazität durch klimastabilen Waldumbau gehört hierzu auch der Ausbau der stofflichen Verwertung von Holz, etwa im Gebäudebereich.
Reduktion der Methanemissionen aus der Landwirtschaft durch die Nutzung von Gülle und Wirtschaftsdüngern in Biogasanlagen. Ausbau des Programms zur energetischen Verwertung landwirtschaftlicher Reststoffe.
Weiterentwicklung und Optimierung rechtlicher und finanzieller Förderung zugunsten besonders umweltfreundlicher Verfahren wie dem ökologischen Landbau oder anderer besonders nachhaltiger Verfahren der Landbewirtschaftung.
Erleichterung der Anwendung von Minimalbodenbearbeitungstechniken im Ackerbau, die wesentlich zum Humusaufbau und damit zur Bindung von CO2 in landwirtschaftlichen Böden beitragen. Dazu bedarf es Fortschritte hinsichtlich der Anerkennung von bereits in anderen Mitgliedstaaten zugelassener Pflanzenschutzmittel (z. B. Herbizide).
Nutzung neuer Züchtungstechniken, um schnell Fortschritte für dürreresistentere und krankheits- sowie schädlingsresistentere Kulturpflanzen zu erreichen und damit weitere Energieeinsparungen zu erzielen.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) fordert eine Neubewertung von Methan, das nur ein kurzfristiges Treibhausgas sei: „Biogenes Methan aus der Tierhaltung werde innerhalb von etwa 12 Jahren zu CO2 abgebaut. Dieses CO2 wurde zuvor über das Pflanzenwachstum (Fotosynthese) aus der Atmosphäre entnommen. Durch biogenes Methan entsteht demnach kein zusätzlicher Treibhausgaseffekt. Somit ist eine langfristige Stabilisierung der landwirtschaftlichen Methanemissionen hinreichend, um dem Ziel der Klimaneutralität zu entsprechen.“ Zudem müssen die Anrechnungen der Klimaschutzleistungen der Landwirte vor allem bei der Bioenergie angemessen berücksichtigt werden.
In die gleiche Kerbe schlägt das Hauptstadtbüro Bioenergie. Die Bioenergie könne in allen Bereichen eingesetzt bereits heute rund 60 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Bioenergie sei vor allem dort Problemlöser, wo andere Klimaschutztechnologien an ihre Grenzen stoßen.
Verbraucher entlasten
Ein Schlüsselelement der Emissionsreduzierung ist der Preis für Kohlendioxid. Die fossilen Energien sind im Januar 2021 schon teurer geworden und hebeln finanziell alle Einsparungen bei Verbrauchern auf. Um künftige Mehrbelastungen zu vermeiden, sollen Vermieter die Hälfte des CO2-Preises tragen, um sie beim Strom- und Heizverbrauche finanziell in die Pflicht zu nehmen. Die Verteilung der CO2-Kosten bleibt ein Problem. Der Anstieg der Energiepreise resultiert aus einem Anstieg des Preises pro Tonne CO2 auf 25 Euro. Das ist nach Experten noch lange nicht ein Wert mit Lenkungsfunktion.
Der Emissionspreis belastet aber nicht nur Verbraucher, sondern auch den Handel. Für den Handelsverband Deutschland (HDE) sogar „überproportional hoch. Deshalb sollte der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie besser über den CO2-Preis bezahlt werden“, schlägt der HDE vor. Antje Gerstein ist HDE-Geschäftsführerin für Nachhaltigkeit und sieht die Chance, die Förderung erneuerbarer Energien komplett über den Emissionspreis zu finanzieren. „In der Folge sollte dann die ungerechte, den Handel und die Privatverbraucher überdurchschnittlich belastende, EEG-Umlage abgeschafft werden.“
Mehr umsetzen
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert neben einer fairen Kostenverteilung für Emissionen und dem Ausbau neuer Energien ein Sofortprogramm für den Gebäudesektor. Dort müsse die Verbesserung der Energieeffizienz aufgenommen werden. Im Rahmen der klimaschonenden Mobilität müsste der Öffentliche Personennahverkehr ausgebaut und die Pkw- CO2-Label überarbeitet werden.
Simone Peter kritisiert als Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BBE) die kurze Frist von 24 Stunden für eine Verbändeanhörung vor dem Kabinettsentwurf und beschreibt die Dimension eines beschleunigten Ausbaupfades: Die Nutzung Erneuerbarer Energien sei insgesamt um den Faktor 2,4 von 455 Terrawattstunden (TWh) (2019) auf 1.084 TWh bis 2030 zu steigern und ein konkreter Zeitplan für den Abbau der fossilen Subventionen vorzulegen. Unter Berücksichtigung des steigenden Bruttostromverbrauchs durch E-Mobilität, Wärmepumpen und Grünen Wasserstoff im Rahmen der Sektorenkopplung müsse vor allem der Ökostromanteil erheblich von 242 TWh (2019) auf 575 TWh (2030) gesteigert. „Photovoltaik und Windenergie an Land sind zu entfesseln und ihre installierte Leistung mindestens auf 205 bzw. 95 Gigawatt zu erhöhen, die Beiträge von Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft zu stabilisieren und ihr Flexibilitätspotential im Strommarkt zu würdigen“.
Konkrete Verbesserungsvorschläge hält auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) bereit. Alle Gesetzesvorhaben für den Klimaschutz müssten beschleunigt werden. „Weil jede Tonne zählt“ müsse die Reduktion von Kohlendioxid vorangetrieben werden: Die Ausschreibemenge von PV- und Windkraft müsse von 100 auf 125 Gigawatt (GW) und 71 auf 90 GW (onshore-Wind) erhöht werden. Für die Einsparung von 39 Millionen Tonnen CO2 in der Wärmeversorgung müsse es ein Bundesförderungsprogramm geben. Gerade der Wärmebereich sei deutlich zu wenig betrachtet und gelte als „schlafender Riese“ für den Klimaschutz. Für das Repowering von Windenergieanlagen müsse es Sondervorschriften im Bundesimmissionsschutzgesetz geben.
Die Europakarte
Der Deutsche Raiffeisenverband bezeichnet den Entwurf als „Schnellschuss“. Das Bundesverfassungsgericht sieht für die Nachbesserung eine Frist bis Ende 2022 vor. Wenn Deutschland vorfristig Ziele festsetzt, ohne das Europa sein Regelwerk vorgelegt hat, seien die Rahmenbedingungen im Klimaschutzgesetz weder langfristig noch sorgten sie für Planungssicherheit.
Auch der Zentralverband Gartenbau (ZVG) moniert die fehlende europäische Ebene. Generalsekretär Bertram Fleischer befürchtet eine Verschärfung des Strukturwandels und Aufgabe von gärtnerischen Produktionsbetrieben. „Für einen effektiven Klimaschutz bedarf es einer effizienten Umsetzung, einer angemessenen Unterstützung bei Investitionen sowie eines tragfähigen Schutzes gegen europäische und internationale Wettbewerbsnachteile“, erläuterte Fleischer. Ansatz sei die zügige Weiterentwicklung des europäischen Emissionshandels.
Überwiegend Grünstrom an Ladestationen des Handels
Elektroautos sind nur so grün, wie der Strom, mit dem sie betankt werden. Das EHI-Retail-Institut aus Köln hat am Donnerstag seine Studie „Elektromobilität im Handel 2021“ veröffentlicht. Demnach liefern 70 Prozent der Ladestationen, die der Handel auf seinen Parkplätzen aufgestellt hat überwiegend zertifizierten Grünstrom. Im Gegenzug lassen sich die Händler diesen Service auch bezahlen. 30 Prozent der Händler bieten den Ladestrom kostenfrei ab, bei 12 Prozent ist das Laden für die Kunden kostenfrei und fünf Prozent bieten einen vergünstigten Tarif an. Der Anteil der Handelsketten, die das Strom-Tanken grundsätzlich abrechnen, ist von 2019 zu 2020 von 18 auf 29 Prozent gestiegen. Künftig soll nach Einschätzungen der Händler mit rund 30 ct/kWh künftig das Preisniveau für Privathaushalte abgerechnet werden.
Die meisten Ladevorgänge werden bei Lebensmittelgeschäften (25 pro Woche und Ladestation) ermittelt. Es folgen Baumärkte (15) und Fachmärkte mit 12 Ladevorgängen pro Säule und Woche. Ein Drittel der Händler gibt eine Auslastung einer Ladesäule von zehn Prozent an, 20 Prozent geben Werte über 50 Prozent an.
Klimaschutz beginnt im Kopf
Widerstände gegen den Klimaschutz beginnen im Kopf. Der BUND kritisiert „üppige Dividenden“ bei BMW. Mehr als eine Milliarde Euro werden ausgeschüttet, obwohl „Verbrenner und Plug-in-Hybride in die Mottenkiste“ gehörten. Geschäftsführerin Antje von Broock fordert eine zügige Umstellung der Produktpaletten in der Automobilindustrie. Die Ausschüttung von BMW wäre als Investition für einen Konzernumbau und Qualifizierung der Beschäftigen langfristig sinnvoller. Der BUND kritisiert, dass vor allem die Plug-in-Hybride maßgeblich dazu beigetragen, dass BMW durch die unrealistisch niedrigen, offiziellen Verbrauchswerte der Fahrzeuge den CO2-Flottengrenzwert der EU erreichte. Dabei haben Plug-in-Hybride auf der Straße im Vergleich zu reinen Verbrennerfahrzeugen oft sogar höhere Kraftstoffverbräuche und werden meist ohne jeden Nachweis darüber genutzt, ob sie überhaupt elektrisch geladen und mit Strom gefahren werden.
Roland Krieg; VLE
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