Kommt jetzt die Angst vor der Digitalisierung?

Landwirtschaft

Digitalisierung in Landwirtschaft und Gesellschaft

Die Digitalisierung von Eigenheim bis zum Stall geht voran. Stromzähler und Kühe werden „smart“. Die Chancen haben in den letzten Jahren die nächste unausweichliche technische Revolution eingeleitet. Menschen bezeichnen sich schon selbst als „digital native“. Wer aus dem Rahmen der Nullen und Einsen herausfällt, fällt gesellschaftlich zurück. Die Landwirtschaft ist einer der Wirtschaftsbereiche, die mit Einzelpflanzenbetreuung und mehr Tierwohl Vorteile durch Digitalisierung versprechen, die von der Gesellschaft in den Vordergrund rücken. Das einzelne Tier rückt wieder mehr in den Vordergrund, weiß Prof. Dr. Engel Friederike Hessel, Digitalisierungsbeauftragte des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

Die Professorin für „Digitale Landwirtschaft“ an der TU Braunschweig war am Montag eine der Fachexperten, die vom Bundestagsausschuss Ernährung und Landwirtschaft zur Vertiefung des Bildes, wie Ausschussvorsitzender Alois Gerig es formulierte, eingeladen war. Doch genauso umfangreich wie die Vorteile, konnten die Wissenschaftler auch die Risiken aufzählen, die mit der Digitalisierung der Landwirtschaft und der Gesellschaft verbunden sind: „Datenhoheit, Datenschutz und Schutz vor Datenmissbrauch und Ausfall von Datenübertragung sowie das Verschütten des Wissens, ergänzte Dr. Hessel selbst.

Umwelt in Wert setzen

Was die Expertenrunde auf Einladung der Parteien für die Landwirtschaft diskutierte, gilt für die anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche gleichermaßen. Die Landwirtschaft hebt sich dadurch hervor, dass die im Gegensatz zur Industrie mit einer „Fülle an variablen Informationen“ wie dem Wetter, dem Boden, dem Verhalten der Tiere und der Fütterung umgehen muss. Demgegenüber habe die Industrie es mit standardisierten und konstanten Umweltbedingungen zu tun.

Am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) entwicklen die Wissenschaftler derzeit eine App, mit der Landschaftssysteme durch Digitalisierung standortspezifisch verbessert werden können. Prof. Dr. Sonoko Bellingrath-Kimura will die Daten zu neuen Wertschöpfungsketten verknüpfen. Vor allem will sie die Umweltmaßnahmen mit der Kopplung an landwirtschaftliche Produkte in Wert setzen. Der ZALF-Prototyp mache das Greening in der Landwirtschaft rechtskonform und überprüfbar. Für den Schutz der Daten müsse „unbedingt eine sichere Plattform geschaffen werden.“

Masterplattform Agrar

Wie die Plattform aussehen soll und wie sie betrieben wird, daran arbeitet nach Prof. Dr. Reiner Brunsch vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) ein Konsortium von Wissenschaftlern, die bald ein erstes Papier vorstellen werden. Algorithmen können bald bessere Empfehlungen geben, als der menschliche Berater. „Das könne man mögen oder nicht“, stellte Brunsch fest. Aber damit sei der Wissens- und Erfahrungsverlust verbunden, der sich kollektiv zu einem Verlust an Ernährungssouveränität bemerkbar machen könne. Die Datenplattform müsse vertrauenswürdig ausgestaltet sein und sich am Gemeinwohl orientieren.

Hintergrund ist die Frage nach der „Eigentumseigenschaft“ der Daten. Landwirte erheben eine Vielzahl an Daten auf Betriebsebene, die aber erst außerhalb des Betriebes durch Verknüpfung mit weiteren Daten an ökonomischen Wert gewinnen, beschreibt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV) die Situation auf den Höfen [1]. Weil das Tempo der Digitalisierung hoch ist, fürchtet Krüsken um den fehlenden Zugriff auf die notwendigen Regelungen.

Digitales Merchandising

Die Befürchtungen reichen von der Wissenschaft bis zu Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam. Deren Referentin Marita Wiggerthale hat auch den Süden der Entwicklungsländer im Blick. Bei der Digitalisierung gehe es um „Big Data“ und betriebsrelevante Daten. Es gehe um eine „weitreichende digitale Transformation“, bei der „großflächige Überwachung und Verhaltensmodulierungen“ möglich sind. Die Kausalität der Algorithmen werde zu wenig in Frage gestellt. Schon heute umwirbt die Agrarbranche Landwirte zur Erstellung von Nutzerprofilen. Damit werden Koppelgeschäfte mit Saatgut und Dünger gemacht. Wiggerthale warnte, „nicht blind in die Digitalisierung zu laufen, ohne einen guten politischen Rahmen zu schaffen.“

Noch keinen Wandel erreicht

Dabei hat die Digitalisierung nach Walter Haefeker, Präsident des Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbundes (DBIB), noch gar nicht richtig angefangen: „Wir werden dem Thema nicht gerecht, wenn wir die Digitalisierung nur auf der Basis verfügbarer Produkte betrachten.“ So sind Autos bereits mit GPS, ABS und Assistenzsystemen ausgestattet, was die Mobilität bislang noch gar nicht verändert hat. Erst durch autonome Fahrzeuge stellen sich die disruptiven Fragen, ob der Privatmensch noch ein Auto braucht, ob der Stadtverkehr nicht bereits auf Fahrrad und Elektrokleingeräte umgestellt ist? So weit sei die Landwirtschaft noch nicht. Vieles in der Digitalisierung sei noch Automatisierung. Aber einen wirklichen Umbau der Landbewirtschaftung mit Hilfe der Digitalisierung, bis hin zu einer bienenfreundlichen Bewirtschaftung, sei noch nicht in Sicht. Die Schlüsseltechnologien dafür befinden sich noch in der Forschung. Doch Haefeker will schon heute den Satz formulieren, dass für die entscheidenden Maßnahmen für öffentliche Güter auch öffentliche Gelder bereit stehen müssen.

Alle zwei Tage vermessen Satelliten Deutschland auf zwei bis fünf Meter genau. Mit der Erdbeobachtung sind dann auch Veränderungsanalysen möglich, können Pflanzenkrankheiten erkannt, die Biomasse vermessen und die Ernte eingeschätzt werden. Diese Daten sind kostenfrei verfügbar, erläuterte Prof. Dr. Hansjörg Dittus, Vorstandsmitglied des Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dittus plädiert für eine Agrar-Masterplattform, die sowohl Aufnahme und Ausarbeitung der Daten sicher stellt. Mit Datensicherheit und Schutz der Privatdaten, die nur noch anonymisiert ausgelesen werden können. Der Begriff „open data“ ist für den Präsidenten Der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow, ebenfalls wichtig. Die Digitalisierung sei kein Allheilmittel und die eine große Plattform für standardisierte Daten fehle noch. Deutschland könne hier Vorreiter werden, wie Techniker einst den Isobus für eine plattformunabhängige Verbindung zwischen Traktoren und Arbeitsgeräten geschaffen haben.

Baustellen

Die Baustellen sind benannt. Die Digitalisierung braucht vor allem 5G-Netze für die hochqualitativen Daten. Dr. Hermann Buitkamp vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDAMA) will Datennutzungspläne wie Bebauungspläne behandelt wissen. Die aktuelle Ausschreibung der Funkfrequenzen werde die Funklöcher nicht stopfen. Doch für den Bereich zwischen 3,7 und 3,8 Gigahertz könnten regional Bedarfspläne erstellt werden, für deren Deckung sich lokale Betreiber bewerben könnten. Nach Bernhard Krüsken sollte das Roaming zwischen allen Akteuren eingeführt werden. Dazu sei es noch nicht zu spät. Zur Bereitstellung infrastruktureller Lösungen gehört für Hubertus Paetow auch die Ausbildungsfrage. Wissen und Ausbildung im Bereich der Digitaliserung ermöglicht erst die Beantwortung von Fragen, welche Lösungen für den einzelnen Betrieb überhaupt erst Sinn machen. Und gegen die Kopplungsgeschäfte will Marita Wiggerthale das Kartellrecht schärfen. Datenmacht kann als Kriterium für die Frage nach der Marktmacht bei allen Sektoren und allen Unternehmen eingeführt werden. Kopplungsgeschäfte sollen verboten und anmeldepflichtig werden. Die EU habe das nach Haefeker bereits verstanden und die Digitalsparte von Bayer für die Fusion mit Monsanto verkaufen lassen. Die ging an die BASF.

Lesestoff:

[1] Rechtsfragen hinken beim Thema Digitalisierung hinterher: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/digitalisierungstrend-in-der-landwirtschaft.html

Kommt die Politik beim Farming 4.0 hinterher? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/digitalisierung-ist-ein-chancenthema.html

Vom BoniRob bis zur Vertikalsierung: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bonirob-und-vertikalisierung.html

Satellitendaten kostenfrei nutzen: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/digitalisierung-staat-gegen-wirtschaft.html

Biolandwirtschaft digital: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/biolandwirtschaft-digital.html

Konzern, Macht und Landwirtschaft: https://herd-und-hof.de/handel-/konzern-macht-und-fremdbestimmung.html

Roland Krieg

Zurück