Kompetenzzentrum Biodiversität in Berlin

Landwirtschaft

Biodiversität mit neuester Technik verstehen

Zwei Universitäten und drei Forschungseinrichtungen haben am Donnerstag ein Kompetenzzentrum zur Erforschung der Biodiversität eingeweiht. In den Laboren des Botanischen Museums Dahlem betreiben sie eine neue Forschungsinfrastruktur und können auf die Sammlungen des Botanischen Gartens, des Botanischen Museums und Naturkundemuseum Berlin mit seinen 30 Millionen Belegen zurückgreifen.

Forschungsvielfalt

Für Prof. Dr. Peter-André Alt, Präsident der FU, bildet die Gemeinschaft mit der Universität Potsdam, der FU Berlin, dem Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin sowie dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung eine regionale Forschungsvielfalt, die universitäre und außer-universitäre Forschung bündelt. Solche Kooperationsmodelle seien programmatisch, da in absehbarer Zeit die Bundesmittel sinken werden.
In Deutschland wird bei der Forschung strenger als in anderen Ländern zwischen Universitäten und Unternehmen getrennt. Nach Dr. Knut Nevermann, Staatssekretär der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, ist die Kooperation eine sinnvolle Zusammenführung. Im Wissenschaftsranking liege Deutschland deshalb weiter hinten, weil nur die universitäre Forschung berücksichtigt werde. Fasse man beide Sektoren zusammen, dann rücke das Forschungsland Deutschland auf Augenhöhe mit anderen Nationen vor.

Anthropozän

Die letzten 11.000 Jahre der Erdgeschichte werden als Holozän bezeichnet. Das „völlig neue“, so die Übersetzung aus dem griechischen, begann mit dem Ende der Weichseleiszeit und dauert noch heute an. Nach Prof. Dr. Klement Tockner, Sprecher des Biodiversitätsverbundes der Leibniz-Gemeinschaft, schlägt als neues Zeitalter das des Anthropozän vor. Der Mensch hat seine bleibenden Eindrücke in der Umwelt hinterlassen. So sind beispielsweise 80 Prozent der brandenburger Fließgewässer künstlich. Auch im Boden sind bereits 90 Prozent der Tiere nicht mehr nur heimischen Ursprungs.
Eine rein konservierende Betrachtung der Biodiversität sei nicht mehr zeitgemäß, so Prof. Tockner. Man müsse untersuchen, welche neuen Wechselwirkungen zwischen den neuen und alten Arten entstanden sind.

Vielfältige Aufgaben

Daher sind die Projekte der Berliner auch umfangreich. Es geht nicht nur um die Inventur der Artenvielfalt, es geht um das Verständnis, wie Arten entstehen, um Naturschutzgenetik und Zuchtmaßnahmen, dem Blick in die Vergangenheit durch die Belege der Museen und Erforschung der Anpassungsfähigkeit von Mikroorganismen.

Neueste Technik

Bislang ist die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) das gängige Verfahren, Gensequenzen aufzuspüren. Mit Hilfe eines Musters findet das PCR den gewünschten Abschnitt und kann ihn millionenfach kopieren, bis er auch nachgewiesen werden kann. Das Berlin Center for Genomics Biodiversity Research (BeGenDiv) hingegen verwendet mit dem Pyrosequenzierer eine neue Technologie, die 200 Mal schneller die gewünschten Informationen liefert. Gene können in kürzerer zeit kosteneffizienter entschlüsselt werden. Damit bilden nicht nur einzelne Gene die Grundlage für Schlussfolgerungen, sondern ganze Genome mit größerer Genauigkeit. Damit wollen die Forscher nicht nur Individuen, sondern Genome auf Populationsebene betrachten.

Nahrung und Agrobiodiversität

Der Mensch selektiert auf der Suche nach Nahrung aus. Feinde und Nahrungskonkurrenten wurden ausgerottet und es sind nur noch wenige Nutzpflanzen und Nutztiere, die der Erzeugung von Nahrungsmitteln dienen. Daher sind viele Nutztierrassen und alte Pflanzensorten vom Aussterben bedroht. Das prägt auch die Agrarlandschaften, in denen nur noch die wenigen Kulturpflanzen angebaut werden. Das gilt auch für Wälder, in denen die Bäume bevorzugt werden, die Nutzholz liefern. „Die einst klar erscheinenden Unterschiede zwischen Agrarlandschaft und Wäldern verschwinden angesichts der Bedrohung der gesamten Biodiversität“1).

Artenschwund

Den Artenschwund auszumachen ist schwer, denn die meisten Arten sind nicht bekannt. Von den bekannten Arten ist die Aussterberate 100 bis 1.000 Mal höher als normal, erklärt Prof. Dr. Thomas Borsch, Direktor des Botanischen Gartens und Botanischen Museums in Berlin. Es sind aber auch nur zwischen zwei und zehn Prozent der Artenvielfalt bekannt. Je kleiner die Art, desto weniger bekannt, wie die folgende Tabelle zeigt:


Forschung für die Praxis

Neben der Grundlagenforschung steckt auch viel angewandte Wissenschaft in dem Projekt. Gegenüber Herd-und-Hof.de erläuterte Dr. Tockner, dass die Ergebnisse die Lebensfähigkeit eines Ökosystems beschreiben werden. Neue arten müssen nicht per se negativ sein, sondern werden eine neue evolutionäre Gemeinschaftlichkeit mit bestehenden Arten herausbilden. Gerade was die Wirt-Parasit-Koevolution und Anpassungsfähigkeit von Nutzpflanzen an den Klimawandel betrifft, versprechen sich die Wissenschaftler viele neue Erkenntnisse.
Seit nunmehr 20 Jahren sind in Deutschland keine Nutztiere mehr verloren gegangen2). Das dürfe man durchaus als erfolg werten, so Dr. Tockner. Aber 20 Jahre sind auch nur ein kleiner Maßstab in der Evolution.
Die Biodiversitätsforscher haben nicht nur das Tier- oder Pflanzenindividuum im Blick. Die Menschen haben ganze Ökosysteme domestiziert. Die gilt es zu betrachten. Angesichts der noch zu entdeckenden Artenvielfalt, erscheint es selektiv, wenn bei der Debatte um das Artensterben überwiegend „charismatische Tiere“ wie telegene Großkatzen aufgeführt werden. Das aber können die Wissenschaftler gut nutzen, um mit ihrer Hilfe auf die Komplexität des Ökosystems hinzuweisen. So verändern eingewanderte Wölfe das Ökosystem bis hinunter zur Pflanzenvegetation.

Lesestoff:

www.begendiv.de

1) Mosbrugger, Volker und Hofer, Heribert: Biodiversitätsforschung in der Leibniz-Gemeinschaft. 3. Auflage, 2009; Leibniz-Gemeinschaft.

2) Agrobiodiversität in Deutschland

Roland Krieg

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