Komplexe Gemengelage Pflanzenzüchtung

Landwirtschaft

Wo sind die wirklichen Probleme beim Genom Editing?

Die EU-Kommission hat die Veröffentlichung ihres Berichtes zu den neuen Züchtungstechniken (Genom Editing) um einen Tag auf Heute vorgezogen. Auch die praktizierenden Landwirte in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) haben im Vorfeld zu der mit Spannung erwarteten Publikation kein einziges Signal aus Brüssel erhalten, in welche Richtung die Kommission gehen will. Die AbL hat am Mittwoch ihre Position zur neuen Gentechnik in einer Broschüre veröffentlicht, die sich sachlich wohltuend vom dem gestern verabschiedeten Positionspapier des Bundesministeriums für Umwelt unterscheidet [1]. Zudem war bei den Nachfragen erkennbar, dass hier Profis am Werk sind.

Technik oder Geschäftsmodell?

Eva Gelinsky von der Interessengemeinschaft für gentechnikfreies Saatgut (IG Saatgut) kritisiert, dass die alten und neuen Gentechnikmethoden noch keine der einstmals von der Wissenschaft versprochenen „Superpflanzen“ hervorgebracht hat. Carl Vollenweider vom Dottenfelder Hof in Hessen kann das auch in einem Satz erklären: „Pflanzen sind komplexe Organismen.“ Merkmale bilden eine Eigenschaft, die aus dem Zusammenwirken mehrerer Gene entstehen. Quantitative Merkmale, wie die Milchmenge für Kühe oder die Tageszunahme bei Schweinen sind genetisch einfach zu steuern. Mit dem in der Öffentlichkeit kursierenden Begriff „Robustheit“, egal ob für Pflanze oder Tier, kann kein Züchter etwas anfangen. Eine Pflanze wird dann robust, wenn sie beispielsweise ein umfangreicheres Wurzelwerk für die Erschließung von neuen Wasservorräten im Boden ausbildet. Dann ist die Pflanze „trockentoleranter“ und gegen den Klimawandel robuster. Züchter können über die Wurzelbilder der Pflanzen „robustere“ Pflanzen selektieren, kreuzen oder genomisch editieren.

Vollenweider nennt das epigenetische Zusammenspiel „Interaktion der Gene untereinander und extern mit der Umwelt, wie Boden und Witterung“.

Weltweit sind vielfältige Ziele für neue Pflanzensorten „in der Pipeline“. Eva Gelinsky nennt beispielsweise das Ziel, eine Weizensorte mit einem höheren Ballaststoffanteil für eine gesunde Ernährung zu züchten. Über das Ziel wird wohl deutlich weniger gestritten. Strittig ist vielmehr der Weg. Genom Editing“ (GE) ist das Mittel der Wahl.

Herbizidtolerante Pflanzen sind „das Erbe“ der alten Gentechnik. Eigentlich langweilig und die Zielrichtung setzt einen bestimmten Baukasten voraus. Erst wird ein Herbizid entwickelt und dann die Sorte, die dagegen resistent ist. Als Baukastensystem werden Pflanze und Pflanzenschutzmittel an die Landwirte gekauft.

Allerdings ist das kein alleiniges Erbe der Gentechnik. Der so genannte Clearfield-Raps folgt seit 2011 diesem Baukasten als Geschäftsmodell – wurde aber konventionell gezüchtet. Berater der landwirtschaftlichen Offizialberatung haben schon im April 2012 Vor- und Nachteile des Herbizid-Pflanzen-Systems miteinander abgewogen [2]. Da die Bekämpfung von Kreuzblütlern schwer ist, kann das System bei sehr starker Verunkrautung eine wirkliche Lösung anbieten. Dennoch wird, wie bei jedem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die Resistenzentwicklung auf Gräser, wie beispielsweise Ackerfuchsschwanz, erhöht. Ausgefallener Clearfield-Raps tritt in der Folgefrucht als neues Problem auf. Gegen vergleichbare Wirkstoffe in der Folgefrucht, bleibt er ja auf dem Feld. Die Berater haben auch hier im konventionellen Bereich an die Koexistenz gedacht: Was passiert wenn auf einem Hof Clearfield-Raps angebaut wird, auf dem Nachbarhof aber nicht. In dem Infopapier heißt es: „Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht besonders kritisch, dass eine verbindliche Regelung für eine saubere Koexistenz zwischen Clearfield- und konventionellem Raps fehlt.“

Und hier schließt sich der Kreis zur Koexistenzfrage zwischen Gentechnik-Sorte und konventioneller Sorte, die auch ökologisch sein kann.

Nach Gelinsky hat allerdings die „alte Gentechnik“ dieses Baukastensystem erst hoffähig gemacht, sagte sie zu Herd-und-Hof.de, und werde durch GE in seiner Entwicklung beschleunigt.

Der Ansatzpunkt liegt also weniger in der Züchtungsmethode als mehr darin, Systeme zu verhindern, die Landwirte abhängig machen.

Was wird beschleunigt?

Die Beschleunigung der Züchtung durch neue Techniken schürt in der Öffentlichkeit die Erwartung oder Befürchtung, dass jeden Moment eine neue Sorte auf den Markt kommt. Der Weg einer neuen Sorte in das Regal des Landhandels aber ist lang. Die Grafik des Züchtungszyklus vom Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) [3] veranschaulicht die einzelnen Schritte die Forschung, Unternehmen und Behörden zurücklegen müssen, bevor eine neue Sorte, wie beispielsweise der ballaststoffreichere Weizen beim Landwirt ankommt.

Züchtungszyklus Pflanzen - BDP
Züchtungszyklus für Nutzpflanzen / BDP

Für die Praxis beginnt der Züchtungszyklus bei der Unternehmensforschung, die im Modell mit zwei Jahren angegeben ist. Genom Editing kann genau diesen Bereich beschleunigen. Die allermeisten Wissenschaftsmeldungen über neue Ziele und Erfolge in der Züchtung beziehen sich den Forschungsbereich, der die Zeit davor umfasst.

Sobald der Züchter ausreichend Saatgut für eine neue Sorte zusammen hat, wird diese in der acht-jährigen Sortenentwicklung auch schon für standortangepasste Sorten entwickelt. Über die Bundes- und Landessortenversuche finden dann die dreijährigen Qualitäts- und Bewertungsprüfen an verschiedenen Standorten statt. Erst dann bekommt die neue Saat eine Zulassung, die in den folgenden zwei Jahren auf speziellen Vermehrungsbetrieben auf eine marktfähige Menge für den Landhandel gebracht wird.

Ab diesem Zeitpunkt erscheint die neue Saat in der so genannten beschreibenden Sortenliste, die jede Sorte mit ihren Qualitätsmerkmalen beschreibt.

Dann ist noch lange nicht Schluss. In Landesversuchen werden in den Folgejahren immer wieder Sorten überprüft und miteinander verglichen. Welche Weizensorte hält auf den Sandböden das Versprechen mit weniger Wasser auszukommen und welche Sorte ist rückblickend mit einem Spontanereignis wie Spätfrost oder Schimmelbefall besser zurechtgekommen?  So tauchen über viele Jahre hinweg alle konventionellen und Ökosorten in langen Fachartikeln tabellarisch verglichen stetig auf.

GE-Pflanzen müssen den gesamten Züchtungszyklus zwischen 00:00 und 05:00 Uhr in der gleichen Zeit wie die konventionellen und ökologischen Sorten durchlaufen. Da findet keine Beschleunigung statt.

Vor diesem Hintergrund bleibt Eva Gelinski gegenüber GE skeptisch. Die Kontrollen und Prüfungen brauchten Zeit und es sei fraglich, ob sie ausreichten, alle möglichen unerwünschten  Effekte zutage zu bringen.

Wem gehört was?

Da Schüren von Angst vor Patenten gehört bei vielen Gentechnikkritikern dazu. Der Begriff übertüncht allerdings, dass es in Deutschland das Züchtungsprivileg gibt. Jeder Züchter darf mit den auf dem Markt befindlichen Sorten weiterzüchten. Eine weltweit einmalige Sonderregelung, die bei Saatgut einmal gewonnene Vorteile erhält. Dabei handelt es sich allerdings um einzelne Sorten, erklärt Vollenweider. Bei den Patenten hingegen werden gleich ganze Pflanzen unter Schutz genommen. Und grundlegende Techniken. So bündelt das Saatgutunternehmen Corteva die Patente für die neuen Züchtungstechniken. Für die Forschung dürfen die Methoden kostenfrei genutzt werden. Sollten sie jedoch von Unternehmen für die Entwicklung neuer Sorten für den Markt genutzt werden, müssen zuerst rund 50 verschiedene Patente lizensiert werden.

Damit widerspricht der Ökolandwirt dem Argument, dass die neuen Züchtungsmethoden, wenn auch in der Praxis einfach umsetzbar, aber eben nicht für kleine und mittlere Züchter erschwinglich sind: „Die haben dafür kein Geld.“

Genau bei dem Thema bündelt sich das, was derzeit auch bei Patenten für Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 diskutiert wird. Dürfen segensreiche Entwicklungen für alle Menschen privatwirtschaftlich patentiert werden? Die Welthandelsorganisation will das ändern. Für die Landwirtschaft übersetzt, heißt das: Die weltweite Ernährungssicherheit braucht Saatgutsicherheit.

Weltweit ist der Blick auf das Saatgut bei den Bauern unterschiedlich: In Nepal gilt als schlechter Bauer, wer nicht das eigene Saatgut anbaut. In Mali hingegen tauschen nach der Ernte die Landwirte ihr Saatgut auf privater Ebene aus [4].

Den Fokus setzen

Das internationale Beispiel zeigt, dass mit „Trusted Label“ der Welternährungsorganisation FAO gemeinschaftliche Lösungen gegen private Geschäftsmodelle möglich sind. Spätestens die globale Klima- und Umweltkrise hat gezeigt, dass die ehemals für den armen Süden vorgesehenen Lösungen auch für den Norden interessanter werden.

Dabei ist die Frage nach der Methode der Züchtungstechnik genauso zweitrangig wie die Sicherheitsprüfung, wie das Rinderbeispiel im Vergleich mit der Leukozytenmangelkrankheit am Dienstag gezeigt hat [1]. Auch konventionelle und ökologische Züchtung bergen Risiken. Wer beispielsweise Lupinen selbst nachbaut, der wird ohne Kontrollen nicht feststellen, dass sich die Bitterstoffe, die zuvor erfolgreich im zertifizierten Saatgut minimiert wurde, wieder ansteigen. Für die Vermahlung wird das Erntegut unter Umständen abgelehnt.

Es steht einiges auf dem Prüfstand. Das Gentechnikgesetz der EU. Das Patentrecht. Die Riskobewertung. Beim letzten Punkt hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit vor zwei Wochen erst festgelegt, dass Unternehmen alle Dokumente zur Risikobewertung offen legen müssen. Lösungen sind also für die meisten offenen Fragen vorhanden oder stehen auf der Tagesordnung. Selbst die sehr schwierige Frage der Koexistenz ist keine ausschließliche Frage der Gentechnik.

Also gibt es keinen Grund aus einer pauschalen Ablehnung einer Methodik heraus, jeglichem Lösungsansatz seine Chance zu verwehren. Umgekehrt ist der richtige Schritt: Die Berücksichtigung neuer Risiken in der Regulierungslandschaft. Dann können sich auch rechtliche Fragen auflösen, die Berliner Rechtsanwältin Katrin Brockmann am Mittwoch vorgetragen hat.

Lesestoff:

Die AbL-Broschüre finden Sie unter: https://www.abl-ev.de/publikationen/

[1] GE zwischen Wissenschaft, Recht und Politik; https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/genom-editing-wissenschaft-recht-und-politik.html

[2] Infobrief der Landwirtschaftskammern NI, NRW, SH und der Landesämter MV und ST sowie dem Pflanzenschutzdienst HE: https://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/pflanzenschutz/ackerbau/clearfield-raps.htm

[3]  Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchtung: https://www.bdp-online.de

[4] Food Security only with Seed Security: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/food-security-only-with-seed-security.html

Roland Krieg

© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html

Zurück