Krisen überfordern Kampf gegen Hunger

Landwirtschaft

Keine Welt ohne Hunger, ohne eine Welt ohne Frieden

Zwei Tage lang treffen sich in Berlin internationale Experten und suchen Wege für eine Welt ohne Hunger. Die gleichnamige Initiative des Bundesentwicklungsministeriums geht forsch voran und will bis 2030 den Hunger in der Welt beenden.

Das ist kein Traum. Eigentlich. Die Welt produziert bereits heute Nahrungsmittel für acht bis zehn Milliarden Menschen, stellte im Vorfeld Minister Dr. Gerd Müller heraus. Dennoch hungern in Asien 550 Millionen und in Afrika 300 Millionen Menschen. Es fehlt an Eigentumsrechten für Land, mangelnder Unterstützung der Frauen, die überwiegend die Hauptlast der Ernährung tragen müssen, Ausbildung, Forschung, Lagerkapazitäten und Logistik, die Ernte entlang der Wertschöpfungskette sicher bis in die Haushalte zu bringen. Allein in Indien verrotte die Hälfte der Ernte, sagte Müller am Dienstag vor Journalisten.

Drei Millionen Kinder im Alter bis fünf Jahre sterben an Hunger. „Hunger ist das größte lösbare Problem der Welt“, sagte der Minister und schaut schon auf den September, wenn die Weltgemeinschaft in New York an den Sustainable Development Goals (SDG) sitzt, die als Nachfolge der Millenniumsentwicklungsziele verbindlich formuliert werden.

In München wird noch in diesem Jahr ein Innovationszentrum aufgebaut, in dem die Umsetzung von Lösungswege forciert werden soll. Für die Entwicklung des ländlichen Raums und der Hungerbekämpfung stellt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) jährlich 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung [1].

Nicht nur die Politik der Industrieländer steht im Fokus. Müller will den Verbraucher in die Verantwortung nehmen: „Wir, die Reichen, müssen bereit sein, faire Preise zu bezahlen.“

Bis auf die aktuelle Euphorie ist das alles nicht wirklich neu. Neu allerdings ist die Überdeckung der „Dauerkrise Armut“ durch die wachsende Zahl der Krisenherde. Das World Food Programme der Vereinten Nationen kommt mit seiner Arbeit nicht mehr mit und musste das Gutscheinprogramm für Flüchtlinge zwischen 30 und 50 Prozent kürzen. Müller begegnete kürzlich im Libanon eine Mutter mit neun Kindern, die jetzt mit umgerechnet 18 Euro auskommen müsse.

Wachsende Krisenhilfe

Die Gelder für das World Food Programme (WFP) werden jährlich von den Geberländern bereit gestellt. Generaldirektorin Ertharin Cousin berichtete über die Kassenlage aus dem letzten Jahr. Gelder für 5,4 Milliarden US-Dollar standen zur Verfügung – gebraucht hätte das WFP 7,8 Milliarden US-Dollar. Die Geberländer seien spendabel und die Zahl der Menschen in den typischen Hungersituationen ist auch zurückgegangen. Aber die Zahl der Flüchtlinge in noch verschärfteren Situationen nehme zu. So sei eine syrische Mutter mit ihren sieben Kindern drei Monate unterwegs gewesen, bis sie ein sicheres Lager erreicht hatte. Libanon und Jordanien, selbst arme Länder, müssen Millionen von Menschen aufnehmen, die gar keinen Zugang zu Ressourcen haben und keine Reserven mit sich führen.

Hinzu kommen neue Krisenherde wie in Nigeria, aus dessen Norden zehntausende Menschen in die Nachbarländer Kamerun oder den Tschad fliehen oder der Süd-Sudan, der nach seiner Unabhängigkeit wieder in einen Bürgerkrieg verstrickt ist.

Die Gutscheinprogramme der WFP laufen ohne neue Gelder im Mai aus und der Organisation drohe eine leere Schatulle noch vor Dezember 2015.

Hoffnung setzt Cousin auf die Ende des Monats in Kuwait angesetzte dritte Geberkonferenz im Syrienkonflikt. Schon die beiden ersten hätten deutliche Geldreserven hervorgebracht, doch ohne weitere Gelder gehe es trotzdem nicht weiter.

Daher will Cousin die Berliner Konferenz und die knappe Kassenlage des WFP nutzen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Lage der Welt zu legen. Die Krisen fressen nicht nur die „normalen Hungerprogramme“ auf, sondern überschatten sogar das Problem, das bis 2030 gelöst werden könnte. Das Jahr 2015 mit einer großen Geberkonferenz in Addis Abeba zur Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit, dem Klimagipfel in Paris und den SDG-Treffen in New York, kann die Weltgemeinschaft endlich in der Erkenntnis zusammenbringen, dass die Probleme nur gemeinschaftlich gelöst werden können. Denn: „Wir haben die Lösungen für alle Probleme.“

Lokale Verantwortung wecken

Das sieht auch die Präsidentin der Welthungerhilfe genauso: „Es geht nicht mehr nur um eine humanitäre Frage, es ist eine Sicherheitsfrage. Die Menschen werden ihre Unsicherheit auf Dauer nicht mehr hinnehmen“, sagte Barbara Dieckmann. Wenn es keine anderen Einkommensmöglichkeiten gibt, schließen sich junge Menschen für 200 bis 300 US-Dollar radikalen Kräften an und destabilisieren ganze Regionen. Der Bürgerkrieg in Syrien geht schon ins vierte Jahr und die Weltgemeinschaft hat noch immer keine Antwort darauf. Gehe es so weiter, warnt Dieckmann, sei dauerhaft eine Großregion instabil. Diese Aufgabe könne nur die Weltgemeinschaft lösen.

Ein wenig Frustration ist bei Dieckmann zu hören. Vor vier Jahren hätte niemand an Krisen in Syrien oder der Ostukraine gedacht. In der Ukraine steigen die Lebensmittelpreise und sind für die Menschen immer weniger zu finanzieren. Heute „brenne“ es an vielen Ecken der Welt und macht Fortschritte zunichte. Anstatt sich mit den Aufgaben für den Klimawandel zu rüsten, verschärfen die Menschen Konflikte unnötig.

Es gebe zahlreiche Beispiele, wo die Hungerbekämpfung nicht funktioniert – aber auch zahlreiche Beispiele, wo es funktioniert. Dort stehen die kleinbäuerliche Landwirtschaft und kleine Unternehmen aus der Region im Vordergrund. Die erzielen Gewinne, die im Land bleiben und lokal reinvestiert werden, beschreibt Dieckmann das Erfolgsmodell.

Dazu müssen die Staaten selbst Voraussetzungen schaffen, denn die Einkommen gehen auch in den Entwicklungsländern immer weiter auseinander. Um soziale Sicherungssysteme zu schaffen, müssen die Länder ein Steuersystem aufbauen und darüber eine Umverteilung anstoßen.

Modernisierung

Am Dienstagabend sagte Dr. Ousmane Badiane, Direktor für Afrika am International Food Policy Research Institute (IFPRI), das die Zeit für Investitionen in die Landwirtschaft und den ländlichen Raum noch nie war als heute. Jede Investition mache sich bezahlt und sichere den Lebensunterhalt der Menschen. So haben Kleinbauern aus dem Senegal über einen Vermarktungszusammenschluss ihren Gemüseexport in die EU innerhalb weniger Jahre verdreifachen können – ohne dass sie ihre Ländereien haben vergrößern müssen.

Dennoch lautet das künftige Credo für die Landwirtschaft „Modernisierung“. Alles, was die Produktivität vor Ort steiger, gebe den Menschen neue Lebensmöglichkeiten. Das gelte auch für die umstrittene Gentechnik. Afrika solle sich aktiver in die Diskussion einmischen und einen eigenen Standpunkt darlegen.

Kleinbauern kontra Unternehmenskapital

Kritik zur Tagung gab es von einigen Entwicklungsorganisationen wie dem Inkota-Netzwerk, oder Oxfam. Auch die Grünen aus der Opposition wehren sich gegen die Beteiligung der Agrarindustrie, deren eigene Programme gegen die Kleinbauern gerichtet sind. Die Balance ist schwierig und nur über die Frage zu finden: Was wollen wir? Das private Kapital ist deutlich größer als die öffentliche Entwicklungshilfe. Selbst Ertharin Cousin will die privaten Unternehmer in die globale Verantwortungsgemeinschaft einbeziehen. Nicht jeder Kleinbauer will in seiner Subsistenz konserviert bleiben; aber fairen Zugang zu Ressourcen, die seinen Betrieb nach vorne bringen, braucht er schon.

Auch das wird in diesem Jahr ausgiebig debattiert werden müssen.

Lesestoff:

[1] Das BMZ freut sich über den größten Etat seiner Geschichte

Grüne Zentren in Afrika

Zukunftscharta des BMZ

Roland Krieg; Fotos: roRo

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