KTBL-Jahrestagung zur Nachhaltigkeit
Landwirtschaft
Steuerung einer nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft
Der Agrar- und Ernährungssektor steht heute vor
zunehmenden Anforderungen an eine ökonomisch existenzfähige und gleichzeitig
ökologisch tragfähige sowie sozial verantwortliche Produktion. Die
Wettbewerbsfähigkeit, aber auch die Akzeptanz der Landwirtschaft hängen
wesentlich davon ab, wie diese Herausforderungen gemeistert werden.
Welche Methoden der Nachhaltigkeitsbewertung sind
bereits praxisreif und etabliert, welche Indikatoren sind noch in der
Entwicklung? Welche Steuerungsinstrumente für das betriebliche und überbetriebliche
Management stehen zur Verfügung? Wie ist der Stand der Technik und des
Datenmanagements im Hinblick auf die automatische Datenverarbeitung? Diese
Fragen im Zusammenhang mit den Anforderungen an eine nachhaltige Land- und
Ernährungswirtschaft aus der Sicht verschiedener Akteure – Politik, Konsument,
Lebensmitteleinzelhandel, Nichtregierungsorganisationen und Medien – standen im
Fokus der diesjährigen Fachtagung der KTBL-Tage(Kuratorium für Techik und Bauwesen in der Landwirtschaft) in Neu-Ulm am 10. und 11.
April.
Nachhaltigkeit
Anforderungen an eine nachhaltige Land- und
Ernährungswirtschaft Dr. Rainer Gießübel vom Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) stellte die Leitsätze und Ziele
zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vor. Im Bereich der
nachhaltigen Tierhaltung sind freiwillige Tierschutzlabels und die
Unterstützung nationaler Initiativen der Wirtschaft ein Vorschlag der
BMELV-Projektgruppe „nachhaltige Tierhaltung“. Nachhaltige Entwicklung mit
konkreten Anforderungen ist eine Daueraufgabe, die nur schrittweise zu
verwirklichen ist und nie vollständig erreichbar sei, so Rainer Gießübels
Fazit.
Prof. Dr. Achim Spiller von der
Georg-August-Universität in Göttingen legte dar, dass nachhaltige Lebensmittel „Vertrauensgüter“
sind, da die Konsumenten die besonderen
Eigenschaften nicht am Endprodukt überprüfen können. Nachfolgend stellte Achim
Spiller die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung von verschiedenen Labels
vor. Der direkte Vergleich von realen und erfundenen Labels zeige, dass ein
Nachhaltigkeitslabel belastbare und transparente Informationen zu Prozess- und
Produktqualität bereitstellen muss, um eine fundierte Entscheidungsfindung
des Konsumenten zu ermöglichen.
Aufklärungsaktionen für Verbraucher bieten
Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie Greenpeace und PETA (People for the
Ethical Treatment of Animals). Dr. Jürgen Struck vom Deutschen Fachverlag aus
Frankfurt am Main unterstrich in seinem Vortrag den enormen
Vertrauensvorsprung, den NGO in der Bevölkerung genießen und somit Einfluss auf
die politische Meinungsbildung haben. Das erfolgreiche Zusammenspiel der NGO
mit den Medien und der Politik könne der Landwirtschaftsbranche wertvolle Hilfe
und Vorbild sein.
In seinem Vergleich von internationalen Ansätzen zur
Nachhaltigkeitsbeurteilung präsentierte Dr. Jan Grenz von der Berner
Fachhochschule in Zollikofen, Schweiz, die Zielsetzungen verschiedener
Bewertungssysteme sowie deren regionale Verbreitung. Jan Grenz teilte mit, dass
es noch nicht „das“ kompakte System gäbe, mit dem ganze Wertschöpfungsketten
auf Nachhaltigkeit geprüft werden können. „Indikator- und Kriteriensysteme
sollten unterstützend und nicht bevormundend eingesetzt werden“ so seine
Schlussfolgerung.
Praxiserfahrungen mit Bewertungssystemen
Übergreifende Bewertungssysteme für landwirtschaftliche
Betriebe wie RISE (Response-Inducing Sustainability Evaluation), Kriterien System
Nachhaltige Landwirtschaft (KSNL) oder das DLG-Zertifizierungssystem
„Nachhaltige Landwirtschaft – zukunftsfähig“ haben bisher nur wenig Anwendung
in der praktischen Landwirtschaft gefunden. Einem erhöhten
Dokumentationsaufwand könne man mittels Einsatz moderner
Kommunikationstechnologie, einheitlicher Standards und Nutzung vorhandener
Audits entgegenwirken, so Prof. Dr. Reiner Doluschitz von der Universität
Hohenheim. Es gilt nicht nur Effizienz zu steigern, sondern auch Bürokratie
abzubauen.
Laut René Kolbe von der Pahren Agrar Kooperation in
Zeulenroda ist „eine Umweltverträglichkeit nicht automatisch gegeben, sie muss
ständig erstrebt und gelebt werden.“ Er gab Einblicke in die Auswertung von
Kriterien umweltverträglicher Landwirtschaft (KUL) in einem großen
landwirtschaftlichen Unternehmensverbund.
Wie RISE in der Praxis auf einem Mutterkuhbetrieb
angewendet werden kann, zeigte Richard Bircher aus Wölfinswil in der Schweiz.
Überzeugt von der Nachhaltigkeitsbeurteilung – die mögliche Schwachstellen im
Betrieb aufdeckt, eine andere Perspektive auf die eigene Arbeit wirft und
Veränderungen für den Betrieb aufgezeigt – hat sich der zeitliche Aufwand
gelohnt, so Richard Bircher. Ein alternativer Ansatz ist der Dairyman-Sustainability-Index
(DSI), dessen Parameter einen Vergleich von Milchviehbetrieben untereinander,
den Produktionssystemen verschiedener Regionen sowie eine Bewertung im
Zeitverlauf ermöglicht. Martin Kleiner aus Mengen stellte Ablauf und Ergebnisse
des EU-Projektes, angewandt auf seinen eigenen Milchviehbetrieb, vor. Für Dr.
Philipp Inderhees, Deutsches Milchkontor GmbH und Dagmar Wild, Hofpfisterei
München, liefern Nachhaltigkeitskennzahlen die Grundlage für effektive Steuerungssysteme
und sind der Ausgangspunkt für die Erarbeitung von zukunftsfähigen Lösungen zu
Fragen der nachhaltigen Landwirtschaft und des Lebensmittelkonsums.
Datenverarbeitung
Voraussetzung für die Erfassung, Speicherung und
Verarbeitung von Daten und Informationen ist ein angepasstes Daten- und
Wissensmanagement auf dem landwirtschaftlichen Betrieb, bei regionalen
Organisationen sowie vor- und nachgelagerten Unternehmen. Bewertungs- und
Managementsysteme stehen an der Schwelle von der Wissenschaft zur Praxis.
Beispielgebend hierfür ist das vom BMELV geförderte Forschungsprojekt
„Tierwohllabel – Aufbau eines marktgerechten Tierwohlprogramms in der
Schweinefleischkette“, worüber Prof. Dr. Eberhard von Borell von der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg berichtete. Fazit seiner
Ausführungen: „Entscheidend für die erfolgreiche Markteinführung eines Tierschutzlabels
werden die Akzeptanz des Verbrauchers und die Wettbewerbsfähigkeit der
beteiligten Betriebe gegenüber konventionellen Produktionsformen sein.“
Dr. Wilfried Hermann von der Universität Hohenheim
sieht in der technischen Umsetzung der Datenbeschaffung und -verarbeitung sowie
des Datenaustausches in den letzten Jahren deutliche Fortschritte. Als
unabdingbar, aber nicht gelöst, bezeichnet er den nahtlosen bidirektionalen
Austausch von Daten, insbesondere von solchen Daten, die staatlicherseits
bereits gefordert werden. Umwelt- und Nachhaltigkeitszertifizierungssysteme
haben als Beratungsinstrument einen hohen Wert, so Frau Dr. Hiltrud Nieberg vom
Johann Heinrich von Thünen-Institut, Braunschweig, und sind vor allem dann
sinnvoll, wenn keine Zahlungen oder Sanktionen daran geknüpft sind. Eine
Förderung der einzelbetrieblichen Beratung zu solchen Managementsystemen über
die 2. Säule der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik) sieht Hiltrud Nieberg als
zielführender für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik an als die
Berücksichtigung bei den geplanten Greening-Maßnahmen in der 1. Säule.
Visionen der technischen Entwicklung
Die Landmaschine der Zukunft – im beginnenden Zeitalter
des servicebasierten Internets – wird über Internetdienste gesteuert, ist die
Kernaussage des Beitrages von Prof. Dr. Peter Pickel vom John Deere European
Technology and Innovation Center, Kaiserslautern. Als Voraussetzung hierfür
sieht Peter Pickel eine offene, nicht proprietäre und dennoch sichere
Datenkommunikation. Beispielhaft sind die Projekte iGreen und SmartAgriFood,
die den Beginn der landwirtschaftlichen Automatisierungstechnik kennzeichnen.
In der Tierhaltung liegen die Herausforderungen der
Zukunft nach Prof. Dr. Joachim Krieter, Christian-Albrechts-Universität zu
Kiel, und zwar in der tierindividuellen Modellierung der Sensorinformationen
sowie der exakten Definition von Zielgrößen, z.B. im Hinblick auf Erkrankungen.
Allerdings sieht Joachim Krieter auch Akzeptanzprobleme von computergestützten
Expertensystemen vor dem Hintergrund der Tierschutzdebatte. Entscheidend wird
hier sein, überzeugend darzulegen, dass die Vorteile der automatischen Systeme
die Nachteile, bezogen auf das Tierwohl, überwiegen.
23 kooperierende Partner im iGreen-Konsortium
beteiligen sich an der Entwicklung der offenen Strukturen für den
Wissensaustausch in der Landwirtschaft. Dr. Ansgar Bernardi vom Deutschen
Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Kaiserslautern, stellte das
Forschungsprojekt am Beispiel der Kommunikation zwischen Landwirt und
Lohnunternehmer vor. So können beispielsweise georeferenzierte Aufträge von
Landwirt zum Lohnunternehmer und vom Lohnunternehmer zur Maschine oder zum
Fahrer automatisch übermittelt werden. Damit Daten zukunftssicher verfügbar
sind, müssen Form und Inhalt der Daten für andere Systeme verständlich und der
Datenaustausch herstellerübergreifend möglich sein.
Unternehmensübergreifende Informationsmanagementsysteme
im Bereich der Milchproduktion wurden von Prof. Dr. Joachim Spilke,
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, vorgestellt. Am Beispiel von
Milchminderleistung durch Mastitis wird der Informationsgewinn und -austausch
erläutert. „Die Wirksamkeit dieses Informationsmanagements beruht auf dem
Zusammenspiel zwischen Informationspartnern, Daten und Analysemethoden, wobei
in der gezielten Methodenauswahl sowie -umsetzung eine große Herausforderung
besteht“, so Joachim Spilke in seinem Fazit.
Lesestoff:
Den kompletten Tagungsband erhalten Sie bei www.ktbl.de
Dr. Martina Hofmann (KTBL); roRo