Kurz vor der Wahl

Landwirtschaft

Auch über die Landwirtschaft nachdenken

> Hartz IV, Benzinpreise oder Steuersätze: Die kommende Bundestagswahl bot in den letzten Wochen ausreichend Diskussionsstoff und wird diesen in den letzten Tagen noch verschärfen. Was auffällt ist, dass die Landwirtschaft und der Verbraucher insgesamt zu kurz kommen ? möglicherweise weil es keine eindeutigen und prägnanten Inhalte gibt, andererseits, dass die individuelle Betroffenheit bei den oben genannten Punkten ganz einfach höher ist.
Dennoch bleiben auch die landwirtschaftlichen und Aspekte für Verbraucher strittig und spannend. Nur die Positionen über die Gentechnik können parteifarblich zugeordnet werden. Dabei wird das Verbraucherministerium nur bei einem Sieg der bisherigen Koalition die Farbe behalten. Bei allen anderen vorstellbaren Zusammensetzungen wird es schwarz, vielleicht rot.

Das Ministerium
Agrarwissenschaftler hat es in der Vergangenheit meistens irritiert, wenn sich ?ihre? Ministerin zu Themen wie Versicherungen, Handy oder Bahnpreise geäußert hat. In dieser Form hat es jedoch nie zuvor eine zentrale Stelle gegeben, die mindestens versuchte, den Interessen des Verbrauchers als Bürger eine Lobby zu geben. Nur die SPD würde das beibehalten wollen. Alle andern Parteien würden das Ministerium wieder zerschlagen und Verantwortlichkeiten auf verschiedene Ministerien aufteilen. Die FDP sieht im Verbraucherschutz ?eine Querschnittsaufgabe?, die keinem speziellen Amt zuzuordnen ist, Renate Künast (Grüne) sieht darin das zurückdrehen des Rades. Ulrike Höfgen (Grüne) warnt vor einer ?verbraucherpolitischen Eiszeit?. Nicht zufrieden mit der vergangenen Politik ist Deutschlands oberste Verbraucherschützerin Prof. Edda Müller vom Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband (www.vzbv.de). ?Bei aller positiven Beurteilung der Aktivitäten des Bundesverbraucherministeriums ist es der Regierung nicht gelungen, deutlich zu machen, dass Verbraucherpolitik etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun hat ? und nicht nur mit karitativen Dingen und der Bevormundung von Verbrauchern.? Die Verbraucherschützer haben eine Liste mit 33 Wahlprüfsteinen auf ihrer Internetseite für die künftige Regierung hinterlegt.

Gegensätzliche Lobbyarbeit
In den 1990er Jahren wütete BSE in Großbritannien und Karl-Heinz Funke (SPD), damaliger Agrarminister, folgte der CDU-Tradition seines Vorgängers Jochen Borchert und behauptete, Deutschland sei BSE-frei. Die Tiere wurden allerdings nach dem Schlachten nicht getestet, weswegen er den Beweis immer schuldig blieb. Erst im Januar 2001 entstand nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland auch das neue Ministerium, Verbraucher übten sich in Konsumverweigerung bei Rindfleisch und Renate Künast verlegte die Verbraucherinteressen in das Landwirtschaftsministerium.
Für den Deutschen Bauernverband (DBV) und seinem Präsidenten Gerd Sonnleitner geht es nach der Bundestagswahl eher ?um eine Art Bauernbefreiung? ? die Bauernlobby hätte das Ministerium wieder für sich alleine.
Der DBV stellt die Landwirtschaft in erster Linie unter den wirtschaftlichen Stiefel und betrachtet Legehennenverordnung und Schweinehaltungspläne ?als Belastung und Bremsklotz?. ?Vielmehr bräuchten die Landwirte eine Politik, bei der zwischen Wirtschaft, Natur, Umwelt und sozialer Verantwortung kein Gegensatz aufgebaut werde, sondern ein starkes Miteinander herrsche?, so der DBV. In der Abschaffung nationaler Umwelt- und Tierschutzrichtlinien sehen 74 Prozent vom DBV befragter Bauern den zweitwichtigsten Handlungsbedarf nach der Bundestagswahl. Die nachfolgend benannten ?stabilen Preise?, ?Imageverbesserung bei der Bevölkerung? und ?Steuerreform? sind allerdings Handlungsfelder, die nicht zwischen ökologisch und konventionell unterschieden werden müssen. In seinem Positionspapier zur neuen Legislaturperiode vom vergangenen Dienstag heißt es beim DBV:
?Ein grundsätzliches Anliegen ... ist eine Modernisierung des Landwirtschaftsgesetzes hin zu einem umfassenden ?Landentwicklungsgesetzes?. Damit soll den Herausforderungen eines auf 25 Mitgliedsländer angewachsenen EU-Binnenmarktes, der zunehmenden Internationalisierung der Agrarmärkte und der wachsenden Bedeutung des ländlichen Raumes mit seinen wichtigen Nutzungs- und Schutzfunktionen für Land- und Forstwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft Rechnung getragen werden. Der politische Handlungs- und Gestaltungsbedarf für den gesundheitlichen Verbraucherschutz, die Land- und Forstwirtschaft sowie den ländlichen Raum erfordern nach Ansicht des DBV-Präsidiums ein starkes Bundesministerium. Dieses sollte in seiner heutigen Grundstruktur belassen werden und um einige neue Kompetenzbereiche wie Bodenschutz, Natur- und Gewässerschutz. Nachwachsende Rohstoffe oder Kreislaufwirtschaft strategisch gestärkt werden?.
Wem würde der Verbraucher solche Sätze zuordnen, wenn er die Quelle nicht wüsste?

Gerda Hasselfeldt
Wenn Renate Künast nicht im Amt bleiben kann, wird diesem sehr wahrscheinlich wieder eine Frau vorstehen: Gerda Hasselfeldt aus dem Kompetenzteam Merkels. In Straubing geboren und im Bayrischen Wald aufgewachsen hatten ihre Eltern eine Metzgerei, ein Gasthaus und Landwirtschaft. Die studierte Volkswirtschaftlerin tat 1969 in die CSU ein und war von 1995 bis 2002 finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion. Seit Oktober 2002 nimmt sie die Aufgaben der Bereiche Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Ernährung, Energie, Kommunalpolitik und Tourismus wahr.
Der ökologische Anbauverband Bioland und die Stiftung Euronatur befragten Gerda Hasselfeldt über ihre Ziele. Hasselfeldt wolle ?zukünftig seitens der Politik keine einseitigen Privilegien zugunsten bestimmter Anbaumethode mehr?. Sie spricht von einer ?Agrarpolitik für alle Landwirte? und bezeichnet die jetzige Agrarpolitik als ?Spaltungspolitik?. Weitgehende Übereinstimmung wurde bei der ländlichen Entwicklungspolitik erzielt. Hasselfeldt sieht hier eine bedeutende Aufgabe, wenn diese auch schwierig zu finanzieren sei: ?Hier gebe es keine Patentrezepte.?

Gentechnik
Agrardiesel, Futtermittelgesetz oder Einspeisevergütung für erneuerbare Energien oder gar die Zuckermarktordnung eignen sich nicht für einen Wahlkampf, da Argumente nicht massenkompatibel sind. Umso erstaunlicher ist es, dass das Thema Gentechnik nicht deutlicher in den Vordergrund trat. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lehnt die Grüne Gentechnik ab. Union und FDP werden auf jeden Fall das Gentechnikgesetz wieder ändern und möglicherweise als ersten Erfolg der neuen Regierung präsentieren. Geändert würde das Standortregister und die freie Zugänglichkeit über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Stellt sich heraus, so das aktuelle Gesetz, dass eine Koexistenz zwischen einer gentechnisch veränderten und unveränderten Pflanze nicht möglich ist, muss der Anbau abgebrochen werden. Dieses in Artikel 1 genannte Ziel würde die Union streichen. Die Ökoverbände sehen das Ziel der Koexistenz gefährdet und Bioland Vorstand Thomas Dosch prognostiziert: ?Union und FDP ist es offensichtlich in keiner Weise bewusst, wie aufwändig und teuer es ist, die Erzeugung und Verarbeitung von GVO- und Nicht-GVO-Pflanzen zu trennen. Dazu kommen hohe Analyse-, Überwachungs- und Kontrollkosten. Sollte sich Frau Merkel durchsetzen befürchten wir konkret Preiserhöhungen für Lebensmittel.?
Streitpunkt im Gentechnikgesetz ist die Haftung. Zur Zeit ist sie gesamtschuldnerisch, weswegen der DBV seinen Mitgliedern vom Anbau abrät. Ersetzt werden soll die Haftung durch einen Ausgleichsfond, von dem die Finanzierung aber noch nicht geklärt ist.

Wählen für die Entwicklungsländer
Noch weiter weg vom Wahlkampf als die Landwirtschaft, ist der Blick auf die Entwicklungsländer. 80 Prozent der rund 850 Millionen Hungernden leben auf dem Land. In den letzten Jahren haben sich die Forderungen ?Zugang zu produktiven Ressourcen, die Stärkung lokaler Agrarmärkte und die Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem Land? durchgesetzt. Brot für die Welt, Misereor, FIAN, BUKO Agrar Koordination und Deutsche Kommission Justitia et Pax haben die Parteien über die Bedeutung der Hungerbekämpfung befragt: ?In allen Antworten werden auch umverteilende Landreformen grundsätzlich befürwortet. Lediglich die FDP will die Förderung von Landreformen auf ?begründete Ausnahmefällen? beschränken. Kritisch bewerten die Organisationen die Pläne aller Parteien zu einer Liberalisierung der Weltagrarmärkte. Mit Sorge registrieren sie zudem die Absicht der CDU und FDP, den Einsatz der Gentechnik in den Entwicklungsländern zu verstärken. Anstelle der Gentechnik, die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in die Abhängigkeit von Großkonzernen treibe, setzen die Organisationen auf die Förderung nachhaltiger und lokal angepasster Produktionsmethoden.?

Roland Krieg

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