Kyriakides und Özdemir auf einer Linie
Landwirtschaft
Juli-Agrarrat in Brüssel
Nachhaltiger Pflanzenschutz
Am Montag startete mit Tschechiens Landwirtschaftsminister Zdenĕk Nekula die sechsmonatige Ratspräsidentschaft im Rat für Landwirtschaft und Fischerei. Tschechien hat sich fünf intersektorale Prioritäten auf die Agenda gesetzt: Das Management der Flüchtlingskrise aus der Ukraine und dem Wiederaufbau des Landes, Energiesicherheit, Stärkung der europäischen Verteidigung und Cybersicherheit, Resilienz der europäischen Wirtschaft und Resilienz der europäischen Demokratie.
Im Bereich der Landwirtschaft stehen die Ernährungssicherheit an erster Stelle und die Reduzierung des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln ganz oben auf der Agenda. Vor einem Monat hat die EU-Kommission ihr Gesetzespaket zur Wiederherstellung der Natur vorgestellt [1]. Darin untergebracht ist die Halbierung des chemischen Pflanzenschutzeinsatzes bis 2030. Und das war am Montag gleich der erste Tagespunkt.
Ehrgeizig und notwendig
EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stella Kyriakides, stellte noch einmal klar, dass die Ziele ehrgeizig, flexibel und auf die Situation der EU-Länder angepasst sind. Die Bürger haben sich auf der Konferenz für die Zukunft von Europa dafür ausgesprochen und „wir vertreten die Bürger hier“.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir liegt ganz auf der Linie der Kommission: „Wir befürworten die Pflanzenschutzmittelreduktion und unterstützen das grundsätzliche Anliegen für einen nachhaltigen Pflanzenschutz.“ Trotz des Krieges gegen die Ukraine machen die anderen Krisen wie Umwelt-, Klima- und Artenschutzkrise keine Pause. Die Ernährungssicherheit werde nur nachhaltig gewährleistet. Für die Reduzierung müsse angemessen und transparent gemessen werden. Der Eingriff mit einem Totalverbot in sensible Gebiete betreffe einen Großteil der Landwirtschaft und müsse noch einmal geprüft werden. Özdemir befürchtet einen hohen Bürokratieaufwand. Die Detailvorgaben werden mit dem Einklang zum Green Deal geprüft.
Viel Ablehnung
Damit waren die positiven Anmerkungen im Agrarrat auch schon beendet. Über ein freundliches Unterstützungsangebot ging niemand mehr hinaus. Polens Landwirtschaftsminister Ryszard Bartosik ist von dem Vorschlag enttäuscht und kann ihn nicht akzeptieren. Bei einer Umsetzung werde die Lebensmittelsicherheit gefährdet und Europa mache sich von Importen abhängig. Spaniens Minister Luis Planas Puchades fordert die Kommission auf, Ambitionen mit Realismus zu verknüpfen und befürchtet mit einem regionalen Totalverbot die Schaffung von Reservoirs an Schädlingen. Irena Sinko, Ministerin aus Slowenien, will keine weiteren Einschränkungen in der Landwirtschaft hinnehmen, weil die Betriebe im Land gerade einmal sieben Hektar im Durchschnitt groß sind und es viele Dauerkulturen gibt. Keine chemischen Pflanzenschutzmittel mehr in Schutzgebieten hält Luxemburgs Minister Claude Haagen für „undifferenziert. Selbst in Finnland herrscht bei Minister Antti Kurvinen Skepsis. Die meisten Pflanzenschutzmittel werden im Forst eingesetzt und weisen nur ein geringes Risiko auf. Kurvinen will den Forst aus der Verordnung ausklammern.
Viel zu tun
Immerhin wies auch der italienische Minister Stefano Verrechia auf die gesellschaftlichen Wünsche hin, wenn die Landwirtschaft auch tiefe Eingriffe erfahren wird. Die Kommission will die Berechnungsmodelle für die nationalen Vorgaben im September veröffentlichen. Kyriakides sagte auch, dass bereits 20 Alternativen zu chemischen Pflanzenschutzmitteln gelistet sind und über Forschung neue und schneller hinzukommen. Es ist aber nicht nur mit einer Reduzierung getan. Der schwedische Minister Torbjörn Haak unterstreicht, dass für die Zielsetzung auch die Beratung und die Verwaltung geändert werden müssten.
Den Kritikern ist allerdings der Zeithorizont verloren gegangen. Kyriakides stellte noch einmal klar, dass die Verordnung weder Morgen noch bis zum Jahresende umgesetzt werden könne. Sie habe also mit den nationalen Strategieplänen für die GAP nichts zu tun.
Tiertransporte
Nachdem zwei Jahre lang das Europaparlament einen Sonderausschuss zur Aktualisierung der Tiertransportrichtlinie aus dem Jahr 2005 eingesetzt hatte, legte Belgien mit Minister David Clarinval am Montag eine Ratsvorlage für die Kommission vor. Dänemark, Deutschland, die Niederlande und Schweden schlossen sich der Vorlage an. Im Wesentlichen geht es um Transportzeiten, die Definition „wirtschaftliche Aktivität“, Transport in Drittstaaten, Platzangebot, Transport bei hohen Außentemperaturen sowie Zugang zu Wasser und Futter [2].
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ergänzt: Cem Özdemir: „Tiere sind fühlende Wesen – dass immer noch so viele von ihnen auf langen Transporten leiden, können wir nicht länger hinnehmen. Die Bilder von toten und verletzten Tieren sind unerträglich. Der europäische Weg muss wirksam zu mehr Tierschutz führen – und dafür braucht es bessere gemeinsame Regeln. Es ist keinem Tier geholfen, wenn nationale Verbote umgangen werden, indem Tiere zunächst in einen anderen Mitgliedstaat gebracht werden, um sie von dort aus in Drittländer zu exportieren. Die Europäische Kommission sollte nun zügig handeln.“
Es gibt aber auch kritische Stimmen. Die Beschränkung der Tiertransporte auf acht Stunden verfehle dort ihr Ziel, wo es keine Schlachthöfe gibt und Schlachthöfe wegen der Pandemie geschlossen werden müssen, sagt der polnische Minister Bartosik. Für Irland ist der Fährenverkehr bedeutsam. Der Transport auf Schiffen soll der Transportzeit zugerechnet werden, was dem irischen Rinderexport stark behindert, sagte Charlie McConalogue.
Allerdings haben sich auch mehrere Länder für einen Ersatz der Lebendviehtransporte durch Fleisch und genetisches Material ausgesprochen. Nach Stella Kyriakides soll 2023 der erste Kommissionsvorschlag vorliegen.
Team Europa bei der WTO
Die 12. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO hat nicht nur im Bereich der Fischerei ein positives Ergebnis erzielt. Im Juni 2022 vereinbarten die Länder auch ein neues Protokoll über phytosanitäre und veterinärrechtliche Standards. Das so genannte SPS-Protokoll regelt die Hygiene- und Einfuhrstandards. Mit der Einigung startete das Arbeitsprogramm für die Details. Frankreich hat im Namen von 12 weiteren EU-Ländern die Bedeutung für die EU unterstrichen. Stella Kyriakides sprach schon von einem Erfolg des „Team Europe in Aktion“ für die WTO-Einigung. Einer der wichtigsten Punkte sind die „drei Geschwister“ (Codex Alimentarius für die Lebensmittelregelung, World of Animal Health und die International Plant Protection Convention), die zusammen für mehr Nachhaltigkeit im Handel sorgen sollen. Im Vordergrund steht „One Health“ für Tiere und Menschen, was beispielsweise den Ansatz für den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen enthält. Cem Özdemir teilt „ausdrücklich die Forderungen“ an die EU-Kommission sich entsprechend in die Arbeitsgruppen einzubringen.
Handelserleichterungen für Moldawien
In einer Abstimmungsrunde hat der Agrarrat den Handelserleichterungen für Moldawien zugestimmt. Parlament und Kommission waren dem vorausgegangen. Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine erhält das Land befristete Exporterleichterungen für Äpfel, Knoblauch, Kirschen, Pflaumen, Tafeltrauben, Tomaten, und Traubensaft. Das Land kann ein Jahr lang die jeweils doppelte Menge in die EU exportieren. Diese sieben Agrarprodukte waren im Rahmen des Freihandelsabkommen (DCFTA) bislang ausgenommen. Die Vereinbarung tritt einen Tag nach Veröffentlichung im europäischen Amtsblatt in Kraft.
GAP-Strategiepläne
Wirklich Neues konnte EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski im Agrarrat kaum mitteilen. Sein Stellvertreter war schon in der vergangenen Woche im Agrarausschuss des Europaparlamentes [3]. Die Kommission gibt sich weiter optimistisch: „Die Pläne sind zum Jahresende fertig.“ Für das Annahmeverfahren brauche die Kommission sechs Wochen und bei den ersten fünf Ländern steht der Abschluss bevor, so Wojciechowski. Bei diesen Ländern hat es nach Beendigung der Konsultation auch keine zweite Gesprächsrunde gebraucht. Mit Spanien und Frankreich sprachen zwei Länder, die zu den „Pünktlichen“ gehören und zeigten sich zufrieden. Große Probleme gibt es im Baltikum. Der estnische Minister Marten Kokk beklagt, manche Förderprogramme werden erst im Jahr 2023 fertiggestellt sein. Sein litauischer Kollege Kȩstutis Navickas zeigte sich sogar empört, weil die Kommission auf die Änderungswünsche für die Standards der „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustands“ (GLÖZ) 1,2 (beides betrifft Dauergrünland) und 6 (Mindestbedeckung im Winter) noch nicht geantwortet habe. Die litauischen Landwirte befürworteten eine Verschiebung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) um ein weiteres Jahr.
Cem Özdemir ist bei diesem Punkt kürzer angebunden, weil Deutschland seinen Strategieplan erst im September „zügig“ einreichen kann. Einen Teil schiebt er auf die Abspracheprobleme mit den Bundesländern. Es müssen noch einige Änderungen im Strategieplan durchgeführt werden. Mehr als 300 Antworten haben die Bundesländer auf der Amtschef-Konferenz Anfang Juli gestellt [4]. Die Minister wollen Ende Juli eine Einigung erzielen [4]. Die Zeit scheint aber dennoch nicht zu reichen. „In den Bundesländern bleibe die Anpassung mit der „Programmierung neuer Fördermaßnahmen schwierig“.
Frankreichs Agrar-Staatssekretär Hervé Berville bedauert, dass die Agrarminister seit zwei Ratssitzungen Klarheit über die GLÖZ 7 und 8 einfordern. Für mehr Ernährungssicherheit sollen die Ziele Fruchtwechsel und Flächenstilllegung befristet ausgesetzt werden. Das entspricht der Mehrheit der EU-Länder – aber Wojciechowski kann noch immer keine Entscheidung vermelden. Die Kommission befinde sich in interner Absprache. Aber, so der Kommissar: Zuerst müsse man an die kurzfristige Produktionssteigerung und dann erst an die langfristige Nachhaltigkeit denken.
Allein bei Özdemir beißt er auf Granit, denn der Bundesminister will die Ziele nicht gegeneinander ausgespielt wissen und spricht sich gegen eine befristete Aussetzung aus. Der österreichische stellvertretende Repräsentant bei der EU, Gregor Schusterschitz formuliert es so: „Die Ausnahmen von der Konditionalisierung sind sensibel, aber notwendig, insbesondere bei GLÖZ 7 und 8.“
Nachhaltige Aquakultur
EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius stellte noch einmal die neuen Richtlinien für eine Ausweitung der Aquakultur in der EU vor. Nachhaltig ausgerichtet soll sie gesunde Nahrung als Ergänzung zur Meeresfischerei auf den Speiseplan bringen und den Importbedarf an Fisch verringern. Mit der Aquakultur erwartet die Kommission neue Wertschöpfungsketten im ländlichen Raum.
Die im Mai 2021 vorgestellten Leitlinien sollen die wirtschaftliche Resilienz der Systeme stärken, zum grünen Wandel beitragen, die Akzeptanz der Gesellschaft erreichen und Wissen sowie Innovation fördern. Im Fokus steht dabei die ökologische Aquakultur, die bislang nur ein Nischenmarkt ist.
Die Aquakultur ist aber im Gegensatz zur Meeresfischerei keine reine EU-Angelegenheit. So kann Brüssel zwar eine detaillierte Leitlinie für die Raumplanung vorlegen, aber in welchen Gebieten sie stattfindet bleibt in der Hoheit der Länder.
Die vorliegenden Leitlinien sind nach Cem Özdemir ein gelungener Kompromiss und bilden einen wesentlichen Beitrag für die Ernährungssicherheit. Özdemir will vor allem im Sinne der Strategie „Farm-to-Fork“ die ökologische Version „stark ausbauen“. Allerdings gebe es gegenläufige Ziele im Umweltrecht und die Frage nach Prädatoren in der Teichwirtschaft müsse gelöst werden.
Die beiden Fischereinationen Spanien und Portugal legten Wert darauf, dass die Aquakultur die Seefischerei nicht ersetzen dürfe.
Lesestoff:
[1] Die Wiederherstellung der Natur: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-wiederherstellung-der-natur.html
[2] Positionspapier Tiertransporte: https://bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/tiertransporte-vught-positionspapier.html
[3] GAP: Parlament misstraut der Kommission: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-letzte-gap-in-dieser-form.html
[4] Ergebnisse der Sonder-Amtschef-Konferenz von Juli 2022: Leseclub 28/2022
Roland Krieg
© Herd-und-Hof.de Nutzungswünsche: https://herd-und-hof.de/impressum.html