Ländlicher Raum I

Landwirtschaft

Neue Ansätze ländlicher Entwicklung

Gestern gab es im bayrischen Cham eine weitere Folgekonferenz des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMELV) zur Förderung des ländlichen Raums. Der ländliche Raum ist das Gesicht des Landes, 75 Prozent aller Gemeinden haben weniger als 5.000 Einwohner und die über das Grundgesetz gegebene Gleichstellung zwischen Stadt und Land war 60 Jahre lang das Erfolgsrezept Deutschlands, so Dr. Gerd Müller, Staatsekretär aus dem BMELV.

"Via est vita"
Das Land ist hochattraktiv für Investoren, so Müller weiter. Zu den Standortfaktoren zählt er neben günstigen Grundstückspreisen für Privatleute und Gewerbe auch die so genannten weichen Faktoren: Das Land ist familienfreundlich, bietet ein gutes Wohnumfeld und stellt hochmotivierte Arbeitskräfte mit niedrigem Krankheitsstand zur Verfügung. Das Land hat nur einen Mangel: es fehlt die Infrastruktur. Bayerns Landwirtschaftsminister Josef Miller nimmt bei den Römern eine Anleihe: "via est vita" - wo eine Straße ist, ist Leben. Müller präzisiert: Während es von München nach Furth im Wald immer noch keine Autobahn gibt, haben die Tschechen mit EU-Geldern die Landstraße nach Prag zur Autobahn ausgebaut. Die Bahn AG baut vornämlich die Schnellverbindungen zwischen den Metropolen aus, verkehre aber auf dem Land mit Technik der 1970er und 1980er Jahre. Auch die Banken ziehen sich aus Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohner zurück. Die Finanzierung des Mittelstands bleibt Sparkassen und Volksbanken überlasse. Theo Zellner, Landrat des Landkreises Cham sieht darin den Trend weg vom Erschließungs- und hin zum Frequenzdenken.

Angst vor dem vergessen werden
"Wenn in Hannover Regionspräsidenten gewählt werden, geht das an den Landräten vorbei. In Frankfurt wird die Abschaffung der Landkreise diskutiert." Theo Zellner ist auch Vizepräsident des Deutschen Landkreistages und sieht im Landkreis die integrierende Identifikationsmöglichkeit der Menschen.
Flugreisende aus Ost- und Nordbayern und Tschechen wollen nicht erst nach München reisen, um dann mit dem Transrapid zum Flughafen zu fahren. Sie brauchen einen Bahnhof direkt am Airport.
Was Zellner, Miller und Müller beklagen, ist die Bevorzugung der Metropolen im nationalen und europäischen Raumkonzept. 75 Prozent des Geldes werden außerhalb der ländlichen Räume ausgegeben. "Das ist Kannibalismus in reinster Form", beschreibt Miller den Zustand.
Der ländliche Raum ist icht nur ökologisches Aushängeschild, sondern ein dynamischer Wirtschaftsraum, bei dem die Landwirtschaft mitten drin steckt. Mit 33 Milliarden Euro Umsatz steht die Land- und Ernährungswirtschaft auf Platz drei in Bayern. Mit 440.000 Arbeitsplätzen führt sie die Beschäftigungstavelle sogar an. Ein Cent mehr für den Milchauszahlungspreis verschafft den Bauern in Bayern 70 Millionen Euro mehr Kaufkraft. Auf Bundesebene sind es 370 Millionen mehr.

Modellregion Cham
Das die BMELV-Konferenz im nördlichen Bayrischen Wald stattgefunden hat, kommt nicht von ungefähr. In den 1960er Jahren schöpfte Triumph die Grenzlandprämien ab und als die Textilfabrik verschwand, rückte in das Grenzgebiet am Eisernen Vorhang, wo alle Infrastruktur versandete, erst einmal nichts nach. 1985 gab es im Landkreis Cham 30,7 Prozent, alleine in Bad Krötzting 48 Prozent Arbeitslose. Heute liegt die Quote im Sommer bei 4,3 Prozent.
Es gibt einen ausgewogenen Mix aus den Branchen Gummi, Textil, Elektro, Landwirtschaft, Holz und Metall. Vor 20 Jahren erzielten die Firmen 0,7 Milliarden Euro Nettoumsatz - heute sind es über 2,0 Milliarden.
Theo Zellner erklärt, wie es dazu kam. Die vielen inhabergeführten Firmen und Familienbetriebe fühlen sich mit ihrer Region verbunden und gestalten den Wirtschaftsraum aktiv mit. Den finanziellen Rahmen stellt die Gemeinschaftsaufgabe (GA), die gleichzeitig ein Signal an die EU ist, dass es noch weitere Mittel bedarf.
Allein zwischen 2003 und 2007 haben die Unernehmen 270 Millionen Euro investiert und 37 Millionen Euro Fördermittel erhalten. Dass sind 34 Prozent der Mittel für den gesamten Raum Oberpfalz. Die Investitionssumme aus der GA beträgt 27 Millionen, von denen 4,4 Millionen bewilligt sind. Im Ergebnis wurden 6.485 Arbeitsplätze gesichert und 850 neu geschaffen.

Ausbildung und Mechatronik-Cluster
Die "neue Kultur der Ausbildung" hat der Landkreis Cham wörtlich umgesetzt. Er hat mit einem Ausbildungsnetzwerk seit 1993 rund 400 Ausbildungsbetriebe in das Boot geholt und schafft es über "Berufswahltage" zusätzlich Ausbildungsplätze zu generieren. Das von der UNESCO ausgezeichnete Projekt sichert seit Beginn mit 160 Aktionen und 5.000 Schülern sowie 1.000 Eltern auch für 2007 jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Die Finanzierung in Höhe von 15.000 Euro trägt der Arbeitskreis Lebens- und Wirtschaftsraum Landkreis Cham.
Bayern liebt Cluster. Der neueste vereint die Berufsanforderungen des Mechanikers, Elektrikers und Informatikers: Mechatronic. 28 Unternehmen und zwei Hochschulen haben mit dem Kompetenznetzwerk Mechanotronic, wie CNC-Fräsen und CNC-Drehmaschinen, 1.500 Arbeitsplätze geschaffen, bilden 4.000 Mitarbeiter aus, erzielen 700 Millionen Euro Umsatz und haben Standorte in Asien und Amerika.

Komplex denken
Die Landwirtschaft hat, so der erste Teil des Berichtes, iheren Alleinvertretungsanspruch im ländlichen Raum verloren. Sie bleibt prägend, sichert saubere Luft und sauberes Wasser, produziert Nahrungsmittel und Energie, sichert Ökosysteme und bietet dem, Städter Erholung. Aber sie ist auf dem Land nicht mehr allein.
Der zweite Teil morgen stellt die "Chamer Erklärung" vor und zeigt den Paradigmenwechsel in der Förderung des ländlichen Raums, der bereits eingesetzt hat.

Lesestoff:
Die Entwicklung des Landkreis Chams kann nachvollzogen werden unter www.landkreis-cham.de. Die Ausbildungsoffensive unter www.berufswahltage.de und den Mechanotronik-Cluster finden Sie unter www.mc-netz.de.

Roland Krieg

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