Lagerung von Äpfeln

Landwirtschaft

Wenn die Tür aufgeht und Marko Hansen tot umfällt

Marko Hansen hatte keinen passenden Schlüssel für das Apfellager dabei. Er konnte die Tür also nicht von außen aufmachen. Die neue Soko Hamburg hat schnell ermittelt, dass Marko Hansen ermordet wurde. Von innen öffnete der Mörder letzten Dienstag im Überlebensanzug mit Atemmaske die Tür vom Apfellager. Die Lagerluft strömte aus und Marko Hansen fiel tot um. Das neue Soko-Team in der ZDF-Krimireihe aus Hamburg zeigt, dass ein spannender Krimi aus der Hansestadt nicht zwingend mit der Reeperbahn zu tun hat. Im Gegenteil. Das Team ermittelte bei Cranz, auf dem Blankenese gegenüberliegenden Elbufer, wo das Alte Land, das größte zusammenhängende Obstbaugebiet Europas, mit einem Zipfel in das Bundesland Hamburg ragt. Laut Moderationstext und mehrfach vom Drehbuch verordneten Satz starb Hansen durch das fatale Einatmen der ausströmenden Luft aus „einer mit Stickstoff gefüllten Lagerhalle für Äpfel“. Ein Ansatzpunkt für nörgelnde Agrarjournalisten, die dennoch den Krimispaß mit der neuen Soko-Familie genießen konnten.

Stickstoff in der Atmosphäre

Weil aber auch Kinder und Lagerlaien zugeschaut haben, darf der Stickstoff-Ansatz im Nachgang ausführlich erläutert werden. Stickstoff ist ein natürlicher Teil der Atmosphäre. Die vom Menschen eingeatmete Luft besteht im Normalzustand zu 78 Prozent aus Stickstoff. Zum Leben brauchen die Menschen und nicht-photosynthetisch aktiven Lebewesen Sauerstoff. Dessen Anteil in der normalen Luft beträgt rund 20 Prozent. „Großen“ Anteil bei jedem Atemzug hat noch Kohlendioxid mit 0,4 Prozent.

Noch heute in Russland müssen ab Jahresbeginn Äpfel zunehmend importiert werden. Grund: Die aktuelle Ernte aus dem letzten Herbst ist im Wesentlichen aufgegessen. Die traditionellen Lagerkisten im Keller sind leer. Moderne Lagerräume werden erst in den letzten Jahren vermehrt aufgebaut. In Deutschland hingegen sind die modernen Lagerräume im Handel Standard und der wichtigste Grund, das die geernteten Äpfel bis zur nächsten neuen Ernte im Handel erhältlich sind. Damit das den Obstbauern gelingt, wird die Atmosphäre in den Lagerräumen verändert. Allerdings geht es nicht um Stickstoff. „Zielgase“ der Veränderung sind Sauerstoff und Kohlendioxid.

Der Apfel lebt auch nach der Ernte

Der Stiel ist die Verbindung der Apfelfrucht mit dem Baum und die Lebensader für die Versorgung mit Nährstoffen. Wenn der Apfel geerntet wird, ist die Trennung vom Baum nicht gleich sein Lebensende. Obstbauern unterscheiden zwischen klimakterischen und nicht-klimakterischen Früchten. Klimakterische Früchte wie Äpfel, Birnen und Bananen durchlaufen eine Reifungsphase. Diese Früchte können unreif geerntet werden und reifen dennoch nach. Die nicht-klimakterischen Früchte wie Kirschen oder Zwetschen haben diese Phase nicht und müssen „essreif“ geerntet werden.

Die Atmungsaktivität steuert die Auf-, Ab- und Umbauprozesse in der Frucht. Da greift der Apfel nach der Ernte noch einmal an. In der Reifung steigert Kernobst seine Atmungsaktivität und gewinnt – allerdings stark sortenabhängig – an Genussreife. Mit der Bildung von Ethylen, einem Gas, das als Reifehormon wirkt, steigert der Apfel in den Zellen die Aktivität der Mitochondrien, den Zellkraftwerken. Die Frucht bildet Vorstufen von Aromakomponenten. Ausgesprochene Lageräpfel entwickeln erst nach einiger Zeit ihr ausgewogenes Zucker-Säureverhältnis. Die optimale Lageratmosphäre hilft ihnen dabei. Um die Qualität zu halten, muss die Atmungsaktivität verringert werden: „Je tiefer die Atmungsaktivität, desto länger kann eine Frucht gelagert werden.“ Das geschieht durch die Reduzierung von Sauerstoff und die Erhöhung von Kohlendioxid in der Lageratmosphäre. Wichtiger noch ist die Temperatur, ergänzt Dr. Dirk Köpcke vom Obstbauzentrum Jork bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Auch Köpcke hatte seinen Krimispaß an der Soko-Folge. War aber auch fachlich über die Stickstoff-Lagerung irritiert, wie er im Telefonat mit Herd-und-Hof.de mitteilte.

Nacherntetechnologie

Das ZDF teilte mit, dass sich die Produktion vor dem Dreh bei einem Obstbauern fachlich hat beraten lassen und seine Lagerhalle als authentischen Drehort nutzen durfte. Aus dramaturgischen Gründen sind Mord und Vernebelung von Gasen kürzer und anschaulicher dargestellt worden. Nur der Stickstoff-Begriff störte die Fachleute.

Damit klimakterische Früchte lange haltbar sind, wird die Atmung durch Reduzierung des Sauerstoffgehaltes im Lager deutlich reduziert. Nicht zu weit; sonst geht der Apfel in die anaerobe Atmung über und vergärt. Die Einstellung einer optimierten Nachernteatmosphäre ist also ein wichtiger und zu überwachender Prozess. Zum einen entsteht durch die Atmung im Lager Wärme, die abgeführt werden muss. Die mit der Atmung verbundenen Verluste an Zucker und Säure ist immer mit einem Gewichtsverlust verbunden. Durch die Atmung reduziert sich der Sauerstoff und steigt der Anteil von Kohlendioxid. Die Äpfel würden die entsprechende Veränderung der Gaszusammensetzung auch alleine hinkriegen, bräuchten dazu aber viele Wochen. Moderne Lagertechnologie hingegen gibt ihnen gleich die richtige Atmosphäre. Wichtiger noch als die Gaszusammensetzung ist die Kühlung. Die hat im Rahmen der Reaktionsgeschwindigkeits-Temperatur-Regel einen Einfluss auf die biologischen Prozesse. Alle Zehn Grad verdoppelt oder halbiert sich die Geschwindigkeit der Prozesse. Daher kann die Kühlung in einem gut geführten Nachernteprozess bereits gleich bei der Ernte und dem Transport eingesetzt werden. Das hilft nicht nur den Lageräpfeln, sondern wirkt auch vorbeugend gegen Lagerkrankheiten wie verschiedene Fäulniserreger.

Atmosphären im Apfellager

Lageratmosphäre

Der Schweizer Obstbauspezialist Andreas Bühlmann hat in seinem Grundlagenwerk zur Nacherntebehandlung von Obst und Gemüse die aktuell verschiedenen Technologien aufgeführt. Neben Temperatur und Luftfeuchte gelten die folgenden Parameter als optimal. CA dürfte Verbrauchern bekannt sein. „Controlled Atmosphere“ spielt auch bei der Fleisch- und Käseverpackung für den Lebensmittelhandel eine wichtige Rolle. „Unter Schutzatmosphäre verpackt“ heißt es dann. Die ULO-Lager sind in der Regel Standard auf den Betrieben [1].

Und der Stickstoff?

Was in der Krimiserie so prominent in die erste Reihe gespielt wurde, hat durchaus seine Rolle in der Lagerhaltung. Stickstoff hilft, den Sauerstoffgehalt auf das gewünschte Niveau herunterzudrücken. Das dauert in Realität aber zwischen zwei und vier Tage. Ein Stickstoffgenerator pumpt dabei den Stickstoff aus der Atmosphäre in den Innenraum des Lagers. Meist werden dabei Sauerstoffwerte zwischen zwei und vier Prozent erreicht. Für die niedrigeren Werte aus der Tabelle sorgen die Äpfel dann selbst. Die Verfeinerung der Lageratmosphäre ist durch den technischen Fortschritt in der automatischen Mess- und Regeltechnologie möglich geworden.

In den Lagerräumen helfen Absorber bei der Vernichtung des Kohlendioxid und damit bei der Regulierung der Atmosphäre. Darüber wird indirekt auch die Sauerstoffgehalt reguliert.

Mord möglich?

Auf jeden Fall! Das Soko-Team hat den Bösewicht ja dann auch gestellt. Hätte der Stadtkommissar ein Praktikum im Alten Land absolviert, hätte er auf dem Spannungshöhepunkt wie Dirk Köpcke gewusst, dass das Fenster in der Lagerraumtür ein von innen zu öffnender Notausstieg ist.

Die Lagerräume werden technisch kontrolliert und die Berufsgenossenschaft hat durch Vorschriften die in der Tat lebensgefährlichen ULO-Lager trotz Unfälle immer sicherer gemacht. Gegen absichtliche Missetaten dürfen wir uns auf die Soko-Hamburg verlassen.

Lesestoff:

[1] Zu Besuch auf einer Apfel-Plantage mit ULO-Lager: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/voller-einsatz-fuer-aepfel-und-kunden.html

Roland Krieg

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