Land- und Milchwirtschaft im Jahr 2020
Landwirtschaft
Berliner Milchforum
Fast zwei Jahre ist es her, dass der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter den Milchlieferstreik ausgerufen hat. Seitdem sind die Preise runter und wieder rauf gegangen. Runde Tische, Agrarministerkonferenzen und das Bundeskartellamt haben sich die Preisbildung, die Marktteilnehmer und Lösungen angeschaut und die Bundesregierung hat ein 750 Millionen Euro schweres Sofortprogramm aufgelegt. Was die Diskussion um die Milch verschleiert, ist die Diskussion um die Landwirtschaft insgesamt. Die aktuelle Förderperiode läuft nur noch bis 2013. Was danach, wie und warum gefördert wird, steht noch in den Sternen.
Berliner Milchforum
Deshalb startete am Donnerstag das Berliner Milchforum, das der Deutsche Bauernverband zusammen mit dem Deutschen Raiffeisenverband und der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft veranstaltet, mit einer Podiumsdiskussion der agrarpolitischen Sprecher der Bundestagsparteien, bei der es mitnichten um den Milchmarkt ging. Prof. Dr. Hannes Weindlmaier von der TU München setzte die Wegmarken: „Rückzug des Staates aus dem Markt“, Volatilität des Marktes, die alte EU mit 15 Ländern hat andere Vorstellungen über die Flächenprämien als die zehn neuen Länder und Sicherheitsnetze wie Intervention und Exporterstattung sowie steuerfreie Risikorücklagen sollen den Betrieben über Krisen helfen. Die Entscheidungen werden nicht mehr in Brüssel, sondern im Europäischen Parlament getroffen und wenn die WTO-Verhandlungen endlich zu Ende seien, dann würde das den Milchmarkt besonders treffen, so Weindlmaier.
Die Agrarpolitiker zeigten vor allem auf, dass die Ansichten über die künftige Agrar- und Milchpolitik immer noch weit auseinander liegen, wenn auch Peter Bleser (CDU/CSU) erkennt, dass sich die Beteiligten zu einem sachlichen Ton durchgerungen haben.
Deutschland liegt im Wettbewerb richtig
Peter Bleser plädiert für das Beibehalten des Säulenmodells, wenn auch der Haushaltsrahmen deutlich kleiner wird. Das Agrarbudget werde von heute 62 auf künftig 31 Prozent im EU-Etat sinken. Geprägt werde die Diskussion durch eine Verteilungsdebatte und Bleser warnte die Bundesländer, nicht bereits Gelder zu verplanen, bevor die Summen fest stünden.
Die GEFA als CMA-Nachfolge sei jetzt mit 3,2 Millionen Euro gut ausgestattet, um die Exportchancen zu nutzen. Mit speziellen Programmen könnte Deutschland auch zusätzliche Mittel von der EU abrufen. Bis zu 50 Prozent der Werbemaßnahmen könnten kofinanziert werden.
Speziell den Milchmarkt sieht Bleser auf richtigem Weg. Während Deutschland ein Plus von 3,4 Prozent Marktanteil in der EU verzeichnet, haben die französischen Nachbarn 4,1 Prozent verloren. Und das angesichts einer „miserablen Preissituation“, so Bleser.
Von Änderungen sprechen
Für die Unterstützung der Gefa zur Eroberung neuer Märkte spricht sich auch Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) aus. Für den Milchbereich sieht Happach-Kasan besonders Norddeutschland als „Gunstregion“ und das müsse man den Landwirten ehrlich mitteilen: „Es wird Änderungen geben“. In Deutschland und den alten EU-Ländern werde die Flächenprämie sinken, Exporterstattungen werden keine Zukunft haben und Deutschland sei „kein gallisches Dorf, das von Asterix und Obelix“ gegen den steigenden Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen verteidigt werden kann. Die EU müsse demnach von ihrer Nulltoleranz bei Futtermitteln abrücken.
Wohl aber müsse die Bundesregierung über die EU für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen, damit beispielsweise beim Agrardiesel alle Betriebe die gleichen Steuern bezahlen müssen. „Milch ist ein ganz wertvolles Produkt“, hebt die Politikerin hervor. Milch brauche im Geschäft einen höheren Preis und dürfe nicht auf Äcker geschüttet werden.
750 Millionen verbrannte Euro
Für Dr. Wilhelm Priesmeyer besteht das Sofortprogramm der Bundesregierung aus „verbranntem Geld“. Sinnvoller sei es, das Geld in langfristige Strukturentwicklungen zu investieren. Für den SPD-Politiker ist der Strukturwandel eine unweigerliche Erscheinung, deren „Negierung ins politische Abseits“ führe. Die Niederlande, Großbritannien, Dänemark und Schweden würden die erste Säule der landwirtschaftlichen Direktzahlungen bis 2020 gleich ganz abschaffen. Daher müsse sich die Agrarwirtschaft auf neue Strukturen einstellen.
Bevor man über die Summen künftiger Hilfen rede, müsse man sich zunächst über die Modelle einig werden, die unterstützt werden sollen. In diesem Zusammenhang bezeichnete Dr. Priesmeyer die bayrische Milchwirtschaft als „strukturschwach“. Von den rund 97.000 Milchbetrieben wirtschaften etwa 46.000 kleinteilig in Bayern. Für sinnvoll hält Dr. Priesmeyer Erzeugergemeinschaften, die Milch auf Erzeugerebene für eine bessere Vermarktung bündelt. Genossenschaften zählt er ausdrücklich nicht dazu.
Milch europäisch denken
Über Modelle und Leitbilder will auch Friedrich Ostendorf (Bündnis 90/Die Grünen) zunächst reden. Das Leitbild der multifunktionalen Landwirtschaft, die neben den Agrarprodukten auch gesellschaftliche Aufgaben wie Wasserschutz und Artenreichtum erfüllt. Daher wendet sich Ostendorf gegen den Export, betont aber, dass er damit nur die sechs Prozent meint, die in Drittstaaten gehen. Gegen den Export von Milch und Molkereiprodukten in EU-Länder habe er nichts.
Nach Ostendorf gelte das Argument nicht, dass der reiche Norden den Süden mit seiner wachsenden Weltbevölkerung ernähren könne. Von diesem Argument müsse man Abschied nehmen. Wenn ein Bauer rund 134 Menschen ernährt, würden die deutschen Bauern noch nicht einmal das eigene Land ernähren, so Ostendorf.
Als Lösung für den Milchmarkt strebt er eine nachfrageorientierte Steuerung der Produktionsmenge an. Kanada könne hier als Vorbild dienen.
Kanadisches Quotenmodell |
Mit der stärkeren Orientierung der Milchproduktion an die Nachfragemenge sieht sich Ostendorf auf der gleichen Linie, wie das Bundeskartellamt, das zu Jahresbeginn seine Sektoruntersuchung zur Milch vorgelegt hat.
Erzeugerkartell ist keine Lösung
Dr. Kirsten Tackmann (Die Linke) sieht eine grundlegende Schieflage. Nahrungsmittel und Böden sind zu Spekulationsobjekten geworden, argentinisches Rindfleisch und Milch aus Neuseeland sind billiger als heimische Produkte. Da sei etwas falsch, was auch ein Strukturwandel nicht beheben könne. Niemals werden deutsche Milchbauern mit den neuseeländischen Erzeugern konkurrieren können, weil sie auf Dauergrünland und nur mit wenigen Betriebsmitteln produzieren. Daher reiche es auch nicht, dem Verarbeiterkartell ein „Erzeugerkartell“ entgegenzustellen. Hingegen helfen regionale Strukturen den Bauern und dem ländlichen Raum. Hier habe Ostdeutschland Nachholbedarf. Es gibt zu wenig Verarbeiter. Unterstützt würden regionale Strukturen, sobald EU und WTO die Themen Eigenversorgung und ökologische Standards in ihre Handelsregeln integrierten.
Neuseeland: Große Herde, große Molkereien und niedrige Milchleistung |
Klein und groß
Über kleine und große Betriebe habe bereits die alte Bundesrepublik gestritten, so Bleser. Weil das zu keiner Lösung geführt habe, sei die Diskussion auch heute nicht zielführend. Nach Dr. Tackmann zeigten Betriebsdaten, dass in der Milchkrise nicht nur die kleinen, sondern auch die großen Betriebe gelitten haben. Für Dr. Happach-Kasan gibt es den Begriff „industrielle Landwirtschaft“ nicht: „Das ist ein politischer Kampfbegriff – und sonst nichts.“ Unterstützung bekommt sie von Ostendorf. Die Gleichung „bäuerlich = klein = gut“ sei nicht richtig. Betriebe, die im Osten 5.000 Hektar bewirtschaften, aber auch 150 Menschen angestellt haben, seinen ein Stabilitätsfaktor für den ländlichen Raum. Die Bindung an die Arbeitskraft sein ein sozialer Faktor, der derzeit keine Berücksichtigung bei der Förderung finde, so Ostendorf.
Roland Krieg (Fotos: roRo)