Land - Wirtschaft für alle

Landwirtschaft

Die Zukunft des ländlichen Raumes

>Vor Weihnachten 2005 wurde der Rahmen der europäischen Finanzierung bis 2013 festgelegt. EU-Kommissarin Mariann Fischer-Boel fragte auf einer Podiumsdiskussion des Deutschen Bauernverbandes (DBV) auf der Grünen Woche, ob der Kompromiss ein Sack Geschenke bedeute oder ob der Gürtel enger geschnallt werden müsse. Die gute Nachricht sei, dass innerhalb der ersten Säule der Agrarreform, der Direktzahlungen und Marktmaßnahmen, keine Kürzungen vorgenommen werden. Die schlechte Nachricht allerdings sei, dass trotz einer möglichen Erweiterung der EU mit Rumänien und Bulgarien, der Topf nicht größer werde. Der Kuchen muss für mehr Gäste reichen.
Die Finanzmittel für die so genannte zweite Säule, der Entwicklung des ländlichen Raumes, werden hingegen deutlich gekürzt, was Fischer-Boel als Ironie ansieht: "Ausgerechnet einige der Mitgliedsstaaten, die sich besonders nachdrücklich für eine starke Politik des ländlichen Raumes aussprechen, waren die ersten, als es darum ging, die Ausgaben für den ländlichen Raum zusammen zu streichen." Die Mittel werden von 89 auf 69 Milliarden Euro gekürzt.

Agrarpolitik geht alle an
Dr. Gerd Müller, Staatssekretär aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) stellte eines klar: Die Hälfte der europäischen Bevölkerung lebt auf dem Land. Daher betrifft die Agrarpolitik und deren Finanzierung nicht nur die zwei Prozent Landwirte. Die Agrarpolitik müsse den Verbrauchern endlich gesamtwirtschaftlich verständlich gemacht werden. Am leichtesten sei das für die erste Säule, denn die Bauern müssen mit einem Preisniveau für Lebensmittel auskommen, dass mit dem Jahr 1960 zu vergleichen ist. Die Hälfte des EU-Haushaltes muss daher für Ausgleichszahlungen aufgebracht werden. Ein Cent mehr für die Milch, bedeute in Bayern 70 Millionen mehr Einkommen für die Bauern, rechnete Müller vor. Er forderte eine aktive Markt- und Preispolitik, denn was die Bauern am Markt an Geld verlieren, können der Staat nicht dauerhaft ausgleichen.
Allerdings sei der Finanzkompromiss nur noch von Fachleuten zu durchschauen. Müller stellte den Sonderfond in Höhe von vier Milliarden Euro in Frage, den Spanien, Tschechien und Irland ausgehandelt haben. Die zusätzlichen Gelder führten in Irland zu einer überhitzten Konjunktur.

Europafrust und -lust
Gerade bei den älteren, neuen Mitgliedern, die wie Österreich 1995 in der vorletzten Runde hinzukamen steigt der Europafrust. Annemarie Sigmund, Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, aus der Alpenrepublik, versteht das wachsende Unverständnis der Bauern. Man hätten ihnen eine bäuerliche Zukunft versprochen und kürze ihnen nun die Gelder für eine wirtschaftliche Entwicklung. "Die Stimmung im ländlichen Raum verschlechtere sich. Es gibt keine Planungssicherheit mehr." 2007/08 gibt es eine Zwischenbilanz der Finanzausstattung. Dann werde der Ausschuss ganz genau hinschauen und der Bevölkerung Sicherheit geben und "zeigen, dass Europa mitdenkt".
"Es wird noch knirschen", prophezeite Baden-Württembergs Minister für Ernährung und ländlichen Raum, Peter Hauck. Mit 47 Prozent Kürzung in seinem Bundesland, stehe den Bauern der massivste Einschnitt seit Bestehen der EU bevor. Die Politik gerate in Erklärungsnöte, weil vermehrt "Gelder in große Betriebe geworfen werden, ohne sozioökonomische Effekte" zu erzielen. Mit Hilfe der Flurneuordnung solle durch einen Flächenzuwachs die Wettbewerbsfähigkeit der Betrieb erhöht werden. Diese Möglichkeiten werden durch die Kürzungen in der 2. Säule genommen. Gerade in den deutschen Mittelgebirgen, wie der Rhön oder dem Westerwald müssen Flächen weiterhin bewirtschaftet werden. Das sichere der Region eine Wertschöpfung über den Tourismus und könne den Menschen damit verständlich gemacht werden.
Allerdings sah Bärbel Höhn, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Baden-Württemberg deshalb als besonders betroffenes Bundesland an, weil es mit rund 150 Euro/Hektar die bisherige Förderingsmöglichkeiten besonders intensiv beansprucht. BW bekäme seit den 1990er Jahren etwa die Hälfte der Bundesmittel.
Sie sieht aber auch die zweite Säule als Einkommenssicherung an. "Die Bauern brauchen neue Einkommen." Der Energiewirt ist eine der boomendsten Chancen, weswegen die jetzigen Kürzungen "dramatisch" seien.
Dr. Müller wurde gegenüber der nächsten Erweiterungsrunde deutlich: Rumänien und Bulgarien erfüllen die Erweiterungskriterien der EU nicht. Der Beitritt solle daher um mindestens ein Jahr verschoben werden.

2013 ist nicht das Ende
Mariann Fischer-Boel sagte, dass auch nach allen Kürzungen noch erhebliche Mittel zur Verfügung stünden, die es effektiver denn je, einzusetzen gelte. "Komische Förderungen" wie lettische Lurchprogramme oder Zweitsprungschanzen sollte es in Zukunft nicht mehr geben, so Dr. Müller. Wolfgang Burtscher von der Europäischen Kommission warnte allerdings, die EU dafür verantwortlich zu machen. Man dürfe nicht vergessen, dass die EU-Politiker aus den Mitgliedsländern gewählt worden sind. Die EU gebe immer nur Gelder hinzu. Was gefördert werde, schlage die nationale und regionale Politik vor. Man müsse aufpassen, dass die EU in ihrer Betrachtung durch die Wähler nicht von den lokalen Verantwortlichen entkoppelt werde.
Wenn es nach Hauck ginge, dann könnte der zukünftige Wettbewerb, die jetzigen Strukturen nützen, um neue Produkte zu handeln: "Mengen- und Quotenregelungen haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie ähnlich wie die Planwirtschaft gescheitert sind. Wenn es möglich ist Fleisch weltweit zu verschiffen, dann solle das auch mit Joghurt möglich sein."
Möglicherweise wird im Zeitablauf die Agrarpolitik wieder regionalisiert, meinte Burtscher. Das würde aber an den bestehenden Verteilungskämpfen um die Gelder nichts verändern. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner sagte in seinem Abschlusswort, dass niemand voraussagen könne, was nach der nächsten Finanzperiode 2013 passiere. Es gibt zwar weniger Geld, aber wenn weltweit alle Subventionen fielen, könne die steigende Nachfrage aus China und Indien auch für höhere Weltmarktpreise führen.

Roland Krieg

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