Landesbauerntag MV

Landwirtschaft

Landesbauerntag und Lieferstreik

Die landwirtschaftliche Produktion war Anfang der 1980er Jahre so erfolgreich, dass sie „aus dem Handgelenk“ Überschüsse produzieren konnte und die EU Butterberge und Milchseen mit Steuergeldern auffing. Für eine Anpassung von Angebot und Nachfrage wurde ein politisch-administratives Marktgleichgewicht eingeführt: Die Milchquote sicherte den Bauern eine Produktion jenseits des Marktes und ließ Seen und Berge verschwinden.

Paradebeispiel Milch
Das war erfolgreich bis das Gleichgewicht wieder aus dem Tritt geriet. In der EU gibt es rund fünf Prozent Milch zu wenig, weswegen die Kommission die Quote schrittweise erhöht, in Deutschland gibt es zu viel Milch, was aufgrund der Verhandlungsposition zwischen vielen Milcherzeugern und wenigen Lebensmittelhändlern die Preise bei geringerer werdender Nachfrage nach unten zieht.
Gleichzeitig will die EU die Förderung des Agrarmarktes nach der letzten Förderperiode bis 2013 ganz abschaffen und den freien Markt auf die Höfe lassen. Das fürchten nicht nur die Bauern, denn Natur- und Umweltschützer sowie auch Verbraucher wollen den ländlichen Raum und sein soziales Leben nicht dem freien Spiel zwischen Angebot und Nachfrage überlassen. Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus aus Mecklenburg-Vorpommern benannte auf dem Landesbauerntag im Rahmen der Mecklenburgischen Landwirtschaftsausstellung in Mühlengeez die Dinge, die auf dem Spiel stehen: Hochwertige Lebensmittel, Klimaschutz, Artenvielfalt und lebendige Räume.
Der Milchsektor wird zur Bühne der Diskussion, was nach 2013 im Agrarbereich und in den ländlichen Regionen erwartet werden kann: Betriebe, die ohne Finanzierung aufgeben müssen, Flächen, die nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden und damit einhergehende Verluste an gesellschaftlichen Aufgaben, wie dem Grundwasserschutz, weil nur noch die Betriebe weiter existieren, die vorher die Kostenführerschaft gewonnen haben?
Um das zu vermeiden zahlt die EU jährlich rund sechs Milliarden Euro in der ersten Säule als Finanzausgleich für nicht kostendeckende Verkaufserlöse an die Bauern und im Rahmen der zweiten Säule etwa eine Milliarde Euro in die Entwicklung des ländlichen Raums. Für Mecklenburg-Vorpommern teilt sich das auf die Relation 427 zu 220 Millionen Euro auf. In irgendeiner Weise müsse das auch nach 2013 finanziert werden. „Die Alternative ist eine „flatrate“ der Direktzahlungen halb so hoch wie heute und eine erneute Verteildiskussion, die sich gegen unsere Betriebe richtet“, unterstrich Dr. Backhaus.
Es geht auch ohne große Förderung: Die Schweinehalter haben es vorgemacht, sind heute international wettbewerbsfähig und haben die wenigsten Fördergelder erhalten. Zwischen 1997 und 2007 hat aber auch mehr als jeder Dritte Betrieb aufgegeben.

Der Weg bis 2013
Rainer Tietböhl, Präsident des Landbauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern, fragte auch angesichts der Diskussion um die Milch: „Stehen alle auf unserer Seite?“ Den Betrieben in Mecklenburg-Vorpommern soll die Möglichkeit gegeben werden, Geld zu verdienen und von den Anträgen auf Finanzausgleich weg zu kommen. Politische „Zick-Zack-Kurse“ wie beim Biodiesel müssten aufhören. Zuerst wurde der Biodiesel gefördert, dann besteuert und letztlich brach die Branche zusammen. Wenn hingegen die Betriebe wieder Geld verdienen können, dann investieren sie im ländlichen Raum und schaffen Arbeitsplätze.
Muss das zwingend allein über Fördergelder finanziert werden? Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linken, kritisierte, dass nach dem Wegfall der CMA die Nachfolgeorganisationen einseitig auf den Export ausgerichtet wurden. Für die Aufgabe der heimischen Absatzförderung habe sich noch kein Dachverband gegründet. Dabei könne man auf dem Weltmarkt nicht mit neuseeländischen Produktionskosten in Höhe von 14 Cent je Kilogramm Milch konkurrieren. Dort stehen die Kühe ganzjährig auf der Weide, brauchen keinen Stallbau und bekommen kein teures Zusatzfuttermittel.
Michael Goldmann, Agrarsprecher der FDP, sieht eine Mischung aus Betrieben voraus. Es werde Betriebe geben, die international wettbewerbsfähig sind und auch Regionen, in denen nur regional produziert werden kann. „Da müsse weiterhin gefördert werden!“.
Ulrich Söffker, Landesgeschäftsführer der Grünen führt neue Produktionswege an. Gerade der Energiebereich biete den Landwirten ein neues und zusätzliches Einkommen, wofür die Politik heute bereits die Rahmenbedingungen schaffen müsse.
Dazu zählt beispielsweise die Bodenvergabe der BVVG. Angesichts des aktuellen Moratoriums der Flächenvergabe müsse sicher gestellt sein, das dass bei den Bauern bleibt, damit sie mit Hilfe des EEG auch in der Wertschöpfungskette mitverdienen können. Tietböhl warnte, dass Saatgut-, Energiekonzerne und Bodenspekulanten bereits „in den Startlöchern stehen“ und das Geld dafür haben, für die Erzeugung von zwei Megawatt auch 2.000 Hektar Land zu pachten. „Das darf nicht sein!“

Wandel auf den Höfen
Nach Ansicht von Dr. Backhaus hat die europäische Agrarpolitik nur eine Chance, „wenn sie von einer Politik für den Sektor zu einer Politik für die ländliche Räume wird.“ So kann der Strukturwandel in der Landwirtschaft eben auch ein Produktionswandel auf dem Hof beinhalten. Das Versprechen, alle Milchbetriebe erhalten zu wollen, ist nach Ansicht von Rainer Tietböhl streuen von Sand in die Augen.
Ein Blick zurück: Zu Beginn der Milchquote in den 1980er Jahren gab es in Westdeutschland rund 300.000 Milchbetriebe. Heute sind es nach fast 25 Jahren Milchquote in Gesamtdeutschland etwa 100.000. Die Quote hat den Strukturwandel nicht beendet.
Die Bauern haben in der Vergangenheit Milch, Fleisch und Getreide produziert. Künftig kommt noch mehr dazu: Pappeln als Kurzumtriebsplantagen oder sogar Löwenzahn als Beispiel für die stoffliche Nutzung erweitern die Produktionspalette. Da ist ein Festhalten an der „alten Milchpolitik“ sogar der Hemmschuh für Entwicklungen.
Die Kunst besteht also im Balanceakt, zu retten, was zu retten taugt und gestalten, wo sich etwas anbietet.

Nord Contor statt MEG
Für Ausstiegshilfen gibt es eine Mehrheit in Mecklenburg-Vorpommern. Rund 760 Milchviehbetriebe gibt es in dem Bundesland und „der eine oder andere könnte das in Anspruch nehmen“, schätzt Dr. Backhaus. Es geht um einen „sozial verträglichen Ausstieg“, so Tietböhl. Damit die Quote auch wirklich vom Markt weg ist, soll die Milchmenge des ausscheidenden Betriebes in die Bundesreserve überführt werden.
Furore macht derzeit die Milcherzeugergenossenschaft MEG auf Ebene der Milcherzeuger. Mehr als 21.000 Betriebe bündeln ihre Milch und versuchen in Süddeutschland die vertraglichen Rahmenbedingungen gegenüber den Molkereien zu verbessern. Mecklenburg-Vorpommern hingegen setzt auf die Bündelung auf Molkereiebene. In der Nord Contor GmbH versuchen die Molkereien Humana und Nordmilch, Molkereiprodukte bundesweit gemeinsam zu vermarkten. Allerdings musste die Nord Contor GmbH bereits eine erste Niederlage hinnehmen, denn Aldi hat sie bereits ausgelistet.

„Marktentlastungsprogramm Frankreich“
Seit Ende vergangener Woche sind französische Bauern wieder im Milchlieferstreik. Rund ein Drittel der nordfranzösischen Milchbauern soll es sein. Am Samstag hat die österreichische IG-Milch dazu aufgerufen und mehr als 200.000 Liter Milch sollen aus Protest bereits vom Markt genommen sein.
Auf der Bauernversammlung am Freitag wollte sich keiner der Politiker zum Lieferstreik in Frankreich äußern. Nur Dr. Backhaus sagte in der anschließenden Pressekonferenz, dass dies der falsche Weg sei. Vor zwei Jahren hat die Molkerei in Wismar durch eine Woche Lieferstreik eine Million Euro eingebüßt, Geld dass auch den Bauern fehlt. Und Rainer Tietböhl kommentiert, dass die anderen Nachbarländer bereit sind, den französischen Molkereien mit der Fehlmenge auszuhelfen.
So haben sich nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter vom Sonntag, die bayerischen Molkereien bereits darüber verständigt, ihre Milchpulvertürme abzuschalten und die Milch, die dort ansonsten pulverisiert wird, nach Frankreich umzuleiten. So wird der französische Lieferstreik kurzfristig eines erreichen: Das Überangebot im Nachbarland geht weg, die Milchmenge reduziert sich und die Preise ziehen an.
Vor dem Streik hat sich auch schon etwas bewegt. Die Ernte 2009 hat die Futterscheunen mit heimischen Getreide voll gemacht, die Preise sind um 40 Prozent gefallen, und wer konnte, stieg auf diese Futtermittel um. Das hat Dr. Backhaus für Mecklenburg-Vorpommern bestätigt. Dadurch reduziert sich der Fettgehalt der Milch, die Molkereien produzieren weniger Butter und deren Preise werden steigen. Im Gespräch ist in Mecklenburg-Vorpommern eine „Leguminosen-Prämie“. Bis zu 150 Euro je Hektar könnten das werden, so der Minister.
Mehr heimische Futtermittel ist auch das Anliegen der Vereinigung ökologischer Landbau in Hessen. Sprecher Frieder Thomas legte auf Herd-und-Hof.de dar, dass eine Förderung heimischer Futtermittel weniger Dünger, weniger Importe und höhere Artenvielfalt bedeuten würde. Auch die Milchmenge würde sich damit reduzieren lassen.

Roland Krieg

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