Landnutzung und Klima
Landwirtschaft
Die vergessenen Städte
Der Mensch interagiert mit seiner Umwelt. Seine Aktivitäten beeinflussen diese und ziehen im Wechsel veränderte Lebensbedingungen für den Homo sapiens nach sich. 50 Jahre nach der erfolgreichen Mondlandung wurden in diesem Sommer die Bilder des blauen Planeten aus Sicht der Mondreisenden im dunklen All noch einmal in die Wohnungen getragen. Die Menschen haben es zu großen Teilen selbst in der Hand, ob sie aus dieser Insel ein Paradies oder eine Hölle machen.
Der von den Menschen verursachte Anteil des Klimawandels beschleunigt aktuell den Trend in Richtung Fegefeuer. Wie dieser umgekehrt werden kann, ist emotionsgeladener Teil der Politik. Am Donnerstag hat der Sonderbericht des Weltklimarates IPCC zum Thema Landnutzungssysteme die Landbewirtschaftung in den Fokus gestellt [1].
Landnutzung
Das Thema ist komplex. Die Menschen nutzen von der eisfreien Landoberfläche rund ein Prozent für ihre Infrastruktur. Rund 12 Prozent sind Ackerland, 37 Prozent sind Grünland (intensiv und extensiv genutzt sowie Savannen), 22 Prozent forstlich genutzte Wälder und 28 Prozent Primär- und forstlich ungenutzte Wälder.
Die Zahl der Menschen hat sich seit den 1960er Jahren mehr als verdoppelt. Das spiegelt sich in den Zahlen des IPCC-Berichtes eindeutig wider: Die Inanspruchnahme neuer Ackerflächen und die Intensität der Bewirtschaftung hat seit dem enorm zugenommen. Die Getreideproduktion hat sich um 240 Prozent, die Nutzung für Fasern, wie beispielsweise durch Baumwolle hat sich um 162 Prozent vergrößert. In Begleitung stieg die Zahl der Wiederkäuer für Fleisch und Milch, die Bewässerungslandwirtschaft und vor allem der Gebrauch von anorganischen Stickstoffdüngern.
Der IPCC blickt global auf die Welt. Die Ausbreitung von Wüsten und Landdegradation sind die häufigsten negativen Einflüsse auf den Kontext Land-Klima. Zwischen 1961 und 2017 ist die Zahl der Menschen in Trockenregionen um 200 Prozent angestiegen, steigt tendenziell die Landfläche mit Trockenzeiten und sinkt die Fläche an Feuchtgebieten.
Auf den Tellern der Menschen steigt zwar auch die Kalorienzahl pro Gericht, aber die Menge an neuen Nahrungsmitteln wird nach wie vor durch das Bevölkerungswachstum beschleunigt.
Effektgröße
Weil nahezu ein Viertel der von Menschen bedingten Treibhausgase aus der Land- und Forstnutzung stammen, spielt die Form der Landbewirtschaftung eine große Rolle. Landwirtschaft, Forstwirtschaft und andere Landnutzungen sind in dem Zeitraum von 2007 bis 2016 für 13 Prozent der CO2-, für 44 Prozent der Methan und für 82 Prozent der Lachgasemissionen verantwortlich. Zwar gelten der Pflanzenbau und vor allem die Forstwirtschaft auch als CO2-Senke, die Beständigkeit der Senkenfunktion ist nach dem IPCC-Bericht aber recht unsicher.
Der Begriff der Landnutzung und die Folgerung, diese zu ändern ist eindeutig definiert. Er umfasst die Bedingungen des Landsystems durch die Veränderung der Landbedeckung: Dazu gehören Entwaldung, Wiederaufforstung, Urbanisierung. Danach wird beispielsweise über den Grad der Bewässerung die Nutzung des Landes betrachtet und am Ende der Landsystemzustand: Feuchtegrad, Begrünungsgrad, Schnee- und Permafrostmenge. Hier können die Menschen eingreifen und haben Stellschrauben in der eigenen Hand.
Der IPCC-Bericht verweist unmissverständlich auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die positive Effekte und Minderung negativer Effekte nach sich ziehen.
Größter Einfluss: Die Politik
Nach den umfangreiche. Einleitungen der IPCC-Berichtes weisen technische Lösungen und Wissenschaft die geringsten Lücken auf dem Weg zum Paradies auf. Ernährungssicherheit, Emissionsverläufe und Landnutzung sind vor allem politisch in Einklang zu bringen. Die richtigen Strategien können die Hürden für eine Umsetzung beseitigen. Aber dafür müsse eine mehrstufige, hybride und sektorübergreifende politische Steuerung her. Landmanagement-Entscheidungen müssen von der einzelbetrieblichen Ebene über Fachbereiche und Behörden hinweg auf mehrere Sektoren verteilt gefällt werden. Je mehr lokale Interessensvertreter wie Arme, Frauen sowie marginalisierte Gruppen einbezogen werden, desto effektvoller wird die Politik.
Nur die Landwirtschaft?
Die Reaktionen auf den IPCC-Bericht waren absehbar. Die Entwicklungsorganisation Oxfam fordert den Ausbau „agro-ökologischer Anbauverfahren als Alternative zur industriellen Landwirtschaft“. Die Ernten der kleinbäuerlichen Landwirtschaft müssten verbessert werden, wozu der Süden mehr Unterstützung durch den Norden bräuchte. NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller ruft die „Alarmstufe Rot für unsere Landnutzung aus“. Christoph Bals von Germanwatch ist differenzierter: „Wir müssen zwei Herausforderungen zugleich meistern: Zum einen brauchen wir ausreichend Flächen zur Ernährung einer wachsenden Zahl von Menschen und zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. Zum anderen benötigen wir zur Eindämmung der Klimakrise global große Flächen als CO2-Senken über Walderhaltung und Aufforstung sowie für Bioenergie. Beides in eine optimale Balance zu bekommen, ist eine komplexe Aufgabe, für die wissenschaftlich fundierte Lösungsvorschläge vorliegen.“
Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) kommentiert: „Bio setzt auf Viehbesatz, der an die Flächen angepasst ist, nutzt keine energieaufwändigen Kunstdünger oder naturfremden chemisch-synthetischen Pestizide. Das vermindert den Energieaufwand der Landwirtschaft, wodurch der CO2-Fußabdruck schrumpft. Die Böden werden lebendiger, speichern mehr CO2 durch Humusaufbau und können die Folgen von Extremwetter besser abpuffern, die eine Begleiterscheinung der Klimakrise sind.“
Der BUND personalisiert die Schuldfrage: „Die bisherigen Vorschläge von Bundesagrarministerin Julia Klöckner reichen bei weitem nicht aus, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Und ausgerechnet die größten Baustellen in der Agrarpolitik geht das Landwirtschaftsministerium nicht oder nur viel zu zögerlich an: eine deutliche Reduzierung der Nutztierbestände sowie den Schutz und die Wiedervernässung von Moorstandorten.“ Für den EU-Abgeordneten Martin Häusling von den Grünen steht vor dem Mercosur-Abkommen auch Brasilien vor dem Klimarichter: „Wenn in Brasilien binnen kurzem die Waldrodung vervierfacht wird, um Platz für Weideland und in der Folge für den Sojaanbau zu schaffen, dann heißt das eben auch, dass die EU beim Abschluss des Mercosur-Freihandelsabkommens geschlafen hat. Denn kaum war die Tinte trocken, ließ der rechtsradikale brasilianische Präsident Jair Bolsonaro die Holzrücker von der Leine, um in dem für den weltweiten Klimaschutz so überaus wichtigen Amazonas und der Cerrado-Savanne riesige Wälder zu roden.“ Der Mercosur-Vertrag muss noch durch das Europaparlament.
Landwirtschaft in Deutschland
Die landwirtschaftlichen Emissionen in Deutschland machen mit 64 Millionen Tonnen sieben Prozent des CO2-Ausstoßes aus, teilt das Bundeslandwirtschaftsministerium mit. Alleine die Haushalte verursachen schon 88, der Verkehr 164, die Industrie 196 und der Energiesektor sogar 299 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Julia Klöckner will mit der Ackerbaustrategie weitere positive Klimaeffekte in der Landwirtschaft heben.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze erkennt die Doppelrolle der Landwirtschaft: Die Land- und Forstwirtschaft ist ein Opfer dieser Entwicklung, aber sie ist auch ein wichtiger Verursacher und damit ein Teil der Lösung beim Klimaschutz. Die Art, wie die Menschheit mit dem Land umgeht, kann das Klima schützen oder schädigen. Der Bericht zeigt uns, dass Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft machbar ist und zugleich soziale, wirtschaftliche und ökologische Vorteile bringt. Die anstehende Reform der EU-Agrarförderung ist eine gute Gelegenheit, in Europa die richtigen Anreize für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft zu setzen.“
Die vergessenen Städte
Die ausschließlichen Reaktionen der Bio-Landwirtschaft verdecken, dass es auch international nicht nur um die Landwirtschaft geht. Mehr als die Hälfte der Menschen leben in Städten. Die bedecken zwar nur zwischen 0,4 und 0,9 Prozent der Erdoberfläche. Aber, sind sie deshalb ein Klimazwerg?
Der IPCC-Bericht belegt, dass eine selektive Lesart falsch ist. Denn drei Viertel der weltweiten CO2-Emissionen entstehen in den Städten. In entwickelten Ländern sind die Emissionen in Kleinstädten per Kopf größer als in Großstädten. In Entwicklungsländern ist es umgekehrt. Die weitere Entwicklung des Energiebedarfes in den Städten wird den Klimawandel weiter vorantreiben, warnt der IPCC.
Die Urbanisierung treibt die Entwaldung voran, verändert die Landnutzung der Umgebung und ist weltweit sogar der wichtigste Treiber für die Degradation des Bodens. Die Aufteilung zwischen Konsumenten in der Stadt und Produzenten auf dem Land erhöht den Landnutzungswandel am meisten. Zusätzlich entsteht dort Abfall, der ein immer größeres Umwelt- und Klimaproblem wird. Um das Jahr 2050 werden 70 Prozent der Menschen in Städten leben und womöglich Erfolge der klimafreundlichen Landbewirtschaftung auffressen. Schon die Ausbreitung der Städte kostet dem weltweiten Ackerbau bis 2030 rund 2,4 und bis 2050 schon weitere fünf Prozent Wirtschaftsfläche. Das verstärkt sogar noch den Zuzug in verstädterte Regionen.
Die Stadtbebauung verändert sowohl die ihre direkte Atmosphäre als auch die des Umlandes. Ziemlich sicher erhöht die Stadt die bodennahe Lufttemperatur der Umgebung um 0,19 bis 2,6 Grad Celsius. Dafür hat die Wissenschaft den Begriff der Stadthitze-Insel für eine Region geprägt. Auswirkungen auf die Nachttemperaturen sind eindeutiger als auf die Tagestemperaturen und erhöht Hitzewellen zusätzlich um 1,22 bis vier Grad Celsius. Die Folge sind mehr Erkrankungen und höhere Sterberaten bei Menschen.
Lesestoff:
Der Klimabericht des IPCC hat im Kontext Klimaschutz und Landwirtschaft vor mehr als zehn Jahren dem Ökolandbau bereits den relativen Vorzug für ein gutes Weltklima gegeben: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/klimaschutz-und-landwirtschaft.html
Jedes Zehntel Grad zählt. Der IPCC hat die Hoffnung auf das 1,5 Grad-Ziel noch nicht aufgegeben: https://herd-und-hof.de/handel-/jedes-zehntel-grad-zaehlt.html
[1] Klimawandel und Landsysteme: Der neue IPCC-Bericht: https://www.de-ipcc.de/254.php
Eine Zusammenfassung der Stadteffekte aus mehreren vorangegangenen Absätzen finden Sie in Kapitel 2 Land-Klima-Interaktion; Cross Chapter Box ab Seite 77
Roland Krieg