Landwirtschaft: „Die Welt hat sich verändert“

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Merkel mahnt neue Antworten an

„Ich habe Sie eingeladen, weil mir dieser Dialog sehr wichtig ist“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn des „Agrargipfels“ im Bundeskanzleramt am Montag. Dass die Landwirte Hunderte von Kilometern mit ihren Traktoren nach Berlin gekommen sind, zeige, wie wichtig ihnen das Anliegen ist. Merkel verstehe den großen Druck, der national und international auf dem Berufsstand laste und schwierige Entwicklungen hervorrufe. Merkel aber mahnte auch: Es sei ihr wichtig, deutlich zu machen, „dass sich die Welt verändert, dass wir in vielen Bereichen neue Antworten finden müssen“.

Die Änderungen in der Landwirtschaft könnten nur zusammen mit den Landwirten gemeinsam gefunden werden. Die Bauern seien nicht allein für die Veränderungen in der Natur zuständig, sind aber „natürlich Teil des Gesamtsystems“. Sie kennt daher Zielkonflikte wie hohe Auflagen und „ein dramatisches Problem bei der Artenvielfalt“.

Sie betonte die  Wirtschaftsseite auf den Höfen und verstehe, dass „das Ganze finanziell“ überstanden werden müsse. Merkel lud die Landwirte zu einem zweiten Forum in einem Jahr ein.

Alles außer Geld

Zwischen Merkel und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner passt kein Blatt. Klöckner hatte auf der Bauerndemo in der vergangenen Woche bereits angekündigt, dass die eigentliche Arbeit nicht im Bundeskanzleramt stattfinde. Dirk Andresen von der Organisation „Land schafft Verbindung“ hatte ihre Worte im Vorfeld des Kanzlergipfels bereits vereinnahmt. So trat Julia Klöckner nach dem Gipfel in ihrem Ministerium auch zwar mit einem 12-Punkte-Plan vor die Presse, aber nicht mit einer Geldschatulle unter dem Arm. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) Brüssels war sogar ausgeklammert. Die 12 Punkte (Gesprächsergebnisse) bewegen sich allein im vorgegebenen Rahmen einer nationalen Strategie.

Was ist neu?

Die Vielzahl an Gruppen unter den Landwirten sollen unter dem Dach des Deutschen Bauernverbandes und des Aktionsbündnisses „Land schafft Verbindung“ zusammen mit Politik und Wissenschaft „praxistaugliche Wege für eine produktive und ressourcenschonende Landwirtschaft aufzeigen.“ Frage: Was ist mit den Landwirten, die nicht vom DBV und dem Aktionsbündnis vertreten sind?

Im Herbst 2020 werden die Ergebnisse zusammengetragen und erneut im Bundeskanzleramt ausgelotet.

Im BKA-Format (Bundeskanzleramt) will Klöckner sich mit Merkel und dem Handel ebenfalls austauschen: Über Sonderangebote und Wertschätzung von Lebensmittel.

Die Niederländer werden immer mehr zum Vorbild. Die Kooperation im Umweltschutz mit Landwirten, Naturschützern und Gemeinden für vernetzte Biotope nimmt immer mehr Gestalt an.

Schon bekannt

Auf der Demo hatte Klöckner bereits angekündigt, dass zur Grünen Woche ein nationales Dialogforum zur Landwirtschaft startet und eine Informationskampagne zur Wertschätzung von Lebensmittel aufgelegt werden solle.

Die Ackerbaustrategie wird in den nächsten Wochen vorgestellt.

Mit Innenminister Horst Seehofer hat sich Klöckner bereits auf eine Änderung des Baurechts geeinigt, damit artgerechte Tierställe durch Erweiterungen und Umbau ihre Baugenehmigung nicht verlieren. Hier blockt nach Klöckner aber die SPD.

Den größten Applaus auf der Demo erhielt Klöckner, als sie eine Bildungsoffensive für Schüler und Lehrer ankündigte, damit hinterwäldlerische Bilder über die Landwirtschaft aus dem Unterricht verschwinden. Klöckner will mit diesem Ansinnen auf die Kultusministerkonferenz zugehen.

Dauerthema

Da es nicht um Geld ging, konnten Merkel und Klöckner lediglich auf die so genannte Borchert-Kommission verweisen, die im März 2020 die überfällige Frage klären soll, wie der Umbau von Ställen in Milliardenhöhe am Ende finanziert werden könne.

Der Insektenschutz wird wissenschaftlich zum Dauerthema, weil belastende Daten noch immer Mangelware sind. Der Runde Tisch Insektenschutz mit Umwelt- und Landwirtschaftsministerium soll fortgesetzt werden. Der DBV forderte bereits einen „Reset“.

Mercosur ist schon zu einem Dauerthema geworden. Ob Deutschland das Abkommen ratifizieren will oder nicht, bleibt offen. Es werde im Wesentlichen davon abhängen, wie sich alle Parteien im Sinne des Abkommens verhalten. Immerhin enthält das Abkommen verbindliche Regeln zu Arbeit, Umwelt und Klima.

Langweilig

Klöckner betonte mehrfach, die EU-Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken „Eins-zu-eins“ umzusetzen.  Weniger geht nicht, sonst geht das Thema in die Dauerschleife wie die Nitratrichtlinie. Mehr will sie nicht, also ist die Eins-zu-eins-Umsetzung das Selbstverständliche.

Fazit

Zielkonflikte sind anerkannt. Lösungen bleiben offen. Steigt bei Schweinen der Futterverbrauch durch Außenhaltung? Pflugsohlenverdichtung gegen reduzierte Bodenbearbeitung mit Totalherbiziden? Weidetierhaltung oder Wolf? Tank-Teller-Diskussion, aber Versiegelung des Ackerbodens und kaum begonnener Anbau von nachwachsenden Rohstoffen für Alltagsgegenstände und die Chemie? Fünf Jahre verfehlte Einigung zum Ende der betäubungslosen Ferkelkastration seitens der Fleischbranche und nach einem Jahr Verschiebung des Gesetzes, noch immer kein Votum? Die Landwirtschaftskammer Österreich ermahnt die Biobranche, die Fruchtfolgen nicht zu vernachlässigen, denn es mache sich der Trend breit, dass auch die Biobauern die Früchte bevorzugen, die das meiste Geld bringen. Wer also zahlt Umweltleistungen?

Im Vorfeld zeigte sich, dass die neue stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher, Klöckners Tierwohllabel nur als verpflichtende europäische Lösung akzeptieren will. Merkels Mahnung an die Bauern, Veränderungen in der Gesellschaft zu akzeptieren, übersetzte Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber beim Bayerischen Bauernverband  in die Worte: „Damit ich die Landwirtschaft in die Zukunft führen kann, brauche ich alle Blickwinkel – und nicht nur die heile Welt, die Sie vielleicht mal gewohnt waren.“ Sie keine Befehlsempfängerin des Landesbauernverbandes. Diesen Wandel hat die Berliner Agrarpolitik bereits vollzogen.

Reaktionen

„Der Karren der Landwirtschaft steckt fest. Nun ist es an der gesamten Agrarbrache, der Politik und den Verbrauchern, diesen herauszuziehen und gemeinsam anzupacken. Dass die Bundeskanzlerin heute den Dialog sucht und an einen Tisch lädt, ist auf nationaler Ebene ein wichtiger Schritt.“ Das sagt Bioland-Präsident Jan Plagge. „Die Rahmenbedingungen dazu sind in den vergangenen Jahrzehnten aus den Fugen geraten und haben die Fahrspur der Landwirtschaft stets unwegsamer gemacht. Was sich rechnet, wurde gemacht – was als richtig angesehen wurde, hatte ökonomisch oft keinen Platz.“ Plagge will Brücken zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft bauen. Die einen müssen ökologischer werden, die anderen ökologisch intensiver wirtschaften. Die Neugestaltung der GAP sei die größte Chance über eine andere Ausrichtung der Agrargelder, Einfluss auf die Wirtschaftsweise zu nehmen.

Gero Hocker von der FDP stellt sich hinter die protestierenden Bauern: „Agrarpaket und Düngeverordnung bedrohen die Branche in der jetzigen Form massiv, tausende Familien bangen um ihre berufliche Existenz. Deshalb muss klar sein: Ursachenforschung und die wissenschaftliche Überprüfung der geplanten Maßnahmen müssen zuerst kommen, danach erst die Verordnungen. Die Große Koalition hat es genau umgekehrt gemacht, was zurecht zu einer riesigen Protestwelle der Landwirte führte.“ Es dürfe keine Überregulierung geben.

Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin von Die Linke sagt: „Wenn man von landwirtschaftlicher Arbeit nicht mehr leben kann und gleichzeitig die natürlichen Lebensgrundlagen unter Druck geraten, ist die Agrarpolitik in einer gefährlichen Sackgasse. Die strategische Ausrichtung auf möglichst billige Rohstofflieferung für den globalisierten Weltagrarmarkt schadet Mensch und Natur. Nur durchschnittlich 13,6 Prozent der Bruttowertschöpfung in der Lebensmittelkette betreffen die Agrarbetriebe, während Verarbeitung und Vermarktung über 86 Prozent abschöpfen. Das ist das Ergebnis einer verfehlten Agrarpolitik.“

Ganz ablehnend äußerte sich der Europaabgeordnete Martin Häusling von Bündnis 90/Die Grünen: „Statt angesichts von Klimawandel und Artenschwund auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren, verordnet Kanzlerin Angela Merkel das Weiter-so in der Agrarpolitik. Mehr, als zum Einkauf regional erzeugter Lebensmittel zu raten, fällt ihr nicht ein. Der Regierung ist es wichtiger, alle mit wirtschaftlichen Ambitionen ausgestatteten, am Verkauf von Pestiziden interessierten Lobbyvereine wie Raiffeisenverband oder Industrievereinigung Agrar an den Tisch zu holen. Statt sich ernsthaft Gedanken über dringend anstehende Änderungen in der Agrarpolitik zu machen.“ Häusling kritisierte, dass Umweltschutz- und Tierschutzvereine nicht geladen waren.

Roland Krieg

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