Landwirtschaft ohne Pflanzenschutzmittel?
Landwirtschaft
Pflanzenschutzmittel in der Luft
Abdrift ist ein wesentlicher Eintragspfad von Pflanzenschutzmitteln auf andere Flächen. Im Zulassungsverfahren werden Abdriftwerte auf der Basis von Abdriftversuchen berücksichtigt. Die Landmaschinenhersteller haben in den vergangenen Jahren Düsen und Feldspritzen abdriftarm optimiert.
Unproblematisch ist eine Abdrift nicht, wenn die Wirkstoffe in Bioprodukte migrieren, die nicht mehr vermarktet werden dürfen. Das Berliner Ingenieurbüro TIEM-Integrierte Umweltüberwachung hat sich als Vertreterin des Bündnisses „enkeltaugliche Landwirtschaft“ des Bio-Monitorings verschrieben und veröffentlicht zwei Mal im Jahr Studien zum Bio-Monitoring. Diesen Dienstag haben die Wissenschaftler von TIEM eine Studie mit Proben aus den Jahren 2014 bis 2019 veröffentlicht, die eine Verbreitung von Pflanzenschutzmitteln in ganz Deutschland aufzeigen. An 163 Standorten wurden Wirkstoffe gefunden. Auch in entfernten nicht landwirtschaftlichen Regionen wie im Nationalpark Bayerische Wald. Die Studie wurde im Vorfeld für das ARD-Magazin FAKT aktuell aufgearbeitet.
Imker haben mit diesen Kontaminationen häufiger zu tun, wenn ihre Bienen konventionelle Felder anfliegen. Solange der der in der Risikobewertung definierte zulässige Höchstwert nicht überschritten wird, darf er zwar verkauft werden, aber nicht mehr als ökologisches Produkt. Vor einigen Jahren machte die Abdrift Schlagzeilen, weil Wirkstoffe Pendimethalin und Prosulfocarb per Ferntransport in ökologisch erzeugte Körner-Fenchel in einem Brandenburger Betrieb im Biosphärenreservat Chorin eingetragen wurden und nicht mehr verkauft werden durften.
Abdrift von Wirkstoffen
Die TIEM Integrierte Umweltüberwachung GbR hat sich auf Bio-Monitoring spezialisiert und veröffentlicht zwei Studien pro Jahr. Die am Dienstag veröffentlichte Studie wurde voraus mit dem ARD-Magazin FAKT eingespielt und am Sendetag in Berlin veröffentlicht. Neben Analysen von Bienenbrot, Filtermatten von Be- und Entlüftungsanlagen sowie Rindenmonitoring hat das Institut auch Bürger-Wissenschaftler als Probensteller im Auftrag des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und dem Umweltinstitut München Luftproben gesammelt und ausgewertet. An 163 Standorten wurden zwischen 2014 und 2019 Messungen durchgeführt und insgesamt 152 Wirkstoffe nachgewiesen.
Die leitende Wissenschaftlerin Maren Kruse-Plass schrieb den Bürger-Wissenschaftlern großes Engagement vor, die bei regelgerechter Kühlung gute Messqualitäten bereitstellten.
Neben dem Wirkstoff selbst, der durch Wind verdriftet wird, trocknen Spritztropfen an und gasen die Wirkstoffe aus. Bei fester Bindung an Bodenpartikel werden sie als Staubverwehung über weite Strecken transportiert.
Aus diesem Grund finden sich in Alpengletscher und Poleis noch sehr langlebige organische Produkte, die als „Persistent organic pollutants “ wie DDT und PCB noch heute in der ganzen Welt zu finden sind.
Daher ist es wenig überraschend, das die Wissenschaftler Wirkstoffe in entlegenen Schutzreservaten wie dem Bayerischen Wald gefunden haben. Der politische Aufschrei „Pestizide in der Atemluft“ von Harald Ebner findet aber wenig Entsprechung in der Studie. Die Studie wirft aber mit der Frage nach einer Entschädigung ein offenes Thema auf.
Bezugspunkt fehlt
Lediglich beim Bienenbrot gab es eine Messung pro Einheit Lebensmittel. Alle anderen Angaben in der Studie beziehen sich auf Wirkstoffe pro Probe. Die geringste Menge muss sich an der Nachweisgrenze orientieren. Ob die Menge sonst über oder unter dem zulässigen, gesundheitlich unbedenklichen Höchstgehalt liegt, wird in der Studie nicht ersichtlich und wurde in der Pressekonferenz auch nicht beantwortet [2].
Das Fazit der Studie konnte daher nur ein generelles Verbot von Pflanzenschutzmitteln sein. Als Bezugswert wurde der Orientierungswert des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren genommen. Der BNN hat 2001 ökologische Produkte als Rückstandsfrei bis 0,01 mg/kg unverarbeitete Substanz festgelegt. Hersteller, die diesen Wert reißen, werden, zumindest in Deutschland von der Vermarktung. Andere EU-Länder haben jedoch andere Regeln und halten es auch mit einem Vermarktungsverbot unterschiedlich [1]. Was davon praxistauglich ist, bleibt noch offen. Die neue Öko-Verordnung, deren Einführung am 01. Januar 2020 verschoben wurde, sieht keine Änderung vor.
Der Pflanzenschutz
Zur Vermeidung von Abdrift dürfen Landwirte bei Temperaturen von über 25 Grad Celsius generell keine Pflanzenschutzmittel mehr ausbringen.. Auch Windgeschwindigkeiten von mehr als fünf Meter pro Sekunde sind tabu. Es gibt Alternativen für den konventionellen chemischen Pflanzenschutz. So kann Saatgut über Beizung lange Zeit geschützt sein. Das Saatkorn bekommt einen Überzug und wird in den Boden gelegt. Das Bienensterben im Oberrheintal wurde nicht durch Abdrift, sondern durch Abrieb einer ungenügend haftenden Beize verursacht. Mittlerweile dürfen nur noch zertifizierte Stellen, Saatgut beizen. Der Industrieverband Agrar hat in einer Stellungnahme die Risikominderung bei sachgemäßer Anwendung von Pflanzenschutzmitteln unterstrichen. Im Zuge der Digitalisierung lassen sich Teilflächen individueller bearbeiten und der Aufwand von Pflanzenschutzmitteln drastisch senken.
Vermeidung von Lebensmittelverschwendung
Das Beizen ist eine Alternative zum generellen Verbot von Pflanzenschutzmitteln. Das ARD-Magazin gab den Tag der Studienveröffentlichung vor. Es war aber auch der Tag zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakidis sagte am Dienstag: „Die Zahlen sprechen für sich. 20 Prozent aller erzeugten Lebensmittel gehen wieder verloren oder werden verschwendet. Gleichzeitig können sich 33 Millionen Europäer keine zweite Mahlzeit am Tag leisten. Es gibt keine Entschuldigung für Lebensmittelverschwendung.“
Die beginnt aber schon auf dem Feld. Raps ist eine wichtige Pflanze. Nicht nur als Bienenweide, sondern auch als heimisches Futtermittel. Im Ökoanbau wird er kaum genutzt, weil es keine zugelassenen Insektizide gibt. So ist es auch bei den Zuckerrüben. Dort wird sogar ein Umbruch nach Ansaat empfohlen, wenn von den 90.000 Pflanzen pro Hektar nur die Hälfte noch zur Reife kommt. Auch hier fehlen Insektizide. Nicht alles lässt sich mit Fruchtfolgen regeln. Wer wegen Insektenschaden seine Feldfrucht umbrechen muss, hat Geld für Saatgut, erste Arbeitsstunden für die mechanische Pflege und einen ganzen Hektar Feldfläche verschwendet. Bei einem Rübenumbruch kann zeitlich keine Ersatzpflanze mehr eingesät werden.
Lesestoff:
Die TIEM-Studie finden Sie unter http://tieminfo.de/
[1] PSM-Rückstände im Ökoanbau: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/oeko-empfehlungen-fuer-psm-rueckstaende-nicht-praxistauglich.html
[2] ADI, ARfD und ALARA:
Bei der Festsetzung von Rückstandshöchstgehalten werden die in Versuchen ermittelten Rückstände berücksichtigt. Des Weiteren kommen Daten zur Toxikologie sowie Verzehrmengen hinzu. Dabei muss sichergestellt werden, dass die durch den Verbraucher aufgenommene Menge einer Substanz den ADI-Wert und, soweit vorhanden, den ARfD-Wert dieser Substanz nicht überschreitet. Der ADI („Acceptable Daily Intake“) gibt die Menge eines Stoffes wieder, die ein Verbraucher täglich und ein Leben lang ohne erkennbares Gesundheitsrisiko aufnehmen kann. Die akute Referenzdosis (ARfD) gibt die Menge eines Stoffes an, die ein Verbraucher über einen kurzen Zeitraum, eine Mahlzeit oder einen Tag, ohne erkennbares Gesundheitsrisiko aufnehmen kann. Die Festsetzung von Rückstandshöchstgehalten folgt dem ALARA-Prinzip ("As Low As Reasonably Achievable"), also "So niedrig wie möglich und angemessen". Rückstandshöchstgehalte dürfen also immer nur so hoch wie aus Sicht des Pflanzenschutzes nötig sein, aber niemals über der toxikologisch vertretbaren Grenze liegen. Dieses Prinzip sieht auch die neue Verordnung vor. Gesundheitliche Risiken besonders gefährdeter Gruppen wie Kinder und Ungeborene sind in der Bewertung zu berücksichtigen. Außerdem sind kumulative Wirkungen und synergistische Effekte mehrerer Wirkstoffe zu beachten, soweit dies methodisch möglich ist.
Roland Krieg
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