Lebendige Dörfer – lebendige Räume
Landwirtschaft
Arbeitsgemeinschaft Historische Dorfkerne in Brandenburg
>Bedauernswerterweise können fast nur noch ältere Hausfrauengenerationen Qualitätsunterschiede bei Lebensmitteln erkennen, formulierte Dr. Christian Ganzert auf der Nürnberger BioFach auf dem Forum über regionalen Wohlstand. Mit dem Verlust traditionellen Handwerks auf dem Land geht auch der Stadt kulturelles Gut verloren. Bei einem Kongress über die Zukunft des ländlichen Raumes in Ostdeutschland im August letzten Jahres gab es unter anderem zwei Thesen, die für den ländlichen Raum diskutiert werden: „Auch dünn besiedelte Räume können stabil sein“ und „Schrumpfungsprozesse müssen aktiv gestaltet werden“.Nur wenige Begriffe wie der des ländlichen Raumes verlieren an Konturschärfe, je näher man hinblickt. Was ist ein lebendiger Raum und wie kann der ländliche Raum lebendig gestaltet werden?
Zentrum Dorf
Gestern fanden sich in der Heimvolkshochschule Seddiner See Gemeindevertreter aus Brandenburg und drei Ministerien zur Gründungsveranstaltung „Historische Dorfkerne im Land Brandenburg“ ein. Staatssekretär Dietmar Schulze aus dem federführenden Agrarministerium stellte einleitend fest, dass der ländliche Raum in Brandenburg von Dörfern geprägt ist und zwei Drittel der Bevölkerung im ländlichen Raum wohnt. Die vielfach zitierte Abwanderung der jungen Menschen beschränke sich überwiegend auf die Unterzentren wie Frankfurt/Oder, Cottbus oder Schwedt und weniger auf dem ländlichen Raum.
Der Strukturwandel nach der Wende und der bis heute noch nicht kompensierte Verlust an Arbeitsplätzen belasten jedoch das Land. Arbeitsplätze müssen gesichert, lokale Identitäten geschaffen werden und viele historische Gebäude in den Dörfern sind unbewohnt, während außerhalb Wohnparks entstehen, die keinen Bezug zum Dorf haben.
Die Dörfer in Brandenburg weisen als Haufen- oder Straßendorf genauso wie als lockere Siedlung sehr unterschiedliche Charaktere auf, die besonders hervorgehoben werden können. Überwiegend ist das Dorf, so Dietmar Schulze, bäuerlich geprägt und hat eigene Sitten und Gebräuche, Feste und Vereinsleben. In den Orten soll wieder gewohnt werden. Gewerbe und Tourismus seien die endogenen Faktoren, welche die Dorfentwicklung unterstützen. Das wichtigste seien aber die Menschen vor Ort, die das äußere Erscheinungsbild der Dörfer prägen, dörfliche Gemeinschaften entwickeln und positive Veränderungen hervorrufen können.
Dr. Koch vom Kulturministerium sieht auf dem Land „Schätze“, die noch zu heben sind: „Die Chancen der Dörfer erschließen sich nicht dem flüchtigen Betrachter.“ Die Erhaltung der Bausubstanz kommt den Bewohnern zugute, dient der Identität des Landes Brandenburg und fördert den Tourismus.
Die Arbeitsgemeinschaft als Weg
Neben Regionalmanagement und Marketingstrategien, wie der märkischen Fischstraße oder der kulinarischen Kartoffeltour im Fläming gibt es seit heute auch die Arbeitsgemeinschaft Historische Dorfkerne. Staatssekretär Schulze: „Die AG wird werbewirksam Initiativen und Dorfleben wecken und Wirtschaftspartner gewinnen.“ Die AG soll in einem gemeinsame Erfahrungsaustausch über Aktivitäten berichten. Dabei stehe das „Ringen um Fördermittel“ nicht im Vordergrund.
Die Gründungsurkunde haben acht Orte unterzeichnet: Hohenfinow in der Gemeinde Britz-Chorin, Gülpe im Landkreis Havelland, Neulietzegöricke in Märkisch-Oderland, Buberow (Oberhavel), Burg Bloischdorf (Spree-Neiße), Behlendorf (Oder-Spree), Fredersdorf Wiesenburg (Prignitz) und Groß Breese in der Uckermark.
Eigentlich, so war zu hören, müssten alle Dörfer in die AG aufgenommen werden. Es wird sich jedoch zeigen, welche Entwicklung der Arbeitskreis nehmen wird. Denn hierin liegen auch verschiedene Vorstellungen: Solle die gesamte Fläche gefördert werden oder nur einzelne Dörfer? Die Arbeitsgemeinschaft hat ein großes Vorbild mit der AG Historische Stadtkerne, der mittlerweile 29 Städte angehören. Dort wurden jahrhunderte alte Pflaster für eine Reise in die Stadtgeschichte erneuert, Marktplätze für einen Bummel für die Augen hergerichtet und traditionelle Feste wieder belebt.
Ernst Wipprecht, Vorsitzender der Brandenburgischen Gesellschaft für Landesgeschichte und Denkmalpflege e.V. sieht Vorbilder in München und Dresden. Diese Städte haben auf dem Land Außenstellen der städtischen Museen eingerichtet, die das Land enger mit der Stadt verflechten. Mit Berlin sei ihm das bislang noch nicht gelungen.
Ein lebendiges Dorf wird aber nicht durch die Restaurierung geschichtlicher Gebäude entstehen. Es gebe, so Dietmar Schulze, zwar einen „Wettbewerb um die Touristen“, aber genauso wichtig war es Gemeindevertretern, was sie als „Eigenwirtschaft“ bezeichnen: Arbeiten auf dem Dorf, Wertschöpfung auf dem Dorf und Lebensqualität auf dem Dorf. Daher gab es Lob, dass mit den Ministerien für Landwirtschaft, für Infrastruktur und Raumordnung, sowie für Wissenschaft und Kultur verschiedene Aufgabenbereiche politisch abgedeckt sind. Jedoch käme es der Vielschichtigkeit des Dorfleben noch näher, wenn auch, wie zu hören war, ein weiteres Ministerium an Bord wäre: Das für Soziales, Gesundheit und Familie.
Aber: Der bisherige Erfolg liegt in der Gründungsveranstaltung mit acht Dörfern, die eine erste „kommunale Arbeitsgemeinschaft“ bilden. Und: „Die Aktivitäten müssen von unten wachsen“, so Dr. Harald Hoppe vom MLUV.
Informationen und weitere Berichte auf Herd-und-Hof.de:
Unter www.ag-historische-stadtkerne.de können Sie sich über die Arbeit der 29 teilnehmenden Städte informieren und den nächsten Wochenendausflug planen.
Wissenschaftliche Forschung über regionalen Wohlstand
Kongressbericht über die Zukunft des ländlichen Raumes in Ostdeutschland
Kirche und Tourismus in MV
Roland Krieg