Legen rote Linien TTIP auf Eis?
Landwirtschaft
Auch Parteipositionierung zu TTIP bleibt diffus
Die SPD hat ein umfangreiches Positionspapier zum Transatlantischen Handelsabkommen TTIP erstellt. Die Mit-Regierungspartei betont, dass das Bundeswirtschaftsministerium und der Deutsche Gewerkschaftsbund zwar nicht in allen Punkten dieselben Positionen beziehen, aber an vielen Stellen die gleichen Ziele verfolgen. 14 Punkte umfasst das Papier, das Chancen beschreibt, sofern ein fairer und nachhaltiger Handel gestaltet wird. Dann folgen „rote Linien“, die Sollbruchstellen auf dem Weg zu einem Abkommen sein könnten. Der letzte Satz lässt kaum einen anderen Spielraum offen, als dass das Papier eine „Ausstiegsklausel“ aus den TTIP-Verhandlungen ist: „Ein TTIP, das die Interessen der europäischen Bürgerinnen und Bürger nicht berücksichtigt, darf und wird es nicht geben.“ Dr. Till Backhaus, Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern (SPD) und derzeit Vorsitzender der Verbraucherschutzministerkonferenz (VSMK), sieht das nicht als „Ausstiegsklausel“. Doch vor der VSMK in Berlin tagt seit gestern eine Sondersitzung zum TTIP. Am Ende der Woche sollen „Zielkriterien für ein erfolgreiches Abkommen im Bereich Lebensmittelstandards und Verbraucherrechte“ stehen. Dr. Backhaus sprach vor Tagungsbeginn von roten Linien, die Europa ziehen müsse und die nicht unterschritten werden dürfen.
Hoffnung auf Malmström
„Es sind Chancen vorhanden“, unterstrich Dr. Backhaus. Vorteile für den größten gemeinsamen Markt bieten sich durch leichtere Exportchancen auf beiden Seiten an. Dr. Backhaus wehrt sich gegen das Etikett „Chlorhühnchen“ mancher TTIP-Gegner, die das Abkommen emotional diskreditieren wollen. Sogar für Mecklenburg-Vorpommern hat das ifo-Institut Vorteile durch das TTIP ausgerechnet. Der Exportzuwachs in Höhe von 29,3 Prozent liegt zusammen mit Nordrhein-Westfalen an der Spitze der Bundesländer. Allerdings sind die monetären Gegenwerte des Relativwertes weitaus ernüchternder. Während Rhein und Ruhr von einer Wertschöpfung von 1,43 Milliarden Euro träumen darf, käme Mecklenburg-Vorpommern nur auf 25 Millionen Euro. Auch beim Beschäftigungsverhältnis zöge das Küstenland mit 735 gegen 21.000 Arbeitsplätzen den Kürzeren.
Die Unbehagen über TTIP müsse die Politik ernst nehmen. Die Liste ist lang: Investorenschutzrechte, mangelnde Transparenz der Verhandlungen, Klonfleisch, Chlorhühnchen, Nanotechnologie, Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen und Fracking. Möglicherweise wird die Schwedin Cecilia Malmström als Handelskommissarin die TTIP-Verhandlungen führen und Dr. Backhaus setzt große Hoffnungen auf sie.
Vor allem das Schiedsgericht bei Streitigkeiten zwischen dem Staat und Unternehmen sei sowohl im TTIP als auch im CETA-Abkommen mit Kanada unnötig. Alle beteiligten Länder hätten reife Rechtssysteme aufgebaut, erläuterte Backhaus.
Wo sind die roten Linien?
Doch ähnlich intransparent wie die Verhandlungen bleiben auch die „roten Linien“ diffus. Wenn die europäischen Standards nicht abgesenkt werden dürfen, ab wann stellt die SPD das Verhandeln ein? Wenn TTIP als Gesamtwerk vorliegt, ist es zu spät, Änderungen durchzuführen sagte Johannes Kleis vom europäischen Dachverband der Verbraucherzentralen (BEUC). Doch ob wirklich die Verhandlungen eingestellt werden, wie das die SPD weismachen will, bleibt offen. Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde hatte in der letzten Woche auf Nachfrage von Herd-und-Hof.de erklärt, dass die Etikettierung und Verbraucherinformationen auf der Verpackung die Amerikaner zwingen werden, Chlorhühnchen, Klonfleisch und Hormonsteak zu kennzeichnen. Aber nicht an der Grenze fern halten werden. Dann liegen amerikanische und europäische Standards nebeneinander im Regal.
Strukturwandel
Doch prallen bei Abschluss von TTIP vor allem in der Landwirtschaft zwei gegensätzliche Welten aufeinander. Die selbst in Ostdeutschland kleinen Betriebe werden einem schweren Wettbewerb ausgesetzt, weil die Amerikaner fast auf allen Märkten preisgünstiger produzieren können. In der Landwirtschaft geht die Angst vor einem rasanten Strukturwandel um. Wie anfällig der europäische Markt ist, zeigen China und Russland. Steigt die Milchnachfrage in China, wird hier die Ware knapp und teuer. Stoppt Russland die Exporte, steigt das Angebot und die Preise sinken. Was bei einem dauerhaften TTIP-Abkommen bleibt, ist offen. Zumal TTIP wohl weniger die Landwirtschaft, sondern vor allem die Industrie belohnen kann. Dr. Backhaus: „Wird die Landwirtschaft der Industrie geopfert?“
Langer Prozess
Am Mittwoch hat die Linksfraktion einen Antrag gestellt, CETA zu stoppen. Der Vertragstext widerspreche den wiederholten Erklärungen, die europäischen Sozial- und Umweltstandards zu erhalten. „Vielmehr findet sich im Vertragstext eine Fülle von weit reichenden Liberalisierungsangeboten, die diese Standards entweder gefährden oder aufgrund dehnbarer Bestimmungen nicht garantieren (Consolidated CETA Text, p. 184). Auch Bündnis 90/Die Grünen wollen, dass die Bundesregierung CETA ablehnt. Wegen der Klageprivilegien der Konzerne [1]. CETA gilt als Blaupause für das TTIP. Deshalb glaubt Backhaus auch, dass sich die Verhandlungen über TTIP über einen „sehr, sehr langen Zeitraum“ hinziehen werden. Mecklenburg-Vorpommern werde im Bundesrat bei Bedarf gegen TTIP stimmen.
„Noch immer offen“
Ob TTIP dann besser wird als CETA ist fraglich. Am Montag hat das Bundeswirtschaftsministerium zwei Gutachten zum CETA vorgestellt. Dr. Stephan Schill vom Max-Planck-Institut für ausländisches und öffentliches Recht in Heidelberg, kommt zu dem Schluss, dass das Investorschutzabkommen die ausländischen Firmen nicht besser stellt, als heimische. Die Investitionsschutzklauseln geben „keinen Anlass zur großen Sorge“, sagte eine Ministeriumssprecherin am Mittwoch erneut. Daher könnten sie im Vertrag auch drin bleiben.
Das Ministerium zeigt sich ebenfalls beruhigt, dass Prof. Dr. Franz Mayer von der Universität Bielefeld die Ansicht vertritt, CETA sei ein gemischtes Abkommen und muss neben der EU auch von den 28 nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Doch genau darüber beginnen die Verhandlungen mit der EU-Kommission und dem EU-Rat erst noch. Welchen Bestand das Gutachten haben wird, ist mit seiner Vorlage noch nicht gesagt. Nur der Hinweis der Sprecherin: „Das Ganze ist ja noch ein Prozess. Es gibt noch ungeklärte Fragen, insbesondere die Frage des gemischten Abkommens.“
Die Meinungen über Vorteile und Nachteile von CETA und TTIP liegen nach Johannes Kleis deshalb so weit auseinander, weil die Verhandlungen alles andere als transparent sind. Schal bleibt auch die Erkenntnis, dass zur Vorlage des abzustimmenden CETA-Textes noch immer nicht klar ist, wer am Ende darüber entscheidet. Das BMWi-Gutachten ist bei seiner Vorstellung schon Makulatur, weil Deutschland diese Position erst noch in der EU verteidigen muss.
Lesestoff:
[1] Europaparlament uneins über CETA
Roland Krieg; Foto: roRo (Archiv)