Liberale Agrarpolitik in Brüssel
Landwirtschaft
Richtungswechsel in der Agrarpolitik erkennbar machen
Die langen Gänge zwischen den Abgeordnetenbüros „Unter
den Linden“ sind auf der FDP-Ebene abgedunkelt und gespenstisch leer. Ein
Kontrapunkt sind die Büros der Europaabgeordneten der Liberalen. Dort lud am
Freitag Britta Reimers zu einem Gespräch über die Agrarpolitik und zeigte, wie
quicklebendig die „Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“ (ALDE) ist.
Mit 11,4 Prozent ist die ALDE die drittstärkste Fraktion. Die Agrarpolitikerin
mit bäuerlicher Biographie in Schleswig-Holstein ist Mitglied im
EU-Agrarausschuss und Stellvertreterin im Ausschuss für Umweltfragen,
öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Vor dem Endspurt
In Brüssel sind die Weichen gestellt. Im November stehen die finalen Abstimmungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen, der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), zu den Kohäsionsfonds an, denen noch im Dezember die Veröffentlichungen im Amtsblatt folgen können. Es war eine Mammutaufgabe. Die nationale Umsetzung ist in einigen Punkten noch offen und zwischen Partikularinteressen verschiedener Landwirtschaften in Deutschland noch immer heftig umstritten [1]. Verschiedene Interessen gibt es auch auf europäischer Ebene. Der deutsche Skeptizismus gegenüber großen Betrieben findet sich auch in Großbritannien, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern wider. Im Mittelmeerraum sind die Betriebe eher klein und Strukturwandel haben erhebliche existenzielle Auswirkungen. Dort muss eine Familie von drei Hektar Obstbau leben, erklärte Reimers. Noch schwieriger ist es in Rumänien. Nach dem Ende der Diktatur wurde das Land zwischen allen aufgeteilt, auch wenn die Städter keine Erfahrungen in der Landwirtschaft hatten. Einem durchaus sinnvollen Strukturwandel steht die Furcht der Menschen gegenüber, ihr Land zu verlieren, wenn sie es verpachten. Polen hingegen hat hingegen die Chancen der GAP genutzt und in den Mittelstand investiert. Dort sehen junge Menschen Zukunftschancen in der Landwirtschaft und werden durch ein Junglandwirteprogramm unterstützt.
Kompromiss mit Fehlern
Doch auch wenn die GAP ein Kompromiss zwischen all
diesen Formen der Landbewirtschaftung sein muss, ist Britta Reimers doch „enttäuscht“.
Während der Verhandlungen haben die Länder zu sehr auf ihre Einzelinteressen
geblickt. Da laufe die GAP Gefahr den Europagedanken, zu verlassen und sende
ein negatives Signal aus. Eine europäische Agrarpolitik gebe allen Bauern die
gleichen Voraussetzungen und Chancen für den Marktzugang, für die Erzeugung von
qualitativen Lebensmitteln und Chancen in der Nutzung regionaler Nischen.
Es gebe zu viele „Ausnahmetatbestände“ und „marktregulierende
Maßnahmen“. Britta Reimers hat im Verhandlungsprozess viel Kritik geübt und
weiß diese auch in Deutschland widerzuspiegeln. So geht der Knickschutz in
Schleswig-Holstein „zu weit“. Zu viele Umweltauflagen auf deutscher und
europäischer Ebene sind „bürokratische Monster“.
Die GAP sieht für 2017 eine Zwischenbilanz vor und
Britta Reimers erwartet eine „ehrliche Bilanz“, was mit dem so genannten „Greening“
erreicht wurde und wo es wirtschaftliche Hindernisse aufgebaut hat. Die Umwelt solle
nicht vernachlässigt werden. Sie kennt das Problem der Bodenerosion und der
großen Staubfahnen in Ostdeutschland. Da wurden in der Vergangenheit zu viele
Landschaftselemente herausgenommen – doch mit bäuerlicher Fachkompetenz werden Hecken,
Wälder und Ackerrandstreifen wieder aufgenommen. Die Wahl des Ordnungsrechtes
für die Durchsetzung von Umweltmaßnahmen ist ein Eingriff in das Eigentum. In
keinem anderen Sektor sind die Eingriffe in betriebliche Abläufe so weitgehend
wie in der Landwirtschaft. In der Automobilindustrie hören die staatlichen
Vorschriften am Werkstor auf.
Das Land muss leben
Zwar gehört die Landwirtschaft zum ländlichen Raum, aber dieser besteht aus mehr als nur der Landwirtschaft. Es gibt vereinzelte Stimmen, die Förderung des ländlichen Raums ohne Umweg über Brüssel direkt über Regionalbudgets zu finanzieren. Britta Reimers will die zweite Säule der GAP aber nicht aufgeben, weil sie fürchtet, dass sich dann Metropole und Peripherie weiter auseinander entwickeln. Eine starke zweite Säule kümmert sich aber nicht nur um die Landwirtschaft, sondern bezieht das Handwerk in die wirtschaftliche Entwicklung mit ein. Das Breitband werde auch nicht alle Probleme lösen. Technisch sind Modelle denkbar, wo Schüler von zu Hause aus über Tele-Angebote „zur Schule“ gehen. Mit dieser Vision kann sich Reimers aber nicht anfreunden. Das Breitband kann keine sozialen Kontakte ersetzen.
Landwirt und Landbewohner
Dazu gehört auch der Frieden zwischen Landwirten und
Landbewohnern, von denen viele Neubewohner aus den Städten sind. 70 Prozent der
erneuerbaren Energien in Deutschland werden aus Biomasse gewonnen. Maisfelder, Biogasanlagen
und das Ernten am Wochenende führen zu Unfrieden auf dem Land.
Die agrarpolitische Sprecherin der ALDE-Fraktion
erinnert an die Anfangsjahre, als die Bioenergie vom Feld noch als
Diversifizierungspotenzial für neue Einkommen in der Landwirtschaft gefeiert
wurde. Daraus dürfen heute keine Vorwürfe gestrickt werden. Künftig müssen die
Bedingungen für die Landbewirtschaftung besser definiert werden: Wo kann was in
welchem Umfang gemacht werden?
Es funktioniert, wenn die Bauern die Anwohner
mitnehmen. In ihrem Wahlkreis in Itzehoe bieten Bauern beispielsweise den
Bewohnern an, nach der Maisernte die Straßen auf eigene Kosten wieder sauber zu
machen.
Mai 2014
Dieses Zueinander ist die große Herausforderung auch für
den Mai 2014. Dann stellt sich das Europaparlament zur Wahl. Doch was hat der
Schwarzwaldbauer mit Lampedusa zu tun? Das gilt es den Wählern klar zu machen
und Britta Reimers hat es versucht: Zum Europagedanken gehört es auch, sich die
Errungenschaften wach zu rufen, die heute zu Banalitäten geworden sind. Durch
die EU haben die Bauern einen großen Beitrag für den Wohlstand geleistet, der
den Verbrauchern eine unübersehbare Vielfalt an Nahrungsmitteln zu günstigen
Preisen anbietet. Und damit hat die EU ein Wirtschaftsniveau erreicht, dass für
viele Menschen in anderen Regionen erstrebenswert ist. Europa kann über
Wissenstransfer Hilfestellung für viele Schwarzwaldbauern in der Welt leisten.
In der Entwicklungshilfe, so Reimers „haben wir Afrika aber vergessen“.
Wenn alles glatt läuft, ist es leicht ein Europäer zu
sein. Die Krisen bieten aber eine Chance, dass sich mehr Wähler aufmachen [2].
Sie sieht aber auch die Gefahr, dass extreme Positionen zulegen können. Deshalb
arbeiten die Liberalen an einer Strategie, die Zusammenhänge, Errungenschaften
und Herausforderungen der EU für die Bürger transparenter macht. Zwei Sätze hat
sie schon einmal vorformuliert. „Europa ist nicht mehr weltbestimmend, aber die
EU bietet eine starke gemeinschaftliche Interessensvertretung.“ „Wie bekommt
man einen Satten dazu, Essen zu gehen?“
Lesestoff:
[1] Nachlese zur AMK in Würzburg
[2] 2009 sank die Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl um 1,3 auf 43,1 Prozent. In Deutschland stieg die Wahlbeteiligung leicht an (von 43,0 auf 43,3 Prozent)
Roland Krieg