Lindemann besucht Ökobetriebe
Landwirtschaft
Innovationen im niedersächsischen Ökolandbau
Die Landwirtschaft Niedersachsens ist wie in Wstfalen von hoher Tierdichte geprägt, die zu Kontroversen in der Ausrichtung der Agrarstruktur führen. So gesehen nimmt der Ökolandbau in Niedersachsen eine besondere Rolle ein, produziert er doch in direkter Nachbarschaft großer Intensivbetriebe. Das mag ein Grund dafür sein, dass Niedersachsen mit 2,9 Prozent Anteil an der Nutzfläche am unteren Ende der Bundesländerliste rangiert. Das mag aber auch dazu führen, dass gerade die ökologische Tierhaltung und die Verarbeitung in Niedersachsen besser aufgestellt ist als woanders. Die Marktübersicht des Kompetenzzentrums Ökolandbau Niedersachsen verweist darauf, dass 30 Prozent der Öko-Legehennen zwischen Nordsee und Harz gehalten werden. Auch jedes dritte Bio-Schaf weidet auf niedersächsischem Grünland und es wachsen die meisten Öko-Kartoffeln heran.
Auch in der Verarbeitung ist Niedersachsen stark. Nur in NRW, Baden-Württemberg und Bayern gibt es mehr verarbeitende Ökobetriebe. Zehn Prozent aller Verarbeiter haben ihre Produktionsstätte in Niedersachsen.
Flächenpreise quälen Ökolandbau
Im Jahr 2010 wurden mehr als 2,5 Millionen Hektar Land ökologisch bewirtschaftet. Bis dahin hatte der Ökolandbau einen rasanten Entwicklungspfad genommen und in der Dekade davor um 70 Prozent zugelegt. Prozentual wuchs der Ökolandbau stärker als im Bundesdurchschnitt. Schwerpunkte liegen im Wendland und zwischen Oldenburg und Hannover. In den viehdichten Regionen hat der Ökolandbau es schwer.
Ein Grund dafür sind die hohen Pachtpreise, die mittlerweile durch den Anbau von Energiemais entstanden sind, sagte Harald Gabriel, Geschäftsführer des Anbauverbandes Bioland Niedersachsen und Bremen. Dadurch ist die Öko-Fläche in den beiden letzten Jahren sogar zurückgegangen. Gabriel sieht in der langfristigen Förderung durch das EEG einen der Hauptschuldigen.
Ökolandbau stärkt ländlichen Raum
Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann besuchte einige Ökobetriebe im Land, wollte dass jedoch nicht als Wende zum Ökolandbau verstanden wissen. „Beide Produktionsrichtungen seien wichtig, wenn sie ordnungsgemäß betrieben werden“, sagte er beim Besuch der Bohlsener Mühle. Lindemann sucht Kontakt zu beiden Seiten und will ausgewogen vermitteln.Die Getreidemühle in Bohlsen hat eine 700jährige Geschichte hinter sich und als Volker Krause sie vor 33 Jahren übernahm war seine größte Sorge, die Mühle überhaupt zu erhalten. Alte Mühlen und Höfesterben erlitten das gleiche Schicksal. Mittlerweile produziert der Betrieb „Bohlsener Mühle“ 12.000 Tonnen Ökoprodukte im Jahr, die bundesweit in den Regalen stehen. Lindemann bestätigt die positive Entwicklung für den ländlichen Raum, indem die Mühle mittlerweile 170 Arbeitskräften die Beschäftigung sichert.
Das neueste Produkt sind Dinkelspelzenpellets, die künftig über ein Nahwärmenetz den Ort mit Wärme versorgen. Mit den Bürgern wird gerade über ein Finanzierungsmodell und eine Wärmegenossenschaft diskutiert.
Die Getreidemühle hat mit ihrer Nachfrage die Öko-Korn-Nord hervorgebracht. Einst haben sich 60 Lieferanten der Bohlsener Mühle zusammengeschlossen und heute sind sie mit 119 Erzeugern Niedersachsens größter Öko-Erzeugerzusammenschluss. Neben Brot- und Futtergetreide ist Bio-Korn-Nord auch Deutschlands größter Saatgetreidevermehrer.
Das wusste Lindemann zu schätzen: „Bio“ und „Regionalität“ gehören zusammen und wer sonst schaffe 170 Arbeitsplätze im ländlichen Raum?
Nachbarschaftsstreit
Bohlsen ist jedoch keine Idylle. Mittlerweile hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, die gegen die geplante dreiteilige Geflügelmastanlage mit jeweils 40.000 Tieren zu Felde zieht. Nur 600 Meter von der Bohlsener Mühle entfernt.
Legeschwestern und Mastbrüder
Vormals wurden Hennen und Hähne gemeinsam gehalten. Die einen legten Eier und die anderen setzten Fleisch an. Wenn das Huhn nicht mehr genug Eier legte, wanderte es als Suppenhuhn in den Topf. Die modernen Legehybriden produzieren rund 300 Eier im Jahr und haben auf der männlichen Linie die Masteigenschaften verloren. Vor allem im Biobereich wird mit Zweinutzungshühnern versucht, das Töten der männlichen Küken aus den Legelinien zu vermeiden [1].
Die Versuche hat auch Carsten Bauck hinter sich. Er geht auf dem Bauckhof in Klein Süstedt bei Uelzen mit den „Brudertieren“ neue Wege. Die Legehennen werden in mobilen Ställen gehalten, ihre männlichen Küken in der Nachbarschaft in einem freigeräumten Gewächshaus – natürlich auch mit einem Weg ins Freie.Mit der Freilandhaltung hat Bauck gute Erfahrung gesammelt. Die oftmals nachgesagte Anreicherung von Parasiten und Keimen auf den Wiesen kann er nicht bestätigen. Tiere gehören zum Ökolandbau wegen des geschlossenen Nährstoffkreislaufs dazu. Da die Tierhaltung auf dem Demeter-Hof flächengebunden ist, rücken die mobilen Ställen auf ihren Kufen immer weiter, um das beschriebene Krankheitspotenzial zu vermeiden.
Auch Greifvögel sind kein Problem. Die Hennen trauen sich sowie so nicht in der hoch stehenden Mittagssonne ins Freie. Sie tragen die Augen seitlich und können den Angreifer aus dem Sonnenlicht nicht erkennen. Sie nutzen den mobilen Stall wie den Waldrand, den sie früher besiedelten: Schutz vor Wildtieren und bei freier Sicht weiter Auslauf.
Niedersachsen ist das Problem der Förderung angegangen. Werden die Eier noch auf dem Hof vermarktet, dann ist das Eierlegen ein Gewerbebetrieb. „Damit stellen wir uns selbst ein Bein“, sagte Landwirtschaftsminister Gert Lindemann. Er hat einen Weg gefunden, die Ställe über eine einzelbetriebliche Förderung in der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) zu fördern. Eine weitere Optimierung soll noch folgen.
Die Mast der Brudertiere ist das nächste Steckenpferd des Bauckhofes.In 22 Wochen werden die Tiere von den herkömmlichen Legehybriden gemästet. Für Carsten Bauck ist das Projekt die Alternative zur Zweinutzungshaltung oder zum Stubenküken. Vor allem können schnell größere Mengen an Tieren gemästet werden, was für den deutschen Markt von großer Bedeutung ist, damit sich diese Methode durchsetzt.
Die Tiere im Gewächshaus sind ein Pilotprojekt. Hipp nimmt das Fleisch für die Babykost ab, muss es unter das herkömmliche Geflügelfleisch mischen, weil die Brudertiere „festen Biss“ haben – umgangssprachlich „zäh“ sind.
Außerdem wachsen die Tiere fast zweimal so langsam und fressen doppelt so viel Futter wie die im Vergleich gehaltenen Masttiere (linkes Bild. Die Tiere sind gleich alt, wie die Brudertiere auf dem rechten Bild).
Pioniergeist ist aber nötig, damit Niedersachsen seinen Tierschutzplan umsetzen kann, bis 2013 auf das Töten der männlichen Legeküken zu verzichten.
Nach Lindemann sind aber auch die Brudertiere nur ein Zwischenweg. Aktuell arbeitet die Universität Leipzig an einer Hightech-Lösung, schon im Ei vor dem Schlüpfen das Geschlecht der Küken zu erkennen. Langfristig führt über eine züchterische Lösung für neue Zweinutzungstiere kein Weg vorbei, so Lindemann.
Vielfalt vom Acker
Der Ackerboden soll Lebensmittel, Futter, Energie und künftig auch stoffliche Biomasse für die Chemie liefern, um vom Erdöl wegzukommen. Auf Nachfrage von Herd-und-Hof.de zeigt sich Lindemann optimistisch, dass eine Balance für alle Zwecke gefunden werden kann. Er erinnerte an die EU-Überschussproduktion der 1980er Jahre. Die Zeiten sind vorbei, aber das Produktionspotenzial habe gezeigt, dass der Acker und damit die Bauern die künftigen Nachfragen werden meistern können. Mehr als 15 Prozent der Ackerfläche sollen allerdings nicht für die Energiegewinnung genutzt werden.
Lesestoff:
[1] Brandenburger Projekte zum Zweinutzungshuhn
Roland Krieg (Text und Fotos)