Lust auf Wild

Landwirtschaft

Wildhaltung mit direktem Draht zum Kunden

>„Hartmund“ und „Siegfried“ geht es sehr gut. Dem Rotwild- und dem Damwildbock in Paulinenaue bescheinigt Dr. Axel Behrendt vom Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) eine gute Gesundheit und fleißige Arbeit. Die Böcke kommen jährlich auf eine Aufzuchtrate von 85 und 90 Prozent und sind die Platzhirsche am Ort.

Nischenproduktion auf Wachstumskurs
Am Freitag lud der Bundesverband für landwirtschaftliche Wildhaltung (BLW) zur Pressekonferenz vor seiner Fachtagung 2008 nach Müncheberg.Ein positives Fazit zog Vorsitzender Karl-Heinz Funke. Rund 6.000 Wildhalter gibt es in Deutschland, die auf extensivem Gehege in PaulinenaueGrünland auf insgesamt 15.000 Hektar Fläche Dam- und Rotwild halten. Ein Drittel davon ist im Bundesverband organisiert, weswegen nur deren Wildtiere in der Statistik wiederzufinden sind. Rund 30 Prozent des Wildgehegeaufkommen ist so erfasst.
Bayern hat mit 2.500 die meisten Gehege und hält rund 55.000 Zuchttiere, hauptsächlich Damwild. Die durchschnittliche Gehegefläche beträgt 2,4 ha. Im gemeinsamen Landesverband Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gibt es rund 300 Wildgehege auf 665 ha Fläche mit 4.000 Muttertieren.
Nach Dr. Golze von der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft ist das durchschnittliche Wildgehege in den alten Bundesländern etwa 2,7, in den neuen Ländern rund 5,8 ha groß. Ab sechs Hektar wird es für den Wildtierhalter wirtschaftlich und ab 12 ha „richtig interessant“. Die Zahl der Wildtierhalter ist bislang in etwa gleich geblieben, weil es keine Tierprämien aus den Fördertöpfen gab. Jetzt jedoch hilft die Flächenprämie dem Bestandsaufbau, was vor allem zwischen Oder und Spree den Tierhaltern Auftrieb gibt. Wild auf Wachstumskurs.
Funke legt bei seinen Wildtierhalter Wert auf die extensive Bewirtschaftung, die für Umwelt und Ökologie Vorteile bietet. Untermauert wird das durch die Forschungsarbeit im ZALF-Außenstandot Paulinenaue, der sein Wildgehege von derzeit 10 um 20 Hektar erweitert und mit dem Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin zusammenarbeitet.
Die Wildtierhalter können sich in Paulinenaue fachkundigen Rat holen und zertifizierte Sachkundelehrgänge absolvieren, so Dr. Behrendt.
Mit einem Kilo Wild pro Kopf und Jahr hat Wildfleisch noch Vermarktungsreserven, es zu Weihnachten jedoch schon nach Gans und Ente auf Platz 3 als Festtagsbraten geschafft.

Aus der Forschung:
Anne Berger et al. erforschte die Möglichkeit im Gehege der Brandenburger Schorfheide Przewalskipferde, Mufflons und Damwild zusammen zu halten. Das gesamte Jahr über verteilen sich die Tierarten flächig über das 30 Hektar große Areal mit Waldstrukturen und nutzen spezifisch die vorgefundene, natürliche Vegetation. Während Damwild durch großräumiges Ausweichen einer Konkurrenz vermeidet, grasen Pferde und Mufflons stellenweise räumlich und zeitlich beieinander, ohne dass es zu einer Nischenüberlappung kommt. Die Pferde fühlen sich eher in den offenen Gehegestrukturen wohl, während Mufflons zwar als waldgebunden beschrieben werden, aber auch offene Geländestrukturen präferieren – um mögliche Angreifer frühzeitig zu erkennen. Mufflons äsen vermehrt Stauden und hohes Gras, Damwild vergrößert vor allem im Winter bei kleiner werdenden Tageswegstrecken das Artenspektrum seiner Futtergrundlage. Die Studie des Instituts für Zoo- und Wildtiere konnte zeigen, dass das heterogene Gelände allen Tierarten einen gemeinsamen, ganzjährigen Lebensraum bietet, ohne die interspezifische Konkurrenz zu vergrößern. Auch im Winter, wenn alle drei Tierarten zur gleichen Zeit auf engerem Raum fressen. www.izw-berlin.de
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Extensives Grünland mit hohen Produktionsstandards
Auch wenn die Gehegehaltung beliebter wird, so ist der Markt nicht ungetrübt. Nicht nur Importe aus Neuseeland liegen in den Regalen, sondern Rumänien und Russland beginnen große Weideflächen einzuzäunen und suchen bereits nach Zuchttieren.
Nur aber wer weiß, nach welchen engen Haltungsbedingungen und Schlachtungen die Importware nach Deutschland gelangt, beginnt die natürliche Wildhaltung in Deutschland zu schätzen.
Die „Leitlinie zur landwirtschaftlichen Wildhaltung in Gehegen“ aus Hessen beschreibt exemplarisch die Gehegegröße und Besatzdichte. Wildtiere sind Fluchttiere und brauchen entsprechend Platz. So beträgt die Mindestgehegefläche für Damwild einen, für Rotwild zwei Hektar. Für ein weibliches Tier inklusive Nachzucht und einem Hirschanteil Paulinenauemüssen mindestens 0,10 ha bei Dam- und 0,2 ha bei Rotwild zusätzlich zur Verfügung stehen. Zusammen bilden sie eine Produktionseinheit (PE).
Weidehaltung ist für die Wildhalter Pflicht und der BLW lehnt nordeuropäische Bemühungen mit winterlicher Stallhaltung und Einsatz von Kraftfutter generell ab. Die Tiere ernähren sich lediglich vom Weideaufwuchs, der aus Klee, Kräuter- und Grasarten vielseitig zusammen gesetzt sein soll.
Erlegt werden die Tiere mit einem gezielten Schuss auf Kopf, Träger oder Blatt. Diese natürliche Produktion pflegt nicht nur das Grünland, sondern erzeugt ein „gesundes und schmackhaftes Produkt“, so Funke.

Aus der Forschung:
Dr. Axel Behrendt et al. haben in Paulinenaue untersucht, dass selbst bei niedrigen Besatzdichten von weniger als 0,5 Großvieheinheiten (GV) je Hektar (eine PE Damwild wird mit 0,17, eine PE Rotwild mit 0,34 GV angesetzt), einen erstaunlicher Pflegeeffekt des Grünlandes, wie es in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vorzufinden ist, eintritt. Fünf Damtiere je ha äsen fast 100 Prozent der Blüten- und Samenstände ab, so dass auch die generative Vermehrung unerwünschter Pflanzen, wie der Krause Ampfer, der auf Grünlandflächen als Problemart gilt, unterbunden wird.
Kritiker der Gehegehaltung argumentieren mit erhöhtem Nährstoffeintrag in das Grundwasser, halten sich große Rudel bevorzugt an bestimmten Plätzen auf. Fünfjährige Untersuchungen aus Paulinenaue zeigen jedoch fast keine messbaren Phosphateinträge (0,01 g P/m2) und selbst das höchste Eintragsjahr für Stickstoff blieb unter den hochbelasteten Vergleichswerten. Es wurden 0,03 und 0,04 g NO3-N/m2 eingetragen. Lediglich das leicht lösbare Kalium war verstärkt im Grundwasser zu finden. Fazit: Eine Grundwasserbelastung durch Damwild ist recht unwahrscheinlich. www.zalf.de
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Direktvermarktung
Deshalb will der Verband auch in der Nische der extensiven Haltung bleiben. Funke ruft die Verbraucherschaft auf, die vergleichsweise hohen Standards in Deutschland zu honorieren und will die Kommunikation über die Haltung verstärken. „Das ist uns ein starkes Anliegen“, sagt Funke.
Einen guten Ansatz bietet das hohe Maß an Direktvermarktung. Wild ist ein Produkt der regionalen Wertschöpfungskette.
Das „Event“ gehört zum erfolgreichen Marketing dazu, wie die Fachtagung belegt.
Vor zwei Jahren wurde der Deutsche Bisonzuchtverband gegründet und Vorsitzender Hans-Jürgen Schröder beschrieb den Erfolg eines Erntedankfestes 2004, der auf dem niedersächsischen Betrieb in Lauenau zu einer Bisonnacht führte. Bisonfeste mit Indianer, einer Märchenerzählerin im original Tipi und musikalischem „Pow Wow“ haben Besucher angelockt. Allerdings sind solche Fest keine Selbstläufer, denn die Kosten spielen sich nicht von alleine ein.
Dennoch dienen Veranstaltungen nicht nur der Kundenbindung zum Urprodukt, sondern vor allem auch der Möglichkeit, sich die Tiere einmal genauer anzuschauen und mehr über sie zu lernen. So erfahren die Kinder auch, dass das Reh nicht die Ehefrau des Hirsches ist.

Lesestoff:
Zur Fachtagung des Bundesverbandes wurde das Jahrbuch 2008/2009 herausgegeben, dass alle Kontaktadressen der Landesverbände und Forschungseinrichtungen enthält, branchenrelevante Gesetze von der EU-Verordnung über das Jagdrecht bis zum Merkblatt für die Direktvermarktung
Verbraucher finden unter der Internetseite www.blw-wildhaltung.de Adressen der Direktvermarkter in ihrer Nähe und Rezepte.

Roland Krieg; Fotos: Dr. Behrendt

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