Maßnahmen gegen Vogelgrippe
Landwirtschaft
Bekämpfung ohne Seuche
Je weiter eine Bedrohung entfernt ist, desto mehr Spekulationsspielraum gibt es naturgemäß. Heute Mittag stellte Verbraucherministerin Renate Künast im Landwirtschaftsministerium bei großem Medienecho die Maßnahmen gegen die Vogelgrippe vor, die eine Expertengruppe gestern in Bonn erarbeitet hat.
Wissenschaftliche Begleitung
Prof. Dr. Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), Referenzlabor für 40 Tierseuchen und seit Mai sogar weltweites Referenzlabor für die aviäre Influenza, stellte die Sachlage noch einmal dar.
Jüngst gab es unterschiedliche Meldungen aus Russland über die Vogelgrippe, von denen sich nur Fälle östlich des Urals bestätigt haben. Westlich des Gebirgszuges gibt es keinen Fall. So gesehen ?hält der Ural als Grenze?, was durchaus Bedeutung hat, denn die Wildvögel östlich des Urals wandern im Winter südostwärts ? also von Europa weg ? und nur die westlich des Urals siedelnden Vögel fliegen im Winter in unsere Richtung. Wildvögel sind Träger der Vogelgrippe, deren Typus H5N1 in ihnen harmlos ist, aber über domestiziertes Geflügel auch für den Menschen gefährlich werden kann. Deshalb sind die unkontrollierbaren Vogelzüge nach illegalem Tierhandel und fahrlässigen Reisenden die Hauptursache für die Vogelgrippe. Dr. Mettenleiter konnte allerdings nicht ausschließen, dass sich überlappende Zug- und Mausergebiete den Virus nach Westen tragen. Krickenten und Spießreiher wandern allerdings auch schon einmal in Ost-West-Richtung. Wichtig ist zu wissen, dass der Virus ja schon hier ist: Anja Globig vom FLI konnte auf der Berliner Influenza Konferenz Ende Mai nicht nur über den Virenbesatz bei Wildgeflügel berichten, sondern auch über den Besatz von Freiland- und Stallgeflügel (2,9 und 06 Prozent).
Dr. Mettenleiter wies mehrmals darauf hin, dass die Aktivitäten im Rahmen der Vogelgrippe nur eine Vorbeugung für eine Tierseuche sind, die noch gar nicht bei uns eingetroffen ist. Es handelt sich nicht um eine Pandemie. Angesichts von über 100 Millionen getötetem Geflügel in Asien und 150 verstorbenen Menschen, sei der Übertragungsdruck nicht so dramatisch, wie oftmals dargestellt. ?Eine Eintragungsgefahr besteht immer?, sagt der Experte.
Die Politik greift ein
Die Virologen beobachten die Vogelgrippe schon seit langem und sehr genau. Ihre Aussagen sind durchaus ernst, ohne allerdings Panik zu verursachen. Mit den jüngsten Ausbrüchen in Russland und Kasachstan ist die Krankheit Europa einen Schritt näher gekommen, weswegen sich auch die Politik intensiver um die Gefahrenlage kümmert.
Auch Ministerin Renate Künast kam nicht umhin, mehrfach darauf hinzuweisen, dass Vorsorgemaßnahmen für einen möglichen Ernstfall getroffen werden, der noch gar nicht eingetroffen ist und von dem man auch gar nicht einschätzen kann, ob er überhaupt eintrifft. Man wolle ?systematisch und ruhig statt mit Alarmismus? die Angelegenheit untersuchen. Schließlich: ?Es gibt nichts, was man neu definieren muss!? Die gestern in Bonn beschlossenen Maßnahmen ?sind bereits in der geltenden Geflügelordnung verankert?, betonte Künast.
Im Jahr 2003 brach in den Niederlanden die Geflügelpest aus und erreichte lediglich in Viersen einen Betrieb in Deutschland. Die Bauern stehen mit ihrer Aufmerksamkeit in erster Linie, geben verändertes Verhalten ihrer Hühner an die Veterinärbehörde weiter und die, so Dr. Mettleiter, kann innerhalb von 24 Stunden verifizieren, ob es Geflügelpest ist. Innerhalb von einem Kilometer um den Betrieb wird alles Geflügel getötet, weitere drei Kilometer Radius werden zum Sperrgebiet erklärt. Die Bundesländer zahlen dafür eine Entschädigung. Dafür gibt es auch jährliche Seuchenübungen und das Beispiel Viersen zeigte, dass es funktioniert.
Hausarrest für Hühner
Deutschland war das erste Land, das bereits 2003 ein Wildvogelmonitoring eingeführt hat. Das wird mit den gestern beschlossenen Maßnahmen nun flächendeckend eingeführt und personell aufgestockt, weil die Jäger mit einbezogen werden. Sie bringen verdächtiges Geflügel zu den Tiermedizinern. Alle, auch die privaten Geflügelhalter unterliegen seit 2003 einer Meldepflicht, womit sich im Ernstfall der viel gescholtene bürokratische Aufwand auszahlen wird. Des Weiteren gibt es mittlerweile ein komplettes Importverbot für Geflügel, deren Fleisch und Eier sowie Federn und Federteile. Reisende werden durch den Zoll informiert, in Ländern mit Gefährdungspotenzial direkte Tierkontakte zu vermeiden, keine Geflügelmärkte zu besuchen und Fleisch nur gekocht oder gebraten zu genießen. Informationen gibt es unter www.auswaertiges-amt.de
Neu ist eine Eilverordnung, die auf Künasts Unterschrift wartet. Der Winterzug der Wandervögel beginnt im September. Um freilaufendes Geflügel zu schützen, müssen alle Bauern das Geflügel einstallen. Der Startschuss fällt mit einer Empfehlung des FLI an das Verbraucherministerium. Künasts Unterschrift macht das Eilverfahren sofort gültig und einen Tag später haben die Hühner Hausarrest. Nach unbestätigten Agenturmeldungen haben die Niederlande bereits damit angefangen.
Betriebe, die keine Ställe zur Verfügung haben müssen nach dieser Eilverordnung ihre Bestände untersuchen lassen und die Freifläche mit Netzen abdecken. Konventionelle Freilandgeflügelhalter können die Eier weiterhin als Freilandeier vermarkten, denn der zwanghafte Aufenthalt unter Dach ist nur eine vorrübergehende Maßnahme. Für die ökologischen Verbände sieht das allerdings anders aus. ?Hier gibt es eine Regelungslücke?, die in den nächsten Tagen noch geschlossen werden soll.
Künast wies darauf hin, dass es kein festgeschriebenes Datum für die Eilverordnung gibt. Sie gilt, wenn die Experten eine Warnung aussprechen und dann erst einmal für drei Monate. Kommt keine Warnung bleiben alle Hühner draußen.
Gefahr oder Wahlkampf?
Mit Russland und Kasachstan ist der Ausbruch der Geflügelpest den Europäern ein Stück näher gekommen, obwohl der Typus H5N1 bereits hier ist und 2003 ein Ausbruch in den Niederlanden erfolgreich bekämpft wurde, ohne das Menschenleben in Gefahr waren. Die Influenzakonferenz in Berlin zeigte, dass die Experten an dem Thema dran sind, sich Sorgen machen, aber keine Panik verbreiten. Das große Medieninteresse heute wurde bereits gestern Abend durch erste Informationen aus Bonn verstärkt. Alle Maßnahmen sind durch die Geflügelpestverordnung bereits abgedeckt. Die Eilverordnung wird möglicherweise gar nicht unterschrieben: Wie viel Politik für den 18. September steckt in dem Expertentreffen?
Roland Krieg