Meere und Ozeane

Landwirtschaft

Wissenschaftsjahr Meere und Ozeane

Jeden zweiten Atemzug verdanken wir dem Meer und den Ozeanen. Sie produzieren rund die Hälfte des von uns Menschen benötigten Sauerstoffs. Mehr als die Regenwälder, die ihrerseits jedoch mehr Öffentlichkeit erhalten. Mit „La Mer“ schrieb Charles Trenet 1943 ein Chansons über den Sehnsuchtsort der Menschen, die Küsten sind heute der Geheimcode für Urlauber, die Sonne und Sand genießen wollen. Fische sie die Meeresbewohner, die ihren Beitrag zur Welternährung leisten und seit einigen Jahren steht das Meer auch als Weg in die Freiheit durch gefahrvolle Flucht. Das Meer u die Ozeane stehen aber auch für Überfischung, viele Meeresbewohner haben Plastik in ihren Mägen und das Meer als „Klimamaschine“ steht auch mit den Extremwetterereignissen der letzten Wochen in Bayern und Baden-Württemberg in Beziehung.

Die unbekannte Welt

In den nächsten eineinhalb Jahren widmet sich das Wissenschaftsjahr dem Thema „Meere und Ozeane“. Erstmals sogar über den Winter hinaus, um auch die Polarforschung mit einzubeziehen. Den offiziellen Startschuss gab am Dienstag Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka direkt am Spreeufer vor dem Forschungsministerium und der mahnenden Skulptur: „Das Meer beginnt hier“. Mit Möwe und Reichstagskuppel.

Im Foyer des Ministeriums wurde eine Wechselausstellung eröffnet, die in der Nachbarschaft zum Berliner Hauptbahnhof gleich als erste Ausstellung ankommender Berlin-Reisende locken will. Sie wird in den Wintermonaten auf Polarforschung umgestellt.

„Badewanne Ostsee“

So grüßt hinter der Ministeriumsfassade gleich der Mondfisch, den sauerstoffreiches Nordseewasser in die Ostsee spülte und von Fischern vor Rügen ins Netz ging (Foto ganz unten, linke Seite). Die Ostsee als eines der beiden deutschen Küstengewässer ist auf diesen Zustrom angewiesen, sie Zuflüsse und Regenwasser eine deckelnde Süßwasserlinse über die tieferen Becken legt. Erst zehn Tage Ostwind pusten das Brackwasser über die Meeresenge rund um Dänemark wieder raus, was den Meeresspiegel der Ostsee um einen Meter absenkt, erklärt Prof. Dr. Ulrich Bathmann vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Rostock.

Danach muss starker Westwind zehn Tage lang das sauerstoffreiche und salzig-schwere Nordseewasser in die Ostsee treiben. Dieses Wasser schiebt sich unter die Süßwasserlinse und schwappt bis nach Finnland von Becken zu Becken. Das ist für die Organismen lebenswichtig, hat aber auch eine Schattenseite, ergänzt Tiefseeforscherin Prof. Dr. Antje Boetius von der Universität Bremen und im Vorsitz von „Wissenschaft im Dialog“. Das einströmende Nordseewasser wirbelt Ablagerungen mit Schwermetallen und abgesetzten Nährstoffen auf.

ROVI Kiel 6000

Was nach Grundlagenverständnis für das Leben in der Ostsee klingt, reicht der Realpolitik Hand. Denn die Skulptur „Das Meer beginnt hier“ ist die Mahnung an alle Verbraucher, dass jede Spülung in Bad und Küche Wasser und seine Inhaltstoffe früher oder später in die Meere verfrachtet. Daher ist das wissenschaftliche Programm zum Thema „Meere und Ozeane“ mit sechs gesellschaftsrelevanten Schwerpunktthemen versehen:

Globaler Wandel und Klimageschehen

Ökosystemfunktion und Biodiversität

Globale Stoffkreisläufe und Energieflüsse

Umgang mit Naturgefahren

Nachhaltige Ressourcennutzung

Governance und Partizipation.

Forschungsministerin Wanka hofft, dass die vielen Ausstellungen und Diskussionsveranstaltungen des Wissenschaftsjahres „neugierig machen, auf das, was im Meer passiert.“ In der Ausstellung können Gäste auch die berühmten Methanknollen bewundern, ohne hinab tauchen zu müssen.


Prof. Dr. Peter Herzig, Direktor von Geomar, erklärt Bundesforschungsministerin Johanna Wanka, Ulrich Bathmann vom Ostseeforschungsinstitut Rostock und Tiefseeforscherin Antje Boetius den „ROV Kiel 6000“ (v.l.), Foto: roRo

Das übernimmt ROVI Kiel 6000, den das Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar zur Eröffnung des Wissenschaftsjahres an das Spreeufer gestellt hat. Damit erkunden die Wissenschaftler die Lebensräume bis 6.000 Meter unterhalb des Meeresspiegels, was rund 95 Prozent der Meeresfläche abdeckt. „Geflogen“ wird das Gerät über zwei Computersteuerplätze auf dem Schiff, mit dem „Kiel 6000“ über ein armdickes Stahlkabel verbunden ist. Zwei Arme ermöglichen Bodenproben, die indirekt an Bord über Modellnachbauten gesteuert werden. So sind zentimetergenaue Eingriffe möglich. .Diese digitale Telemetrie ermöglicht eine Echtzeitdatenübertragung im Gigabitbereich. So genannte „Nodes“ an Kiel 6000 ermöglichen bis zu 16 Anschlüsse verschiedener Sensoren und Geräte. Die Meeresbewohner kommen mit „Kiel 6000“ aus. Nur Kalmare besitzen offenbar von Natur aus ein höheres Aggressionspotenzial und greifen den „ROVI“ als vermeintlichen Fressfeind auch gerne einmal an. Ein Kalmar verfing sich dabei in einen der Rotoren landete abends in der Kombüse auf dem Teller.

Realpolitik

Ministerin. Wanka möchte mit dem Wissenschaftsjahr die „Möglichkeit für eine qualitative Kommunikation“ anbieten“. Ulrich Bathmann wünscht sich, dass die Vielfalt der „Meeresnutzer über einen partizipatorischen Agendaprozess“ an einen Tisch zusammenkommen soll.

Daher könnte die Wortskulptur „Hier beginnt das Meer“ auch vor dem Europäischen Gerichtshof stehen, vor dem sich Deutschland derzeit wegen Verletzung der Nitratrichtlinie verantworten muss [1].

Gegenüber Herd-und-Hof.de verweist Bathmann auf das neue Phosphor-Projekt in Mecklenburg-Vorpommern, das zwischen der sinnvollen Nutzung des Pflanzennährstoffs auf den Feldern und der störenden Anreicherung im Meer vermitteln will [2]. Bedarfsgerechte Düngevorgaben, neu entwickelte Dünger, die ihren Vorrat langsam an die Pflanzen abgeben und Recyclingprozesse für Phosphor stehen dabei im Mittelpunkt. Die Wissenschaft erstellt die Grundlagen und die Politik müsse die Ziele umsetzen, fasst Bathmann zusammen. Wanke ergänzt: „Wir wünschen uns, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus dem Wissenschaftsjahr akzeptiert werden und nicht ideologisch argumentiert wird.

Forschung, Wissen und Neugierde

„Tiefseeforschung ist nicht zum Nulltarif zu haben“, sagte Bathmann. Deutschland ist bei der Meeresforschung weltweit an der Spitze. Nicht alle Küstenländer forschen über die eigenen Küstengewässer hinaus, ergänzt Antje Boetius. So beteiligt sich Deutschland auch an der Polarforschung [3].

Damit dass so bleibt investiert das BMBF in den nächsten zehn Jahren jährlich 45 Millionen Euro. Alle Projekte werden unter dem Namen MARE:N zusammengefasst. Zum Start in das Wissenschaftsjahr legte das Ministerium ein neues Programm auf: „Plastik in der Umwelt“ will ein konsistentes Gesamtbild aufzeigen und internationale Grundlagen für die Lösung gegen Plastik im Meer aufzeigen. Partnerland Großbritannien wird zusammen mit Deutschland die vier folgenden Bereiche analysieren: Green Economy (Stoffströme, Wertschöpfungsketten, Recycling), Konsum (Verbraucherverhalten, Handel und Produktion), eintragspfade, Zersetzung und Verbleib. sowie Meere und Ozeane als Senken und Akkumulationsraum.

Antje Boetius bekam vor kurzem eine E-Mail von einer Kindergruppe, die Informationen zu einem Meeresreferat suchte. Auf der einen Seite, weiß der Nachwuchs offenbar dank Internet schnell, an wen man sich bei Fragen wenden kann, wenn die Wissenschaftlichkeit auch noch zu wünschen übrig lässt: „Du, Frau Boetius, was hältst Du von Kalmaren?“. Diese Episode zeigt aber auch, dass die Meeresforschung wieder einen Jacques Cousteau oder Hans Hass braucht, die mit spannenden Geschichten aus der Tiefsee den Blick auf eine noch immer meist unbekannte Welt lenken können.

Lesestoff:

www.wissenschaftsjahr.de

www.bmbf.de

[1] Versäumnisse bei Nitrat enden vor Gericht

[2] Phosphorforschung in Rostock:

[3] Brüssels integrierte Politik für die Arktis

Auch ein Teil aktueller Forschung: Freswind-Netz gibt Schollen eine Chance

Roland Krieg; Fotos: roRo

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