Mega-Dialog: Julia und die Bauern
Landwirtschaft
Klöckner will nationales Dialogforum
Die Bauerndemonstration in Berlin war am Dienstag bis 15:00 Uhr genehmigt. Ab 14:00 Uhr sprach Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und stand 15:15 noch immer auf dem Podium und beantwortete die letzten Fragen aus der Menge vor ihr. Danach ging sie noch ins Gedränge aus Polizei und Presse. Ihre Koalitionskollegin Svenja Schulze aus dem Umweltministerium war zuvor nach 3 Minuten 18 wieder von der Bühne geflüchtet
Für die Ministerin war die Demo am Brandenburger Tor zwischen ihrem Ministerium in der Wilhelmstraße und der Reichstag ein Heimspiel. Die Bauern hingegen hatten sich vielfach aus Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen zwei Tage lang auf den Weg zum Brandenburger Tot gemacht. Mit Beginn der herbstlichen Dämmerung sammelten sich die Traktoren wieder zur zweitägigen Rückfahrt. Tierhalter mussten für den Ausflug nach Berlin die Versorgung ihrer Tiere sicher stellen. Hat sich der Aufwand von vier Tagen auf Achse gelohnt?
Des Pudels Kern
„Wir brauchen Naturschutz als Dienstleistung“, forderte Dirk Andresen von der Bewegung „Land schafft Verbindung“, die aus einer Graswurzelbewegung mit Grünen Kreuzen nach dem so genannten Agrarpaket auf sich Aufmerksam macht [1]. Andresen weiter: „Ähnlich wie die KTBL-Werte für Maschinendaten, kann man Werte ermitteln und Dienstleistungen danach entlohnen [2]. Die Entlohnung für den Naturschutz muss die Kosten decken und die Arbeitszeit vernünftig mit beispielsweise 50 Euro/Stunde bezahlt werden.“
Julia Klöckner: „Da bin ich bei Ihnen. Die Beteiligung der Berufsverbände kommt ja erst. Blühstreifen entnehmen dem Betrieb landwirtschaftliche Fläche und die Landwirte erzielen damit kein Einkommen mehr. Deshalb ist es so wichtig, dass es Geld im Bundeshaushalt gibt, damit wir die Blühstreifen bezahlen.“
Vier Reisetage in einer Forderung mit einer Ergänzung dargestellt.
Haben sich die vier Reisetage nach Berlin gelohnt? Eher für Julia Klöckner. Sie stand mehr als 90 Minuten auf der Bühne einem Meer an Bauern gegenüber, die nur vereinzelt Pfiffen und tuteten, oft sogar verhalten applaudierten. Lauten Beifall gab es, als Klöckner die überholten Bilder von Landwirtschaft in Schulbüchern und fehlendem Wissen der Lehrer beklagte.
Die Ministerin wechselte zwischen „liebe Freunde“ und „liebe Bauern“ hin und her. Sie erklärte die demokratischen Widrigkeiten, wie etwa, dass es zahlreiche andere Begehrlichkeiten aus Berlin und Brüssel für Gelder gibt, die für die Landwirte vorgesehen sind.
Mit dem Blick auf den Agrargipfel am 02. Dezember im Bundeskanzleramt grenzte sie ein: „Da wird nicht die Arbeit für die Agrarpolitik gemacht.“ Wenn die Kanzlerin sich drei Stunden für die verschiedenen Organisationen der Bauern Zeit nehme, sei das ein wichtiges Zeichen.
Knifflige Bewertung
Zuvor hat sie im Bundestag den Rekordhaushalt von 6,7 Milliarden Euro für das kommende Jahr beschrieben. Eine Erhöhung von 400 Millionen Euro. 4,1 Milliarden Euro stehen für die soziale Absicherung der Landwirte bereit. Ob die Millionen an Waldsicherung, Fischereihilfe, Landentwicklung, Digitalisierung und Klimaschutz an den möglichen KTBL-Daten heranreichen, bleibt offen. Klöckner hat das Mögliche innerhalb des gegebenen Rahmens erreicht. Mehr sollte nicht allein die Landwirtschaft, sondern alle Sektoren der Wirtschaft gleichermaßen betreffen: Die Gestaltung einer Ökonomie der nachhaltigen Gesellschaft.
In Berlin einen Konsens für eine Agrarpolitik zu finden ist nicht minder schwer als in Brüssel. Die Bauern bekommen aus dem Bundestag nur Parteipolitik zu hören. Julia Klöckner will das gegenüber Herd-und-Hof.de nicht gelten lassen und antwortet: „Ein Konsens zwischen den Bauern ist auch schwer zu finden. Wir kennen die Demonstrationen im Januar, da sind auch Bauern mit ganz anderen Sichtweisen dabei. In einer vielfältigen Gesellschaft haben auch die Parteien unterschiedliche Schwerpunkte. Die Bauern aus Bayern haben andere Forderungen als die Bauern aus Mecklenburg-Vorpommern. Wer Schweine hält, hat andere Anforderungen als ein Geflügelhalter. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht fordern, was es so noch nie gegeben hat.“
Wer war dabei?
Der Blick auf die demonstrierenden Bauern jedoch zeigt folgendes: 40.000 Landwirte von insgesamt nur noch 270.000 waren in Berlin dabei. Keine Splittergruppe. Öko-Landwirte haben auf Verbände-Logos verzichtet haben, die alternativen Milchbauern hatten ihr Signet der BDM-Milchkanne nicht dabei, die allermeisten Bauern sind Mitglied in den Landesbauernverbänden und etliche sicher auch bei der DLG. Der Deutsche Bauernverband hält sich vornehm zurück, Rainer Winter twitterte privat: „Ein Tag voller Missverständnisse geht zu Ende.“ Bei „Land schafft Verbindung“ sind Landesvertreter gegenüber der Nähe von Bauernverbänden zur Politik argwöhnisch.
Es ist an der Tat ein Mix, der Landwirte auf die Straße treibt. Da können hohe Schweinepreise (durch die Afrikanische Schweinepest in China) und gute Kartoffelpreise (Frischware wird international nur wenig gehandelt), auf die Julia Klöckner hinwies, kaum Linderung verschaffe. Ein SPD-Agrarier flüsterte Herd-und-Hof.de ins Ohr, Klöckners Rede bestehe nur aus Allgemeinplätzen.
Bei den „richtigen Brocken“, wie die Düngung und artgerechte Ställe passiere zu wenig. Diese Schuhe muss sich allerdings die CSU anziehen, die seit 2012 Weichenstellungen bei der Ferkelkastration und Nitratrichtlinie nur verschoben hat.
Verstanden aber haben die Landwirte, dass die aus dem Bundesumweltministerium kolportierten Zahlen und Argumente direkt aus dem Nabu und vom Deutschen Naturschutzring kommen. Schulzes Worte kennen sie daher auswendig von Gesprächen mit den lokalen Aktionsgruppen.
Nationales Dialogforum
Auf der Internationalen Grünen Woche 2020 wird Julia Klöckner den Startschuss für zu einem Forum „Landwirtschaft und Gesellschaft“ geben. Ab Februar geht das Forum auf Reise durch das Land und will mit Landwirten, Bürgern und Medien an einem Agrarleitlbild arbeiten.
Zeit wird es, denn auch Klöckner vermisst schmerzlich die Marketingagentur CMA, die generische Botschaften wie „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ unter das Volk brachte. „Bienen brauchen Bauerngeld“ könnte ein generischer Slogan für die gerechte Entlohnung von Naturschutzleistungen werden. Denn, so Klöckner, nicht alle Bürger hätten verstanden, dass die Landwirte Geld für diese öffentlichen Leistungen bekommen müssen. Die Finanzierung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe über höhere Lebensmittelpreise, Förderung und Kompensation.
Wenn Klöckner Landwirten und der Politik vielfältige Sichtweisen zugesteht, muss sie das auch den Verbrauchern gegenüber tun. Einige zahlen freiwillig mehr, die meisten verhalten sich ökonomisch präzise und kaufen dort ein, wo sie das meiste für ihren Geldbetrag bekommen.
Die Nachhaltigkeitsagenda 2030 und die Pariser Klimaziele setzen der ewigen Freiwilligkeit enge Grenzen Ende. Der heutige Konsum liegt privaten als auch gewerblichen Verbrauchern näher als eine zukünftige Belohnung. Die Veränderung betrifft nicht nur die Landwirtschaft. Das macht aus dem naturwissenschaftlich ausreichend begleiteten Klimawandel ein Frage der gesellschaftswissenschaftlichen Umsetzung.
Brandenburgs Bauernpräsident Hendrik Wendorff hatte angekündigt: „Ich glaube, wir kommen wieder.“ „Land schafft Verbindung“ kommt zur Grünen Woche wieder nach Berlin und trifft auf die Bewegung „Wir haben es satt!“.
Echo
Die Kommunikation der Landwirte ist nicht einfach. Wollen sie in roten Gebieten weniger düngen, führen sie Gründe an, dass nicht aller Stickstoff aus der Landwirtschaft stammt? Die Sachklärung ist gegen Missverständnisse dringend notwendig.
So sagt der Europagrüne Martin Häusling: „„Bei allem Verständnis für den Frust, den viele Landwirte spüren: Diese Form von Demonstrationen geht in die falsche Richtung. Ich habe wenig Verständnis für einen Protest, bei dem eine Masse von Landwirten unreflektiert Leuten hinterherrennt, die ein Immer-weiter-so anstreben.“ Die Kritik wird mit der Exportorientierung der Agrarwirtschaft und mit der Übermacht der Discounter begleitet. Anton Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen bescheinigt den demonstrierenden Landwirten, Artenserben und Grundwasserverschmutzung zu ignorieren. Lediglich Agrarsprecher Friedrich Ostendorff will jeden einzelnen Hof erhalten.
Die FDP sieht Klöckner und Schulze in gemeinsamer Haftung. Gero Hocker fordert von der FDP wissenschaftsbasierte Entscheidungen: „Die Bauern demonstrieren, weil sie mit den Ministerinnen Klöckner und Schulze zurecht unzufrieden sind. Aus politischem Kalkül stellen die Landwirtschafts- und die Umweltministerin eine ganze Branche bei Tierwohl, Insektenschutz und Düngeverordnung vor unlösbare Aufgaben. Wir brauchen keinen wissenschaftsfernen Aktionismus der Bundesregierung, sondern ein Moratorium, um gemeinsam mit den Landwirten sachlich fundierte Maßnahmen zu beschließen und die Weichen für die künftige Nahrungsmittelproduktion zu stellen. Die politischen Beratungen zu Agrarpaket und Düngeverordnung müssen ruhen, solange die im Raum stehenden Maßnahmen nicht von der Wissenschaft als notwendig und zielführend bestätigt sind.“
Der rheinland-pfälzische Landwirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) fordert einen nationalen Agrar- und Klimarat.
Zeitgleich hat der Anbauverband Bioland als erster Öko-Anbauverband eine „umfassende Richtlinie zur Förderung der Biodiversität auf den Betrieben verabschiedet“. Damit bekommen Landwirte im Öko-Bereich erstmals Geld für den Schutz der Artenvielfalt.
Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) hat den Blick auf Brüssel gerichtet: Mindestens auf europäischer Ebene müsse die nächste Agrarpolitik für gleiche Wettbewerbsverhältnisse sorgen. Gegen die Marktkrisen müsse ein effizientes Krisenmanagement eingerichtet werden und die Landwirte brauchen eine bessere Marktstellung in der Wertschöpfungskette.
Lesestoff:
[1] Die Stimmung kippt: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/mela-die-stimmung-kippt.html
[2] Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft veröffentlicht regelmäßig Deckungsbeiträge und Einsatzzeiten für bestimmte Feldtätigkeiten und stellt damit Basisdaten für die Berechnung von Lohnansätzen und Arbeitszeiten bereit.
Roland Krieg; Fotos: roRo
Korrektur: Am 28. November wurde entgegen der früheren Fassung ein Tweet personalisiert. Roland Krieg