Mehr Bio – Mehr Wirkung
Landwirtschaft
Bio wächst in Landwirtschaft, Handel und Konsum

„Immer vollständiger wird das Puzzle der Evidenz seitens der Wissenschaft, was unserem Fortbestehen schadet und deshalb in der landwirtschaftlichen Praxis und dem, wie wir essen, verändert gehört.“
Dieser Satz steht im neuen Branchenreport 2020 des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Die Wissenschaft ist das eine, die Praxis das andere. Und da hat die Biobranche zu Beginn der BioFach in Nürnberg Wachstum in allen Bereichen zu verkünden.
Die Landwirtschaft
Im vergangenen Jahr sind 6,3 Prozent neue Ökobetriebe hinzugekommen. Mittlerweile wirtschaften 33.698 Betriebe und 12,6 Prozent aller Höfe in Deutschland nach ökologischen Richtlinien. 107.000 Hektar Ökofläche kamen hinzu. Insgesamt werden 1,6 Millionen Hektar Landwirtschaftliche Fläche biologisch bewirtschaftet und haben Deutschland damit in die Top Ten der Welt gebracht. Für BÖLW-Geschäftsführer Peter Röhrig ist das vor allem ein Zeichen, dass Ökologie und Ökonomie Hand in Hand gehen und keinen Gegensatz mehr darstellen. 62 Prozent der Fläche werden von Betrieben mit Verbands-Bio bewirtschaftet, der Rest folgt den EU-Ökoregeln.
Mittlerweile setzt sich auch der Trend im Ackerbau fort. Im dritten Jahr in Folge haben mehr Ackerbauern ihre Betriebe umgestellt. Dort gibt es ein Wachstum mit elf Prozent. Von den 148.000 neuen Öko-Hektaren haben die Getreidebauern mit 28.000 ha den größten Anteil. Vor 2017 musste Deutschland 25 Prozent des Ökogetreides importieren, im Wirtschaftsjahr 2017/18 waren es nur noch 20 Prozent und nach Diana Schaak von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) sind es im letzten Wirtschaftsjahr nur noch 17 Prozent gewesen. Neben Getreide setzen die Öko-Ackerbauern auf Soja und Hülsenfrüchte. Der Lebensmittelhandel hat mehr Bio in allen Segmenten umgesetzt, bei annähernd gleichen Preisen. Damit dürften 2019 die Erzeugererlöse für Bioprodukte angestiegen sein, erklärte Schaak. Bei Milch bleiben die Preise wegen der restriktiven Mengenregulierung der Molkereien hoch. Die Wartelisten, an Biomolkereien liefern zu dürfen sind lang. Die Preisdelle im Getreidemarkt sei allein durch das starke Wachstum begründet. Die Marktpartner werden langfristig alles Getreide unter bringen.
Die Signale sind notwendig, denn die Auswertung der Buchführungsergebnisse für das Wirtschaftsjahr 2018/29 zeigen ein Minus von zehn Prozent. Das durchschnittliche Unternehmensergebnis beträgt 58.757 Euro. Vergleichbare konventionelle Betriebe kamen auf 35.912 Euro. 28 Prozent der Biobetriebe konnten einen doppelt so hohen Gewinn wie die konventionelle Variante erzielen.
Der Handel
Fast zehn Prozent Plus auf knapp 12 Milliarden Euro Umsatz im Bio-Handel haben die 2018 entstandenen Lücken im Naturkostfachhandel mehr als ausgeglichen. Umsatztreiber bleibt der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel, über den 60 Prozent der Waren abgesetzt werden.
Bio kommt vor allem bei den Ersatz-Suchenden an. Der Anteil bei Fleischersatzprodukten liegt bei 40 Prozent. Bei Milchimitaten bieten die Ackerbauern mit Hafer, Soja, Mandeln und Reis eine große Rohstoffbasis an. Der Milchimitate-Markt wächst sogar stärker als der für traditionelle Milch. Mit Hafer und Erbsen steigen Landwirte in die regionale Herkunft der Milchimitate ein. Im Jahr 2018 wurde Frischmilch mit 218.000 Tonnen gehandelt, H-Milch kam auf 65.000 Tonnen und die Milchimitate erreichten einen Absatz von 78.000 Tonnen.
Die Weltbauern
Helga Willer präsentiert zur BioFach die 21. Ausgabe „The World of Organic Agriculture“ [1]. Das jährliche Zahlenwerk gibt einen Überblick auf die Entwicklung des weltweiten Ökolandbaus. Dabei haben nicht alle Länder ihre Zahlen aktualisiert. Dennoch sind 2018 zwei Millionen Hektar Land neu hinzugekommen. Der weltweite Ökolandbau umfasst jetzt 71,5 Millionen Hektar, wobei die die Hälfte davon durch extensives Weideland in Australien abgedeckt wird. Dennoch: 186 Länder melden ökologische Landwirtschaft, 2.8 Millionen Bauern orientieren sich an Öko-Richtlinien. Rund die Hälfte davon lebt in Indien. Das sind mehr als doppelt so viele aus dem Jahr 2009. Die Zahl der informellen, nicht zertifizierten Landwirte ist dabei noch nicht einmal enthalten, ergänzt Louise Luttikholt, Geschäftsführerin vom Weltverband der ökologischen Bewegung IFOAM. Diese Zahlen seien für die Ausrichtung der Politik wichtig. 16 Länder haben mittlerweile eine Ökofläche von mindestens zehn Prozent Anteil. Der Umsatz hat 2018 weltweit knapp 100 Milliarden Euro erzielt.
In Südostasien bezeichnen sich ganze Regionen als Öko-Regionen. Außer punktuellen Hotspots sind jedoch keine Großregionen für die Ernährung von Städten umgesetzt. Das kann sich ändern, weil die Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen, die FAO, die Agrarökologie zum letzten Welternährungstag als Ziel ausgegeben hat. Luttikholt sieht darin auch den Sprung aus der Landwirtschaft auf das Ernährungssystem. Mit dem Begriff Food System umfasst „Öko“ mittlerweile einen ganzen Lebensstil.
Öko-Politik
Landwirtschaft, Handel und die Welt: Die Politik hinkt im Öko-Boom hinterher. „Mehr Bio heißt mehr Wirksamkeit“, fasst Felix Prinz zu Löwenstein vom BÖLW das breite Wachstum zusammen. Die Politik müsse selbst aktiv werden und die Verantwortung nicht auf die Verbraucher abschieben. „Wer beim Welthandel auf Kostenführerschaft setzt, endet zu Hause als Billigheimer“, so Löwenstein.
Der Koalitionsausschuss hatte vor kurzen die so genannte „Bauernmilliarde“ in Aussicht gestellt. Für Löwenstein stellt sich nicht die Frage, wie viel Anteil für die Ökolandwirtschaft reserviert ist, sagt er gegenüber Herd-und-Hof.de. Wenn Ökolandwirte mit dem Geld ihre Lagerplätze für organischen Dünger befestigen werden, profitiert die ökologische Praxis auch von dem Geld. Die Summe aber dürfe nicht über die eigentlichen Probleme hinweg täuschen. Ein staatliches Tierwohllabel, dass ohne Bio-Stufe auskommen will, Wasserwerke, die freiwillig Ökoprämien an Betriebe zahlen, die in ihrem Wassereinzugsgebiet wirtschaften, fordern eine eigene Entwicklungsstrategie von der Politik für den Ökolandbau.
Zusammen mit Louise Luttikholt will Löwenstein keinen Etikettenschwindel zulassen. Auch wenn es einen informellen Ökosektor ohne Zertifikate gibt, dürfen „andere Formen der nachhaltigen Landwirtschaft“, sie sie dem „Bundesprogramm Ökologischer Landbau“ vor Jahren zugefügt wurden, den Biobereich nicht unterwandern, führt Löwenstein gegenüber Herd-und-Hof.de fort. Zehn Millionen Euro im dem Programm werden an konventionelle Betriebe ausgezahlt, die lediglich den Mindeststandard der Gesetze einhalten.
Die Europäische Kommission hat die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nicht unter die sechs Arbeitsschwerpunkte für 2020 gesetzt. Dabei bezeichnet Löwenstein genau die Überprüfung der GAP als „Gelegenheitsfenster“ für mehr Umweltstandards. Die zu Ende gehende Förderperiode seit 2013 habe gezeigt, dass die Agrarpolitik nicht für die Agrar- und Ernährungswende ausgerichtet sei.
Lesestoff:
Willer, Helga et al. (Hrsg.) (2020): The World of Organic Agriculture. Statistic and Emerging Trends 2020. Forschungsinstitut für biologischen Landbau www.organic-world.net / Yearbook 2020
Roland Krieg; Foto: Hans-Martin Issler / Nuernberg Messe
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