MenschMikrobe - Zoonosen
Landwirtschaft
Mensch und Tier: Gemeinsam gesund
Zoonosen sind Krankheiten, die zwischen Mensch und Tier überspringen können. Nach Dr. Karin Schwabenbauer, Leiterin des deutschen Veterinärdienstes im Bundeslandwirtschaftsministeriums, haben 60 Prozent aller Infektionen und 75 Prozent aller neuartigen Infektionen beim Menschen ihren Ursprung in der Tierwelt. Zoonosen beschreiben ein weites Feld von Krankheitserreger: Während BSE und Aviäre Influenza eine hohe mediale Aufmerksam erzielten, verlaufen Erkrankungen mit Salmonellen und Campylobacter trotz höherer Fallzahlen weitaus weniger öffentlich.
One World – One Health
Für den Krankheitserreger ist nicht nur die räumliche Nähe von Mensch und Tier eine Brücke zu einem neuen Habitat. Wildtiere in ihrem Ökosystem sind Übertragungsreservoir, wie Verarbeitung, Handel und der heimische Kühlschrank beim Verbraucher weitere Infektionsquellen. Zoonosen halten sich im ganzen System auf und erfordern einen neuen Vorsorgeansatz.
Den haben die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die FAO und die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) 2008 mit dem Strategiepapier „One World – One Health“ entwickelt. Human-, Tiermedizin und Ökosystem verschmelzen ineinander. Dr. Schwabenbauer fordert daher auf einem Zoonosen-Symposium in Berlin multidisziplinäre Arbeitsgruppen für Risikobewertung und Risikomanagement, weil künftig einige Faktoren die Entstehung und Verbreitung von Zoonosen begünstigen werden: Vor allem in den Städten wächst die Bevölkerung, höhere Einkommen steigern die Nachfrage nach tierischem Protein, die Agrarproduktion werde intensiver und homogener und bei Handel und Reisen steige die Globalisierung.
Die Praxis bei Verordnungen
Während die BSE-Krise ein Gesamtkonzept von der Prävalenz des Erregers über die Rindfleischetikettierung bis zur Verbraucherinformation hervorbrachte, vermissten Rolf Kamphausen und Friedhelm Jaeger aus dem nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerium auf dem BfR-Symposium einen vergleichen Ansatz bei Zoonosen. Die Verordnung EG 2160/2003 zu Salmonellen und anderen Zoonosen habe aber unter der Prämisse der Zoonosenreduzierung schon auf der Primärstufe deutliche Wirkung gezeigt.
BSE hat aber auch Verbände der Futtermittelwirtschaft, der Schlachtereien und Landwirtschaft zu einem stufenübergreifenden Qualitätssicherungssystem zusammengebracht. Das 2001 gegründete QS-System ist zwar das jüngste europäische Sicherungssystem, verfolgt aber derzeit als einziges die gesamte vertikale Produktionskette von der Futtermittelwirtschaft bis zum Lebensmitteleinzelhandel. Neben Global GAP ist QS auch offen für internationale Partner und bietet grenzüberschreitende Sicherheit.
Die Praxis im Betrieb
Seit 2003 führt das QS-System ein Salmonellenmonitoring durch. Einbezogen wurden auch kleinere Betriebe mit weniger als 100 Schlachtschweinen. Nach Anzahl positiver Befunde werden die Betriebe drei Risikoklassen zugeordnet: Weniger als 20 Prozent positive Befunde entsprechen der Klasse I, mehr als 40 Prozent der Risikoklasse III. Letztere müssen zusammen mit den Tierärzten gleich gezielt gegen die Eintragsquellen vorgehen. Zwischen 2005 und 2009 ist deren Anteil von über 40 auf 2,8 Prozent zurückgegangen.
Herz des Monitoring ist die Salmonellendatenbank, in der Kontinuität und Vollständigkeit der Beprobungen mit den Ergebnissen aufgelistet sind. Aus diesen Daten berechnet sich nicht nur die Risikoklasse, sondern lassen sich auch Eintragsquellen identifizieren. Die Herkünfte der Tiere, des Futtermittels, Anwesenheit von Schadnagern, das Stallumfeld sowie Personen- und Fahrzeugverkehr können Erreger aktiv und passiv in den Betrieb einschleppen. Vergleichsweise umfangreich sind die Empfehlungen bei positivem Befund. Das reicht von der Säuberung der Kabelschächte, Beseitigung „toter Ecken“ in der sich Schadnager aufhalten können, bis hin zur Änderung der Futterart vom mehligen zu strukturiertem Futter oder dem Anbringen von Vogelschutznetzen.
Die Wirkung des QS-Programms basiert auf möglichen Verlust einer erworbenen Risikoklassen und dem Ausschluss aus dem System.
Zwangsläufig gesund
Moderne Haltungssysteme sind in der Lage, Krankheitserreger weit besser von der Nutztierherde fern zu halten. Es wird auch weiterhin jedes lebende Schlachttier und jeder Schlachtkörper untersucht werden müssen, doch bieten die Verordnungen EG 845/2004 und EG 1244/2007 Ansatz für die Risiko orientierte Fleischuntersuchung. Sie locken mit Lockerung im starren Kontrollsystem. Das Ulmer Veterinäramt arbeitet aktuell zusammen mit dem bayerischen Fleischring in einem Pilotprojekt an einer datenbasierten Fleischuntersuchung. Je mehr Gesundheitsparameter über den Bestand und das Tier digital zur Verfügung stehen, desto flexibler kann die Intensität der Untersuchung sein. Auf das Schneiden des Fleisches können die Veterinäre bei guter Datenlage beispielsweise verzichten. Die Ulmer Veterinäre und Wissenschaftler greifen auf die bereits existierende Datenbank der QS-Schweine zurück, die lediglich um Parameter wie den Name des Tierarztes ergänzt werden muss.
Vom Viehdoktor zum Bestandsmanager
Die Einführung der Fleischbeschau vor mehr als 100 Jahren brachte bei der Zoonosenbekämpfung einen Durchbruch im gesundheitlichen Verbraucherschutz. Heute erhöhen serologische und mikrobiologische Kontrollen die Sicherheit. Im gleichen Maße wandelt sich auch das Berufsfeld des Veterinärs – vom Einzeltier kurierenden Viehdoktor zum „Gesundheitsmanager“. Der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) begleitet diesen Wandel mit seinen „Leitlinien zur Bestandsbetreuung“.
So gelten „Notfallbesuche und Einzeltierbehandlungen“ im Leitfaden zum Schwein noch als prioritäre veterinärmedizinischen Aufgaben, doch sollen routinemäßige Bestandsbesuche auch den Stallbau, Lüftungssysteme sowie das Betriebsmanagement bis hin zur Einstallplanung beurteilen. Für den Präsidenten des bpt, Dr. Hans-Joachim Götz muss sich ein „Denken und Handeln in epidemiologischen Einheiten“ entwickeln. Nur ein konsequentes Hygiene- und Gesundheitsmanagement sichere die Gesundheit der Tiere. Das ist die Voraussetzung für gesunde Produkte in der Verarbeitung, beim Handel und Konsum.
Handelspolitik
Zoonosen rufen nicht nur Krankheiten hervor. Sie tragen auch handelspolitischen Zündstoff in sich. Handelsvereinbarungen sind schnell getroffen, alleine die veterinärrechtlichen Zusatzprotokolle nehmen rund drei Jahre in Anspruch. Im Land muss das Veterinäraufkommen aufgezeichnet, ein Krisenmanagement vorhanden sein und es dürfen letztlich nur zertifizierte Betriebe exportieren. Doch als Kanada im Sommer 2009 einen mit H1N1 infizierten Schweinebestand melden musste, gingen in Russland gleich die Zollschranken für nordamerikanisches Schweinefleisch runter. Kanadas Landwirtschaftsminister Gerry Ritz und seinem amerikanischen Berufskollegen Tom Vilsack blieb nur der Appell, die Restriktionen wissenschaftlich zu begründen, oder den Handelsbann wieder aufzuheben. Hier haben Einzelbetrieb und Zertifizierer keine Einflussmöglichkeiten mehr. Nicht zuletzt aus handelspolitischen Sensibilitäten heraus hat das Bundeslandwirtschaftsministerium mit Wirkung vom 20. November eine „Steuerungsgruppe veterinärfachliche Handelsangelegenheiten“ eingerichtet.
Und nicht zuletzt...
... der Verbraucher: Er nimmt die Ware aus dem Handel mit nach Hause, lagert und bereitet sie zu. Erst dann landet das Fleisch auf dem Teller, dem letzten Glied in der Lebensmittelkette. Unsachgemäße Lagerung und mangelnde Hygiene lassen das Risikomanagement schnell zu einer sehr individuellen Angelegenheit werden. Seit zwei Jahren informiert das BfR Verbraucher verstärkt auf der Grünen Woche über kleine Missverständnisse und Unachtsamkeiten in der Küche. Verbraucher müssen aus Sicht des BfR künftig stärker in die Hygienemaßnahmen eingebunden werden. Ziel: Die „gute hygienische Praxis“.
Lesestoff:
Der Text erschien bereits im Jahresalmanach der Vieh und Fleisch Handelszeitung (vfz)
Morgen erscheint ein zweiter Teil zum Thema Mensch und Mikrobe anlässlich der Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung in Berlin
Hier geht es zu dem Bericht einer MKS-Übung in Brandenburg.
Roland Krieg