„Merkel braucht billige Lebensmittel“

Landwirtschaft

AbL-Tagung „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) tagte am Dienstag in Berlin zum Thema Agrarfabriken, die in den neuen Bundesländern entstehen und aus ihrer Sicht seit der Wende auch gewollt sind. Das beschreibt Dr. Jörg Gerke in seinem Buch „Das ostdeutsche Agrarkartell“.
Anstelle von kleinteiligen Agrarstrukturen des Westens wurden die großteiligen Betriebe beibehalten und gaben so den alten Bundesländern das Leitbild vor, so Prof. Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Daher zieht es die Betriebsleiter, die in Westdeutschland und den Niederlanden betrieblich nicht mehr wachsen können in den Osten.
Die AbL fragte in der letzten Ausgabe ihrer Zeitung „Bauernstimme“, ob der Osten von den Schweinen überrannt wird? Allein in Sachsen-Anhalt stehen bereits mehr als eine Million Tiere in Altanlagen und 188.000 neue Schweineplätze sind in Planung. Neu ist die Selbstverständlichkeit der Dimensionen. 4.000er Anlagen sind Standard, fünfstellige Anlagen gehen den Planern leicht von der Hand. Doch es geht noch größer: Im Tollensetal in Mecklenburg-Vorpommern wird eine Anlage für 10.000 Sauen geplant, die im Jahr 250.000 Ferkel produziert. Mit rosigen Schweinchen, die im Stroh wühlen und quieken lässt sich das nicht bewerkstelligen. Jörg Kröger von der Bürgerinitiative „Leben am Tollensetal“ beschreibt die großangelegten überregionalen Strukturen. Zuletzt soll der Weißenfelser Schlachthof in Sachsen-Anhalt einen Teil der ausgemästeten Tiere verarbeiten. Dort sollen täglich 23.000 Tiere geschlachtet werden.

„Es fehlt das politische Subjekt“
Den Schweinemästern geht es nicht gut. Derzeit legen sie bis zu 11 Euro je Mastschwein beim Verkauf dazu und die Flucht in die Größe hat in der Vergangenheit keine Abhilfe gebracht. Zwischen 1997 und 2007 haben 60.000 Schweinehalter aufgegeben, teilte das niedersächsische Landvolk im Dezember 2008 mit. Der Bauernverband musste auch feststellen, dass die Produktion selbst in den „norddeutschen Hochburgen“ unwirtschaftlich wurde. Die so genannte Wachstumsschwelle wurde auf 400 Tiere angehoben, doch hinken die Deutschen Mäster den Dänen und Holländern noch immer hinter her. Das merken derzeit auch die polnischen Nachbarn, die seit 2007 mehr Schweinefleisch importieren als exportieren müssen – die Eigenproduktion wurde unrentabel.
Warum aber gehen die verbliebenen 80.000 Schweinehalter nicht auf die Straße wie die Milchbauern? Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, AbL-Vorsitzender und EU-Abgeordneter, weiß es: „Es gibt kein politisches Subjekt“. Es fehlt die betroffene Gruppe, wie bei den Wieder- und Neueinrichtern, die nach der Wende keine Chance auf bäuerliche Agrarstrukturen bekamen. Hingegen gibt es bei den Milchbauern noch die kleinbäuerlichen Strukturen und die gehen auf die Straße. „Milch ist der letzte Bereich, wo Bauern noch so richtig kaputt gehen können“, fasst Baringdorf die letzten Jahrzehnte Agrarpolitik zusammen.
Die Verantwortlichen seien aber „keine bösen Menschen“, denn innerhalb des Systems sind sie effektiv. Verdienen jedoch „Milliarden an der Zerstörung der historischen Landwirtschaft und Natur“.
Mit den Begriffen der bäuerlichen Agrarwirtschaft (Regionalität, Arbeitsplätze, Kreislaufwirtschaft, artgerechte Tierhaltung, Einkommensorientierung statt Gewinnmaximierung, Vielfalt und Gemeinnützigkeit) erhalten die Lebensmittel „Sekundärqualitäten“. Die können nach Baringdorf jeder erreichen, wenn das „politische Subjekt“ es will. Und dafür sieht er Ansätze. Discounter nehmen fair gehandelte und Ökoprodukte auf, was er als Ergebnis „eines um sich greifenden Prozesses“ versteht. Das politische Subjekt, also die den Wandel vorantreibenden Betroffenen, sind die Vertreter der bäuerlichen Landwirtschaft, die Umweltverbände und Verbraucher.

Der Preis macht die Struktur
Umstritten ist, was der Produktpreis alles enthalten soll. Eine Entlohnung, die gesamte Entlohung, die Folgekosten externalisierter Effekte und die Schönheit der Landschaft? Baringdorf formuliert es so: Auch im Schwarzwald können die Bauern für 20 Cent je Liter Milch produzieren – wenn der Rest über Subventionen hinzugezahlt wird: „So viel, dass die Bauern beim Betreten ihres Stalls noch Eintritt zahlen müssten“. Demnach seien die Ergebnisse des Runden Tisches „nur ein Trick und keine Auseinandersetzung“ mit den Problemen.
Neuland Bauer Helmut Peters bewirtschaftet einen Schweinebetrieb zwischen Güstrow und Rostock. Zum Thema Preis sagt er: „Frau Merkel braucht derzeit billige Nahrungsmittel.“ Deshalb sei sie nicht zu den hungernden Milchbäuerinnen gegangen. Soziologisch ausgedrückt: Die Alt-Industrieländer werden nachholend peripherisiert und wenn die Einkommensalternativen in der Industrie fehlen, dann braucht auch Deutschland „billiges Brot in den Städten“.
Das meint auch Jörg Kröger. Vor der Wende arbeiteten im Landkreis Demmin 22.000 Menschen in der Landwirtschaft, jetzt sind es nur noch 2.000. Weil die Politik keine wirtschaftlichen Alternativen geschaffen hat, lebten die Menschen jetzt von Hartz IV. Eineinhalb so viel Menschen wie in der Landwirtschaft arbeiten jetzt für die Touristen –denen nun die großen Zucht- und Mastanlagen vorgesetzt werden.

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat am Wochenende ihre Empfehlung zur Nichtveröffentlichung der Agrarzahlungen zurückgezogen. Wegen der Weigerung die entsprechende EU-Richtlinie umzusetzen, gab es Streit zwischen der EU und Deutschland.
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Wie es geht
In der Praxis zeigt Helmut Peters wie es auch in kleinem Maßstab geht. Bestandsobergrenze: 96 Tiere. Während im konventionellen Bereich die Ferkel nach drei Wochen Säugezeit an festes Futter gewöhnt werden, bleiben bei ihm die Ferkel sechs Wochen bei der Mutter. Aufgestelltes Starterfutter nehmen sie selbstständig ab dem 21. Tag auf. Die verlängerte Säugezeit hat den Vorteil, dass sich der Magen-Darm-Trakt noch fertig ausbilden kann. Daher kennt er auf seinem Betrieb keine Durchfallerkrankungen der konventionellen Betriebe, die den Ferkeln die Muttermilch zu früh entwöhnen.
Es sind die „3 B“, die er auf seinem Betrieb umsetzt: Bewegung, Belichtung und Betreuung. Im Stroh finden Mutter und Ferkel ausreichend Abwechslung, Wärme und Platz. 1,8 Mal so viel Fläche wie in der konventionellen Haltung. Auch Licht wird eingesetzt. Fünf Prozent der Stallgrundfläche müssen in der Wand als Fenster verbaut sein. Im konventionellen Bereich gibt es fensterlose Ställe. Und die Bestandsobergrenze führt zu einer intensiven Tierbetreuung.

Die Upländer Bauernmolkerei hat vorgeschlagen, die Milchmengen, die der letzten Quotenerhöhung entsprechen und daher zu viel auf dem Markt sind, mit einem Abschlag von 10 Cent zu belegen. Der Vorschlag kommt aus dem Vorstand der Milcherzeugergemeinschaft, so dass die Bauern und ihre Molkerei ihr eigenes Konzept fahren. Geschäftsführerin Karin Artzt-Steinbrink forderte andere Molkereien auf, dem Beispiel zu folgen.
Q:Bauernstimme 5/2009

Politisch sieht Hubert Weiger Licht am Horizont, die bäuerliche Landwirtschaft umzusetzen. Die Transparenzinitiative zeige auch den Bauern, was sie kaum wahrhaben wollten. In Bayern erhalten 104 Betriebe genauso viel Subventionen wie 27.000 Bauern. Diese Offenlegung, das Anbauverbot des gentechnisch veränderten Mais in mittlerweile sechs EU-Ländern, die Senkung der Agrarspritbeimischung, die langsame Änderung des Konsumverhaltens bei den Verbrauchern und die Bauerndemonstrationen stehen für den Wandel weg von der erdölbasierten Landwirtschaft. Der aktuelle und letzte EU-Agrarhaushalt läuft 2013 aus. Bis dahin ist noch Zeit die Aufgaben der multifunktionalen Landwirtschaft in einer starken zweiten Säule neu aufzustellen: „Public Money für public Goods“, fordert Weiger.
Derzeit werden die Energieversorgungen wieder „rekommunalisiert“. Das soll auch bei Molkereien und Schlachthöfen geschehen. Die Berchtesgadener Molkerei und Upländer Bauernmolkerei zeigen, dass die Bauern auch Preise erzielen können, die alle Funktionen erfüllen.

Lesestoff:
Die AbL finden Sie im Netz unter www.abl-ev.de
Die 2001 verfasste Definition bäuerliche Landwirtschaft unter www.agrarbündnis.de
Bis die Agrarzahlungen offiziell von Deutschland veröffentlicht werden, können Sie bei www.wer-profitiert.de einige Beispiele einsehen.
Neuland wird von der AbL, dem BUND und dem Deutschen Tierschutzbund getragen: www.neuland-fleisch.de

Roland Krieg

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