Milch zwischen Liberalisierung und Regulierung

Landwirtschaft

Berliner Milchforum ein Jahr vor dem Quotenende

In einem Jahr ist die Milchquote Geschichte. Was zur Regulierung der Milchseen eingeführt wurde empfinden heute viele Bauern als Wachstumsbremse vor dem Hintergrund der weltweit steigenden Nachfrage nach Milch und Molkereiprodukten. Versinkt Europa wieder im Milchsee, wie die einen fürchten, oder warten am Horizont neue lohnende Geschäfte? Wie es für Milcherzeuger und Molkereien weiter gehen kann – darüber diskutiert seit Donnerstag in Berlin die Milchbranche auf Einladung des Milchpräsidenten Udo Folgart vom Deutschen Bauernverbandes in Kooperation mit dem Milchindustrie-Verband, dem Raiffeisenverbandes und der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft. Den Start in das 5. Berliner Milchforum machte am Abend die politische Diskussionsrunde.

Liberalisierungserfahrene Milchbauern

Die Liberalisierung ist für die Milchbauern gar nicht so neu, meint Alexander Anton, Generalsekretär des Europäischen Milchindustrieverbandes EDA aus Belgien. Sie sei schon immer Basis der Milcherzeugung gewesen und hat damit die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes im Blick. Schon hier mussten sich die Bauern dem Wettbewerb stellen und trotz Quote als Marktregulierung ist die Zahl der Milchbauern von 240.000 auf 80.000 zwischen 1993 und 2013 gefallen. Bei einem Selbstversorgungsgrad von 108 Prozent haben die Milcherzeuger schon lange den Weg auf die Märkte der Drittstaaten gesucht. Für neun Milliarden Euro exportiert die EU Milch und Molkereiprodukte, für eine Milliarde kommt Ware aus dem Rohstoff Milch wieder herein. Weil die Doha-Entwicklungsrunde der WTO trotz Bali im vergangenen Jahr noch immer keinen Abschluss gefunden hat, werden vermehrt bilaterale Abkommen abgeschlossen. Die Aufgabe dabei ist Festlegung des Schutzes eigener Standards, aber auch die Sicherung neuer Märkte.

Risiken überwiegen

Für Tobias Reichert von Germanwatch, wo er das Team Welternährung leitet, überwiegen bei der Liberalisierung die Risiken. Kurzfristig profitierten Erzeuger und Verbraucher durch neue Absatzmärkte und gestiegenem Bedarf an verarbeiteten Produkten, aber Export verdränge immer die regionale Produktion in den Zielmärkten. So gibt es auch in China 100 Millionen hungernde Menschen, die wie in Westafrika auf dem Land leben und überwiegend Bauern sind. Ostafrika hingegen habe seine Märkte abgeschottet und versorgt die Bevölkerung mit eigener Milch. Die Ausrichtung auf den Export führe über die Intensivierung auch zu negativen Umwelteffekten wie Nährstoffüberschüsse und Importe von Futtermitteln, die woanders die Ernährungssouveränität bedrohten. Nach Reichert verstärken sich gegen Ende der Milchquote in Europa und vor allem in Norddeutschland diese Tendenzen. Den Strukturwandel kritisiert er, weil ein Ziel nicht sein kann, möglichst wenige Bauern zu haben.

Wirkungen bleiben unklar

Die Liberalisierung helfe vor allem den Verbrauchern, günstige Lebensmittel zu erhalten, führte Dr. Willi Schulz-Grewe von der EU-Generaldirektion Agri aus. Sie hilft aber auch den Produzenten, neue Wachstumschancen zu nutzen – aber nur „wenn sie im verschärften Wettbewerb mithalten können“, räumt Dr. Schulz-Grewe ein. Daraus resultieren auch tatsächlich Risiken. Die Liberalisierung müsse ohne Brüche durchgeführt werden. Russland zeige seit einiger Zeit auf dem Schweinefleischmarkt, wie anfällig Binnenmärkte gegen Turbulenzen auf dem Weltmarkt sind. Von den Chancen und Risiken sind große und kleine Betriebe gleichermaßen betroffen. Wichtiger sei die Frage, wem in der Vergangenheit die Regulierung genützt habe: Es waren die schwachen Betriebe, deren Überleben in eine Spirale der staatlichen Eingriffe geführt habe. Große Chancen speziell für den Milchmarkt sieht Dr. Schulz-Grewe in Russland und China. Die EU schaue sich bei den Freihandelsabkommen genau an, welche Effekte auf die einzelnen Sektoren wirkten.

Appell an die Eigenverantwortung

Prof. Dr. Regina Birner von der Universität Hohenheim führt das indische Beispiel als Vorbild für die Balance zwischen Innenentwicklung und Weltmarktorientierung an. Vor allem die Förderung privater Genossenschaften haben das Land über 20 Jahre hinweg zu einem leistungsfähigen Milcherzeuger gemacht. Kleinbauern, Frauen und Landlose wurden bei dem Aufbau der Milchproduktion durch einen starken Außenschutz geschützt und der Staat hat in genetische Ressourcen und Veterinärleistungen investiert. Erst in den letzten Jahren weichen die Inder den Außenschutz auf und sind zu einem Nettoexporteur von Milch geworden. „Kein Schutz ohne Investitionen“ heißt der Ratschlag der Agrarwissenschaftlerin. Ausfuhrerstattungen haben per se keine negativen Wirkungen auf die Entwicklungsländer. Beispiele zeigen, dass hohe Ausfuhrerstattungen die Milchproduktion in Nigeria um 20 Prozent, in Äthiopien aber nur um ein Prozent verringert hat. Gegenrechnungen mit geringem Subventionsniveau habe auch in Nigeria die Milchproduktion unterdrückt, während sie in Äthiopien um 20 Prozent gestiegen sei. Dieser Trend zeigt, dass die Auswirkungen eher mit der Verzahnung der regionalen Märkte mit dem Weltmarkt als mit der Subventionshöhe korrelieren. Prof. Birner schreibt der Milch aber auch auf dem gesättigten Binnenmarkt ein langfristiges Potenzial zu. Weidemilch und andere Spezialitäten bekommen über eine hohe Zahlungsbereitschaft der Konsumenten neue Marktanteile.

Noch mehr Liberalisierung

Landwirt Heinz Korte hält rund 200 Milchkühe bei Bremervörde und erzeugt am Gunststandort Norddeutschland Milch. Derzeit ist er mit dem hohen Milchpreis zufrieden, der sich aus dem Absatz in Drittstaaten ergibt. Vor Jahren gab es kaum eine Möglichkeit Milch und Molkereiprodukte aus „einem überkochten Binnenmarkt herauszubringen“. Eine wichtige Rolle schreibt Korte den Molkereien zu, die mit ihrem Marketing die neuen Märkte erschließen müssen. Die Milch wandert seit Jahren nach Norden auf die traditionellen Grünlandstandorte, die daher international wettbewerbsfähig sind und auch für den Binnenmarkt besondere Qualitäten liefern können. Die Intensivierung der Grünlandstandorte könne auch den Bedarf an Importfuttermittel verringern. Für Korte könnte die Liberalsierung noch weiter gehen. Mit Vorschriften in der neuen Agrarpolitik für Fruchtfolgen und dem Zwang für ökologische Vorrangflächen werde Fläche knapp und teuer. Auch das Baurecht mache den Stallbau teurer.

Fünf Jahre nach der Milchquote

Das Ende der Milchquote soll ja nur ein Zwischenschritt sein. Zur Disposition steht jegliche Form der Direktzahlungen, deren Ende möglicherweise in der nächsten Förderperiode ab dem Jahr 2020 kommen wird. Für Tobias Reichert sind auch die Flächenprämien noch eine subventionierte Marktverzerrung, die zu Lasten der Entwicklungsländer geht. Eckhard Heuser vom Milchindustrie-Verband wehrt sich gegen die Verdrängungstheorie und schreibt dem Export die Förderung des Wettbewerbs zu. Der Lieferstopp von Milchprodukten nach Afrika würde keine neuen afrikanischen Kühe hervorbringen, sondern nur Verschiebungen der Marktanteile nach Neuseeland und Australien. Allerdings sind Milch und Fleisch wichtige indigene Produkte, schränkt Prof. Birner ein. Sie können durchaus Kleinbauern und Frauen ein Einkommen bescheren. „Das sollte man im Auge behalten!“ Wichtig sei eine starke Verbändevertretung. Kenia habe einen starken Bauernverband, der die lokalen Interessen zu verteidigen weiß.

Milchbauern wollen Geld verdienen. „Ob die Milch nach Deutschland, nach Europa oder in die Welt geht ist mit egal“, bekannte Klaus-Peter Lucht vom Bauernverband Schleswig-Holstein. Als Unternehmer muss er seine Investitionen wieder rein bekommen. Und da stehen nicht nur die jungen Bauern vor der Frage, wie es ab 2020 weitergeht und wie sie sich darauf vorbereiten sollen. Wer nicht schon heute reagiert, der wird beim Stopp jeglicher Direktzahlungen vom Markt verschwinden. Dr. Schulze-Grewe gibt zwar zu, dass es Druck auf die Fördermittel gibt, aber wie viel am Ende noch übrig bleibt, sei heute noch nicht absehbar. Die EU bemühe sich, den Bauern eine langfristige Planung vorzugeben.

Zur langfristigen Planung gehört auch die Ressourcenausstattung. Wasser ist ein wichtiger Produktionsfaktor in der Milcherzeugung, ergänzt Jan Heusmann von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft in Niedersachen. Die Länder in Afrika haben einen Nachteil, Norddeutschland hingegen einen komparativen Vorteil.

Indiens Aufschwung im Milchsektor generiert mittlerweile auch neue und große Strukturen, die den Kleinbauern gefährlich werden. Prof. Birner bestätigt, dass vor allem in Stadtnähe große Ställe entstehen und Kapital von Landwirtschaftsfernen Investoren fließt. Aber in Indien sind auch die Nichtregierungsorganisationen stark und gehen gegen diese neuen Strukturen vor. Diese Form der „Selbstregulierung“ gehöre zur Eigenverantwortlichkeit der Länder dazu.

Roland Krieg; Fotos: roRo

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