Mit Elektronen gegen Schaderreger im Saatgut
Landwirtschaft
Die „Elektronenbeize“ wartet weiter auf den Durchbruch
Gesundes Saatgut ist einer der Schlüssel für ein gutes Wachstum der Nutzpflanzen. Damit Pilze, Bakterien und Viren dem Saatkorn in der Erde nichts anhaben können, wird es „gebeizt“. Dafür gbt es mehrere Behandlungsverfahren: Meist wird auf die chemische Beize zurückgegriffen, die spätestes mit der falschen Anwendung von Clothianidin, das im Oberrheingraben zu einem weiten Bienensterben führte, auch in der Öffentlichkeit kritisiert wird.
Im Ökolandbau tauchten mit dem Weizensteinbrand Pflanzenkrankheiten auf, die im konventionellen Anbau durch die chemische Beizung kaum noch bekannt waren. Die Ökobauern helfen sich mit Pflanzenextrakten aus Knoblauch, Senf oder Meerrettich sowie mit Fermentgetreide aus und erzielen hohe Wirkungsgrade.
Diese Verfahren müssen aber zugelassen sein. Physikalische, nicht-chemische Verfahren, sind zulassungsfrei. Alternativen sind Heiß- und Warmwasserbehandlung, bei denen das Saatgut anschließend energieaufwendig wieder getrocknet werden muss.
Schon seit den 1980er Jahren gibt es ein Verfahren, dass sich aber immer noch nicht so richtig durchgesetzt hat: Die Saatgutbehandlung mit Elektronen, die eine biozide Wirkung haben.
Der sanfte Elektronen-Beschuss
Der Aufbau ist komplex. Die Elektronen werden ähnlich wie in alten Fernsehbildröhren erzeugt. Bei einem der bekanntesten Hersteller kommen zwei Flächengeneratoren zum Einsatz. Aus geheizten Wolframkatoden werden die frei gesetzten Elektroden in eine bestimmte Richtung gelenkt. So fliegen die Elektronen zwischen den Katoden in einen freien Raum.
Über diesem Raum ist ein Pufferbehälter angebracht, in dem das Saatgut eingefüllt wird und über eine Vibrationsförderung zwischen den Katoden nach unten fällt. Auf einer Breite von 1,4 Metern entsteht ein flacher Saatgutstrom, der sich durch den freien Fall noch soweit vereinzelt, das die Saatgutkörner in dichtem Strom, aber frei von Nachbarn, wie in einem Vorhang den quer eingeschossenen Elektronenstrom hindurch fallen. So wird jedes Korn von allen Seiten von Elektronen erfasst.
Theoretisch können die Elektronen das Saatgut durchfliegen. In der Praxis können sie mit weniger als 100 Nanometer Kurzwelle so eingestellt werden, dass sie nur bis an die Oberfläche kommen oder maximal bis in die Samenschale stoßen. Damit erreichen sie den Embryo nicht und beeinträchtigen auch nicht dessen Keimfähigkeit. Die DLG drückt das technisch so aus [1]: „In der Praxis findet der Energiebereich von 80 keV bis 150 keV Anwendung. Damit werden Eindringtiefen in die Samenschale von 0,075 bis 0,2 mm erreicht. Die „Einwirkdauer“ der Elektronen liegt zwischen zehn und 12 Tausendstel Sekunden.
Die Getreidekörner sind unterschiedlich in ihrer Beschaffenheit. Um eine Wirkdosis von 12 kGy [2] zu erreichen, muss eine unterschiedliche Beschleunigungsspannung angelegt werden. Bei Weizen, Roggen und Triticale sind es 105 Kilovolt, bei Gerste 125 kV. Die Elektronen geben beim Auftreffen ihre Energie ab. Für Pilze, Bakterien und Viren genug, um sie unschädlich zu machen.
Wirkt auch bei Gemüse
Eine Analyse zur Saatgutbehandlung im Ökolandbau bescheinigt der Beizung mit Elektronen ebenfalls gute bis sehr gute Wirkung: Die Möhrenschwärze ist im Möhrenanbau die bedeutendste Krankheit und kann mit der Elektronenbeize „sehr gut“ behandelt werden. Das gilt nach den Autoren Dr. Marga Jahn und Dr. Klaus-Peter Wilbois auch für den Kampf gegen die Kohlschwärze an Weißkohl und Adernschwärze des Kohls [3]. Auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) sieht die Behandlung mit Elektronen als gute Lösung für den Ökolandbau an. Grundsätzlich abgelehnt wird die Methode nur bei Demeter. Wissenschaftler berichten von geringeren Keimgeschwindigkeiten und verändertem Gravitropismus (Wurzelwachstum folgt der Schwerkraft – positiv gravitrop; Pflanzenspross wächst auch am Hang durch Krümmung aufrecht – negativ gravitrop; frühere Bezeichnung: Geotropismus.).
Es gibt aber auch Grenzen: So sehen Fachleute die Pilzerkrankung Anthraknose bei Fenchel schon als latenten Befall innerhalb des Samenkorns an. Soweit sollen die Elektronen wegen der Beeinträchtigung der Keimfähigkeit nicht vordringen. Deshalb ist die in allen Fenchelanbaugebieten Deutschlands verbreitete Erkrankung nicht mehr durch den Elektronen-Beschuss zu bekämpfen.
Ein weiterer Nachteil liegt in der Apparatur selbst. Die Landwirte können sie nicht selber durchführen. Mobile Anlagen sind auf einem 12 Meter-Lkw untergebracht. Daher ist diese Form der Saatgutbehandlung immer an Fremdfirmen gebunden.
So haben sich 2011 die BayWa AG und die Getreide AG eine Saatgutbehandlungsanlage gemeinsam gekauft und wollen künftig mehr Saatgut mit dieser Beize am Markt platzieren.
Fertigungsprüfung einer speziellen Elektronenquelle für die neue Saatgutbehandlung im Fraunhofer FEP
Güstrow 2013
Das Fraunhofer-Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) ist einer wichtigsten Treiber im Anlagenbau für die Elektro-Beize. Die Elektronen gewinnen nach Physiker Frank Holm-Rögner künftig noch mehr an Bedeutung: „Im Getreidesaatgut finden sich fast nur pilzliche Erreger, doch durch den Klimawandel ist es mittlerweile zunehmend von Bakterien aus dem Süden befallen, gegen die es noch keine chemischen Mittel gibt.“ Die niederenergetischen Elektronen hingegen wirken gegen Bakterien und Pilze gleichermaßen. Zudem können diese keine Resistenzen ausbilden, was die Endgültigkeit der Behandlung erhöht.
Das Verfahren hat noch weitere Vorteile: Behandelte, aber dennoch nicht genutzte Saatgutpartien können anstandslos verfüttert werden. Die Landwirte müssen spätestens ab 2015 nachweisen, dass sie weniger Pflanzenschutzmittel verwenden, was auch für die Beize gilt. Bei der Verringerung des Kohlendioxid-Abdrucks kann die Elektronen-Beize den Landwirten eine Alternative bieten. Zudem gilt das Verfahren als günstiger gegenüber den chemischen Mitteln, für die pro Dezitonne zwischen vier und 29 Euro aufgewandt werden muss. Je nachdem, ob es sich um eine Spezial- oder Breitbandbeize handelt. Das Büro für Technologiefolgenabschätzung des Bundestages (TAB) hat die variablen Kosten für Energie und Wartung mit 0,35 Euro je Dezitonne angegeben.
Trotzdem hat sich das Verfahren noch nicht so richtig durchgesetzt. Das Fraunhofer Institut glaubt, dass Landwirte erst durch langjährig gute Praxisergebnisse in Verbindung mit den Empfehlungen ihres Saatgutberaters überzeugt werden können. Empfehlungen fachfremder Wissenschaftler haben es schwerer, Gehör zu finden.
Mit der Nordkorn Saaten GmbH haben die Fraunhofer Wissenschaftler jedoch einen weiteren Praxispartner finden können, der in Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern im Juni 2013 eine weitere Anlage in Betrieb nehmen will, die rund 30 Tonnen Saatgut in der Stunde behandeln kann.
Das Fraunhofer Institut treibt auch sein Auslandsgeschäft voran. Auf dem chinesischen und indischen Markt sieht Holm-Rögner wegen der großen Saatgutproduktionsmengen gute Absatzchancen.
Lesestoff:
[1] 46. Fachtagung des DLG-Ausschusses „Gräser, Klee und Zwischenfrüchte“ 2005 in Fulda.
[2] Ein Gray (Gy) entspricht einer absorbierten Energiemenge von einem Joule pro Kilogramm. Mit 10 kGy kann ein Kilo Wasser um 2,4 Grad erwärmt werden.
[3] Jahn, Wilbois et al: Leitfaden Saatgutgesundheit im Ökologischen Landbau. Gemüsekulturen. http://orgprints.org/11675/1/Leitfaden_Gem%C3%BCsekult__100326.pdf 2007
Roland Krieg; Foto: Fraunhofer FEP