Mit Mut die Chancen nutzen
Landwirtschaft
Landwirtschaft auf Kurs Qualitätskonsum
Einige Tage nach dem Informellen Treffen der EU-Agrarminister sind die Unternehmertage der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) gestartet. Wegen der Pandemie findet die Tagung an drei Tagen im Internet statt.
Qualitätskonsum
DLG-Präsident Hubertus Paetow blickt auf die Landwirte selbst: „Immer am Markt orientieren. Eine Steuerung durch die Politik wird nicht funktionieren.“ Wenn die Landwirte trotz staatlicher Beihilfen Unternehmer sind, müssen sie diese Rolle auch ausfüllen. Das Ziel ist nach Paetow eine sozial-ökologische Marktwirtschaft und kein Zurück zur Handhacke und alten Sorten. Mehr als neue Politikinstrumenten brauchen die Landwirte die Partner entlang der ganzen Wertschöpfungskette.
Die Unternehmertage zeigen, wo es lang gehen kann. Siegfried Pöchtrager vom Institut für Marketing und Innovation der Universität für Bodenkultur in Wien zeigte die großen Trends auf – die wahrlich nicht neu sind: Marktkonzentration, Rückgang der Zahl landwirtschaftlicher Betriebe, veränderte Ernährungstrends und Flächenverbrauch. Landwirte, die Ideen für neue Geschäftsfelder haben sollen sie umsetzen. Es werden weiterhin Landwirte für den Bedarf auf dem Weltmarkt, aber auch für die lokale Erzeugung geben. Urbanisierung erfordert, dass Landwirte noch mehr erzeugen müssen und Gesundheitstrends werden mindestens genauso wichtig wie Klima- und Umweltschutz. „Die Zukunft des Konsums ist Qualitätskonsum“, erläuterte Pöchtrager. Den könne auch die Pandemie nicht stoppen. Selbst sinkende Einkommen werden künftig vermehrt in Qualität investiert. Direktvermarkter sind auf dem Weg nach oben. Dieses europäische Modell sei auch auf andere Kontinente übertragbar. Wohlstand könne auch in Brasilien Qualitätskonsum hervorrufen, der dem globalen Exportansatz Marktanteile raubt [1].
Mit Heumilch aus der Krise
Während andere Milchbauern in der Milchkrise 2008 Milch auf den Feldern verteilt haben, hat sich Milchbauer Karl Neuhofer Gedanken über seinen Betrieb nördlich von Salzburg gemacht. Mittlerweile erzeugen 7.500 Milchbauern Heumilch in Österreich, die von 60 Verarbeitern zu 600 Produkten wie Konsummilch, Joghurt und Käse veredelt werden. In der Arbeitsgemeinschaft Heumilch werden jährlich rund 510 Millionen Kilo Milch erzeugt. Das Produkt ist eine garantierte traditionelle Spezialität (g.t.S.) und steht für eine besondere Milch. Die Produktionsrichtlinie sind seit 2018 in einem Heumilchregulativ niedergeschrieben. Das Berggebiet wird woanders als Standortnachteil ausgewiesen. In Österreich hat Neuhofer daraus Kapital geschlagen und birgt Hochenergieheu beim ersten Schnitt mit 6 MJ NEL und 18 Prozent Rohprotein. Nach dem Sommer mit Weidegang und Grasfütterung bekommen die Milchrinder eine Zufütterung mit dem Qualitätsheu, das mit dem früheren Heu kaum mehr zu vergleichen ist. Im Sommer dauert es keine 24 Stunden, bis das Gras in die Trocknungsbox kommt und die wertvollen Inhaltsstoffe behält. Neuhofers Kühe erzeugen von den jährlichen 7.800 kg Milch rund 6.000 kg aus dem Grundfutter. Mittlerweile erzielen die Heumilchbauern einen Aufschlag von rund 30 Millionen Euro pro Jahr und erzielen einen besseren Preis als GVO-freie- und Biomilch. Kommunikation und Vermarktung sind die Schlüssel des Erfolgs. Die Arbeitsgemeinschaft bekommt von jedem Kilo Milch 0,2 Cent vom Landwirt und 0,3 Cent von der Molkerei für die Vermarktung. Davon werden TV-Werbespots, Flyer und Kinderbücher finanziert. Mittlerweile strecken die österreichischen Heumilchbauern ihre Vermarktungswege nach Deutschland aus.
Betriebszweig Ökosystemleistung
Einen ganz anderen Weg geht Öko-Milchbauer Lucas Kohl aus Gilserberg in Hessen. Er arbeitet mit einer lokalen Bäckerei zusammen und verkauft Humuszertifikate. Für die Versorgung des Bodens mit Humus als Speicher für Nährstoffe, Wasser und Bereicherung des Bodenlebens sowie als CO2-Senke verteilt er über die Bäckerei die Kohlenspeicherung als Systemdienstleistung. Die Bäckerei wirbt damit, weil Landwirt Kohl dadurch weiterhin das Getreide für sie liefert. So spannt sich eine Identität stiftende Verbundenheit vom Betrieb bis zum Verbraucher.
Das System hat natürlich Lücken, weil Humus oftmals schneller abgebaut als aufgebaut ist. Zudem misst er lediglich den Humusgehalt der oberen 25 cm Boden. Die Beprobung in 75 cm Tiefe, wo der Kohlenstoff langfristig gelagert würde, übersteigt den Ertrag aus den Zertifikaten. Aber die langfristige Prognose bei zunehmenden Klimawandel sichert die Erträge und mache sich langfristig über die Deckungsbeiträge bemerkbar. Dieser Inhalt kann symbolhaft an Verbraucher weitergereicht werden. Derzeit plant Kohl zusammen mit anderen Landwirten an einer Pyrolyseanlage zur Herstellung von Biokohle [2].
„Duke of Berkshire“
Das Berkshire-Schwein ist eine Edelschweinrasse aus Großbritannien. Die Tiere sind auffällig schwarz mit weißen Flächen an Beinen, Gesicht, Ohren und Schwanzspitze. Die Briten schätzen den Geschmack, auf den Jens von Bebber setzt. Er führt einen Mastbetrieb im niedersächsischen Samern in der Grafschaft Bentheim. Eine Region, die für ihre Tierdichte bekannt ist. Die Ställe aus den 70er Jahren boten den traditionellen Tieren nicht mehr als die vorgeschriebenen 0,75 qm Platz. Grundsätzlich hinterfragte er, wie er mit der Schweinehaltung weiter machen solle und baute Offenställe für die Berkshire. Er halbierte den Bestand, die Tiere haben 1,6 qm Platz und können zwischen verschiedenen Funktionsbereichen wählen. Fress- und Liegeplatz sind getrennt, die Bodenfütterung entspricht dem natürlichen Such- und Freßverhalten. Die Tiere haben Außenklimareize und koten an einem bestimmten Platz ab. Sie sind dadurch sauberer, der Stall ist einfacher zu reinigen und die Emissionen sinken. Die Tiere brauchen keine Spielzeuge, um sich gegenseitig ihren Schanz zu lassen.
Damit sich das rentiert, konnte von Bebber entlang der Wertschöpfungskette von der Sauenhaltung, Ferkelaufzucht, Mast bis zur Verarbeitung und Vermarktung Partner für die eigene Marke „Duke of Berkshire“ gewinnen. „Wir haben einen Festpreis und sind stolz auf das, was wir machen“, sagte von Bebberen.
Finden statt Suchen
Die Produktion von Heumilch ist vor dem Hintergrund von drei trockenen Jahren nicht auf alle Regionen übertragbar. Wo Grundfutter knapp ist, wird es für eine qualitative Heumilch auch nicht reichen. In den Salzburger Berggebieten fallen noch immer mehr als 1.000 mm Niederschlag. Die Heumilchbauern probieren es in diesem Jahr dennoch mit der Anlage einer Futterreserve von zehn Prozent des Bedarfs, um auch in schlechteren Jahren den hohen Qualitätsansprüchen gerecht zu werden.
Blühpatenschaften sind eine weitere Ökosystemleistung, die in den letzten Jahren Landwirte und Verbraucher zueinander gebracht hat. Regionale Vermarktungsinitiativen sind gefragt und die Pandemie bietet Chancen, grundsätzlich den Betrieb auf neue Füße zu stellen.
Thomas de Witte vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft hat es so formuliert: Beim Volksbegehren in Bayern standen auf der einen Seite 1,8 Millionen Menschen mit ihren Unterschriften. Auf der anderen Seite müssen 90.000 bayerische Bauern sich fragen, ob sie diesen Zug aufhalten können oder mitgestalten. Das müssen die Landwirte sich auch bei der Düngeverordnung und beim Insektenschutz fragen. Bei der Düngung wussten die Landwirte schon länger, was auf sie zukommt, sagte Landwirt Michael Reber aus Gailenkirchen in Baden-Württemberg. In seinem Beitrag kritisierte der Landwirt aber auch, dass die Bauern bei der Kommunikation mit der Gesellschaft allein gelassen werden. Social Media reiche nicht. Bei den Kritikern stehen hochprofessionelle Kommunikatoren Landwirten gegenüber, die heute alles erklären müssen, was sie gerade tun. Das haben sie nicht gelernt – und ist auch nicht jedermanns Sache.
Nicht alles können Landwirte mit unternehmerischem Mut lösen. So ist der Einfluss der Landwirte auf die Milchpreise gering, sagte Berater Sven Gruppe aus Broderstorf bei Rostock. Die Milchpreise sind in Norddeutschland vielfach unter 30 Cent/kg gefallen. Das halte kaum ein Landwirt lange durch. Dieser Preis setze auch die optimierten Betriebe unter Druck. Betriebe, die jahrelang ihre Betriebsdaten auswerten, wissen, wo sie noch sparen können. Derzeit nehmen sie alle möglichen Zuschläge, wie für Fett und Protein, mit. Jeder Kuhplatz ist ausgereizt und wird mit mehr Milch betrieben. Banken zeigten gerade eine hohe Bereitschaft für Umfinanzierungen und Liquiditätssicherung. Krisen seien auch immer gute Finanzierungsmöglichkeiten, weil die Zinsen niedrig sind und Kredite gut getilgt werden könnten. Klar ist aber auch: Die Masse der Milchviehbetriebe leidet. Für Sven Gruppe gilt aber auch: „Rentable betriebe treffen ihre Entscheidung langfristig unabhängig von einer Pandemie oder Krise.“
Lesestoff:
[1] Aktuell demonstrieren Argentinier selbst in der Wirtschaftskrise für ihre heimischen Schweineerzeuger. China hat Interesse angemeldet, in die Schweinehaltung einzusteigen und sich seinen Bedarf auch über Argentinien zu sichern. Mehr als diese Meldung existiert noch nicht. Es reicht aber, um die Argentinier auf die Straße zu bringen, die ihre eigene Produktion erhalten möchten.
[2] Biokohle in neunzig Minuten: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bio-kohle-in-90-minuten.html
Roland Krieg
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