MOEL: Zwischen Tradition und Moderne

Landwirtschaft

Agrarismustagung in Berlin

„Das Leben der Bauern ist hart, die Kosten steigen, die Einkommen sinken. In diesen schrecklichen Tagen möchte das Landwirtschaftsjournal ein Freund sein und die Bauern auf dem mäandrierenden Weg in die Moderne unterstützen, helfen, den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden.“
Hier geht es nicht um den Gesundheits-Check der EU oder um den Milchstreit zwischen Alpen und Nordsee. Oder, irgendwo doch? Steigende Lebensmittelpreise und wachsende Nachfrage an den Agrarbörsen lehren die Menschen, dass Nahrung nicht immer nur billig sein muss. Im Rahmen der Globalisierung wird die Masse der bäuerlichen Familien in abgelegenen ländlichen Räumen abhängig vom geistigen Eigentum großer Saatgut- und Düngemittelproduzenten – so das Exposé zur Tagung „Tradition und Moderne in ostmitteleuropäischen bäuerlichen Gesellschaften“ der Europa Universität Viadrina aus Frankfurt/Oder. Als Opfer der Modernisierung unterstützen sie oft soziale Protestbewegungen, die ihrerseits die fragilen Demokratisierungstendenzen in vielen Ländern der Dritten Welt gefährden.

Wandel der bäuerlichen Gesellschaft
Das Eingangs-Zitat stammt aus der ersten Ausgabe des estnischen Journals „Pollumees“ (Der Bauer) aus dem Jahr 1895. Es steht stellvertretend für alle nordischen und mitteleuropäischen Agrarzeitschriften dieser Zeit, stellte Frederik Erikson vom Institut für zeitgenössische Geschichte der schwedischen Södertörn Universität fest. Zusammen mit Piotr Wawrzeniuk und Johan Eellend verglich er Agrarzeitschriften aus Schweden, Estland und Galizien im südlichen Polen um die Jahrhundertwende. Die Bauern litten um die Jahrhundertwende unter Missernten, forciertem Wettbewerb und Abwanderung vor allem junger Generationen in die Städte. Die hiesige Landwirtschaft war schon um 1800 Teil des internationalen Handelssystems geworden mit Auswirkungen auf Preise und Produktion, auf Landbesitz und Landverteilung. Um 1900 begannen jedoch Eisenbahnen und Schiffsverkehr den Handel effektiver zu gestalten. Die Wissenschaft sorgte für eine effektivere Tierhaltung, höhere Ernten und intensivere Züchtungen. Neben den USA traten Australien und Russland als große Marktteilnehmer in Konkurrenz zu den europäischen Agrarexportländern östlich der Elbe. England wurde zum Hauptimporteur für baltische Molkereiexporte und ließ vor allem die skandinavische Milchindustrie zum Zugpferd der Modernisierung werden. Polen, aber auch die Länder des Balkans, konnten sich jedoch aus Kapitalmangel nicht von der Weizenproduktion lösen und waren den internationalen Konjunktureinbrüchen hilflos ausgeliefert.

Fachpresse und bäuerliche Gesellschaft
Seit mehr als einem Jahr beschäftigt sich das internationale Forschungsvorhaben der Viadrina mit dem Agrarismus in Ostmitteleuropa zwischen 1880 und 1960, der zeitlich und räumlich eine bestimmte Epoche beschreibt und daher wissenschaftlich nur in diesem Kontext gesehen werden sollte.
Die Zeitschriftenanalyse zeigt, dass alle untersuchten Agrarjournale die Liberalisierung der agrarischen Gesellschaft vorantrieben, um sie aus ihren alten Strukturen heraus den Marktanforderungen anzupassen. Trotzdem stellte das Bäuerliche ein Ideal der Gesellschaft dar: Der hartarbeitende und familienbasierte Bauer und Familienvater wurde als Herz und Seele der Nation dargestellt. Dabei vermischen sich produktionsbedingte und politische Zielsetzungen, wie Erikson herausarbeitete. Tuberkulose wurde oftmals über unhygienische Milchproduktion verbreitet und auf den Höfen selbst hergestellte „Farm Butter“ hatte nicht gerade den Ruf, ein qualitativ hochwertiges Produkt zu sein.
Vor allem das Wirken von Genossenschaften führte zur Gewöhnung an notwendige hygienische Standards und Effizienzverbesserung. Gleichzeitig galten Kooperationen in Estland und Galizien als alternatives soziales Modell, das sich organisch in die Volksgemeinschaft einfüge und in den Traditionen der Landbevölkerung verankert sei. In Schweden hingegen entstanden die bäuerlichen Genossenschaften von den Eliten des Landes aus und galten als Bollwerk gegen den Sozialismus, Anarchismus und Kosmopolitismus.
Agrarjournale haben bereits in jener Jahrtausendwende herum moderne Landwirtschaftsausstellungen mit den Begriffen „modern“, „luftig“, „geschmackvoll“ oder „brilliant“ bezeichnet. Eine parallel abgehaltene Ausstellung der alten Milchproduktion galt als „unhygienisch“, „primitiv“, geruchsbelästigend“ und „museal“.
Das trotz mancher Unterschiede die untersuchte Agrarpresse viele Gemeinsamkeiten aufwies, ist für Erikson keine Überraschung. Die Fachpresse war in den europäischen Kontext eingebunden, den Agrarsektor zu modernisieren und zu rationalisieren. Reiseberichte aus den Nachbarländern haben den Effekt zusätzlich verstärkt.

Ländliche Eliten in Rumänien
Die EU-Erweiterung trifft in Bulgarien und Rumänien auf besondere Herausforderungen. Im Gegensatz zu Ostdeutschland haben die beiden Länder am Schwarzen Meer nach der Wende nur einen Weg beschritten, erklärt Prof. Dr. Klaus Roth, Ethnologe von der Universität München, gegenüber Herd-und-Hof.de. Die Betriebe der DDR hatten die Wahl, aufgeteilt zu werden, als Firma weiterzumachen oder erhalten zu bleiben. In Osteuropa wurden die Betriebe nach dem „Sieg über den Kommunismus“ komplett aufgeteilt.
Entsprechende Entwicklungen skizzierte Cornel Micu aus Rumänien. Ende der 1930er Jahre gab es in Rumänien Großgrundbesitzer, die rund ein Fünftel des Landes in ihren Besitz hatten (19,3 Prozent). Ende der 1940er Jahre besaßen sie nur noch rund 6,4 Prozent des Landes. Zwar erhielten sie 1989 einen Bruchteil ihres früheren Besitzes wieder zurück, lebten n der Zwischenzeit von der Landwirtschaft abgekehrt in den Städten oder waren emigriert. Stattdessen setzte der Staat schon seit den 1920er Jahren Agraringenieure nach absolvierter Ausbildung als professionelle Eliten auf den Dörfern ein, die Staatangestellte waren und nach der Wende von 1989 ihre politische n eine ökonomische Macht umwandeln konnten. Sie profitieren heute noch durch ihr Prestige aus der vorrevolutionären Zeit.
Auf dörflicher Ebene fungierten die lokalen Eliten als Verbindung zwischen dem Staat und den Produzenten auf den Höfen. Oft waren es Bürgermeister oder Gastwirte, die außerhalb der Landwirtschaft ihr Haupteinkommen erzielten und die Modernisierung der Betriebe vorantrieben. Sie haben sich durch die 1950er Jahre hindurch als Praktiker in den Dörfern integriert und fielen nach der Wende aus dem Gefüge heraus, weil es für sie keinen politischen Bedarf mehr gab.
Die Rückgabe des Landes an mittlerweile oftmals landwirtschaftsferne Vor-Eigentümer führte nach der Wende zur vollkommenen Aufteilung des Landes, bei dem die zwei oder drei Hektar großen Flächen kaum Modernisierungsmöglichkeiten bieten. Ohne es als Ideal hinstellen zu wollen, seien in Rumänien nur die Landeliten der Großgrundbesitzer ökonomisch unabhängig, die Modernisierung voranzutreiben.

Gewachsene Strukturprobleme
Auf diese Strukturen trifft die EU-Erweiterung mit der Agrarreform von 2003. Der Rückzug des Staates von den Märkten und die wachsende Selbstverantwortung der Marktbeteiligten bringen vor allem in den Ländern am schwarzen Meer einige Schwierigkeiten mit sich.
Das bulgarische Selanovtsi, ein in der Donauebene gelegenes und mit Schwarzerde gesegnetes Dorf, ist mit 6.600 Einwohnern eines der größten Dörfern des Landes. Hier sind die Bewohner froh, dass nach der Wende kein Land brach fiel. Nach der vollständigen Auflösung der sozialistischen Genossenschaften wurde 1993 mit Agro Firm Solaris eine neue Kooperativegegründet. Sie bewirtschaftete rund 3.000 ha Land. Sie zahlte, teilweise auch in Naturalien die Landbesitzer auf Rentenbasis aus und stellte ihren Mitgliedern die Maschinen zur Bearbeitung der 0,1 bis 0,3 Hektar großen Ackerflächen zur Verfügung. Durch die Insolvenz einer anderen Kooperative kamen noch einmal 1.500 ha Land hinzu. Niedrige Erträge, Wechsel im Management und Schwierigkeiten bei der Kreditvergabe haben Solaris nicht in ruhiges ökonomisches Fahrwasser ziehen lassen. 2006 kam allerdings das ökonomische Aus. Ein 73jähriger Agrarunternehmer aus der Stadt verpachtete nun Land weiter, ohne das Solaris den Gegenwert von umgerechnet 327.000 Euro für sich verbuchen konnte. Am 28. März meldete Solaris Insolvenz an. Dabei handelt es sich um keinen Einzelfall. Autorin Milena Benovska-Sabkova beschreibt mehrere solcher “Angriffe” auf Agrargenossenschaften durch rivalisierende Unternehmer.
In Rumänien versucht die EU den Spagat zwischen der Förderung großer Betriebe und der Stützung kleiner Bauernhöfe, um die Diversität Europas aufrechtzuerhalten. Das beschreibt Autor Cerasela Voiculescu aus Bukarest. So bearbeiten Kleinbauern, die 99,5 Prozent aller Betriebe stellen, 55,4 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. Die andere Hälfte wird von Großpächtern bearbeitet. Mit der Kürzung von Subventionen für Großbetriebe und der Entkopplung der EU-Gelder von der Produktion, wird scheinbar die kleinstrukturierte Landbewirtschaftung gefördert. Allerdings haben die Kleinbauern auch hier Probleme die neuen Qualitätsstandards in der Tierhaltung oder beim Umweltschutz einzuhalten und gefährden dadurch ihren Marktanschluss.
So sind aktuelle Probleme im Agrarsektor erstaunlich parallel mit dem Wandel der vergangenen Agrargesellschaften.

Lesestoff:
Die Autoren Benovska-Sabkova und Voiculescu haben ihre Forschung im forost aufgeschrieben, dass gerade in einer zweiten Auflage vorbereitet wird.: Arbeitspapier: „Europäisierung von unten? Beobachtungen zur EU-Integration Südosteuropas“; März 2008 (Forschungsverbund Ost- und Südosteuropa (forost); ISSN 1613-0332; Herausgegeben vom Münchener Ethnologen Prof. Dr. Dr. Klaus Roth.

Roland Krieg; Scientific Review: Dr. Angela Harre

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