Müller drehen Kapriolen

Landwirtschaft

Müller stehen vor schwierigem Getreidejahr

Die Kapriole ist ein kunstvoller Sprung im Tanz. Den brauchen in diesem Jahr auch die Müller, so Hans-Christoph Erling, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Deutscher Mühlen (VDM) am Donnerstag in Berlin. Die Bauern sind mit der Ernte zwar immer noch nicht durch, aber die Müller werden mit dem restlichen Getreide nichts mehr anfangen können. Es hat nur noch Futterwert. Für die hochqualitativen Brot und Backwaren, die aus Mehl, Kleie, Schrot und Vollkorn hergestellt werden, müssen die Müller auf Auslandsware zurückgreifen, so das Resümee der Pressekonferenz.

Zwischen Landwirtschaft...
Rund 600 Mühlen stellen in Deutschland 6,142 Millionen Tonnen Mehl her. Davon sind 5,380 Millionen Tonnen Weizen- und 762.000 Tonnen Roggenmehl. Mit 631.000 Tonnen Mehl im Wert von 215 Millionen Euro wurden 17 Prozent mehr exportiert als im Vorjahr.
Während die Bauern in diesem Jahr die Mindererträge in den Fokus der Ernte 2010 stellen, betonen die Müller die fehlenden Qualitäten. Die Backqualität wird im Schnelltest mit der so genannten Falllzahl bestimmt – der Zeitwert in Sekunden, den ein definierter Stab braucht um durch eine Mischung aus Mehl und Kleister zu sinken. Für Backweizenqualitäten muss die Fallzahl zwischen 200 und 250 liegen. Das auswuchsgeschädigte Getreide liefert keine 150 mehr.
Weil aber nach Erling die Läger aus dem Vorjahr bereits leer sind, müssen die Müller sich die Qualitäten aus dem Ausland holen. Auch wenn Frankreich eine gute Ernte eingefahren hat, reiche der französische Weizen zwar für ein französisches Baguette, aber nicht alleine für ein deutsches Brot. Er wird als Mischweizen hinzugekauft. Österreich und Übersee sind weitere Märkte, wo die Müller sich eindecken. Wie viel letztlich importiert werden muss, stehe noch nicht fest, da nach Angaben von Erling die Bauern ihren Weizen nur zögerlich verkaufen und auf weiter steigende Preise spekulieren.
Deutschlands größter Bäcker verarbeitet 600.000 Tonnen Mehl im Jahr. Steigt der Mehlpreis um 100 Euro je Tonne müsse er in diesem Jahr 60 Millionen Euro mehr Ausgaben einkalkulieren, rechnet Erling vor. Man könne sich nicht vorstellen, dass diese Kosten nicht weitergeben werden.
Die Müller selber haben wenig Spielraum hohe Kosten aufzufangen, da diese zu 80 Prozent aus den Rohstoffkosten bestehen. Weitere zehn Prozent sind Frachtkosten, die in diesem Jahr hinzukommen. Insgesamt rechnet der VDM mit Zusatzkosten in Höhe von 800 Millionen bis einer Milliarde Euro.

... und Lebensmittelhandel
1950 gab es noch rund 19.000 Mühlen in Deutschland. 602 sind es heute, die noch gewerblich mahlen und nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums nur gut 300, die mindestens 500 Tonnen im Jahr vermahlen. Derzeit ist der Strukturwandel zwar zum Halten gekommen, doch wie viel Mühlen es in zehn Jahren noch gebe, wagte Hans-Christoph Erling gegenüber Herd-und-Hof.de nicht zu prognostizieren. Er verwies auf das Missverhältnis hin, dass den 600 Mühlen nur noch fünf Lebensmittelhändler gegenüberstehen. Und wenn es den Mühlen in diesem Jahr nicht gelänge, die gestiegenen Kosten weiterzugeben und aufzufangen, gehe der Strukturwandel wohl weiter.
Angesichts der Erntemeldungen prophezeien die meisten Schlagzeilen den Verbrauchern „teure Brötchen“. Auch der VDM kann eine Preissteigerung nicht von der Hand weisen – aber Schuld sein muss nicht die Ernte 2010.
Ein Kilo Mehl kostet mit 25 Cent weniger als eine Zigarette, so Erling. Das ist weniger, als der Müller beim Bauern bezahlen muss. Insgesamt spiegeln die Lebensmittelpreise nicht mehr den Arbeitswert von Bauern, Müller und ihren Berufskollegen wider. Nicht nur Mehl: Nahrungsmittel müssen mittelfristig wieder in Wert gesetzt und damit teurer werden.

Gentechnik und Energiepflanzen
Das Problem des fehlenden Qualitätsweizen ist nach Ansicht des VDM auch hausgemacht. Nicht nur das Wetter sorgt für Defizite. Hans-Christoph Erling fürchtet auch die rund 5.800 Biogasanlagen, die bis Ende des Jahres aufgestellt sind. Für sie wird Mais in großflächigem Stil angebaut, der gerade auf wertvollen Bördeböden Ackerflächen bindet. Die Nutzung von etwa 1,7 Millionen Hektar für den Energiepflanzenanbau seien widersinnig, weil qualitativer Weizen auch gerne von den Neiderlanden und Italien nachgefragt werde. Man solle, so Erling, die Subventionen für den Energiepflanzenanbau überdenken.
Probleme sehen die Müller auch bei der Nulltoleranz gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen. Das Beispiel des Leinsamens aus dem letzten Jahr zeige, dass es im internationalen Handel keine absolute Sicherheit gebe. Die Diskussion um den Grenzwert, wie sie derzeit bei Futterpflanzen geführt wird, solle auch für die Nahrungspflanzen gelten. Erling favorisiert das Schweizer Modell. Dort haben nicht zugelassene Pflanzen im Handel und auf dem Teller auch nichts zu suchen, aber es gibt einen technischen Grenzwert von 0,5 Prozent bis zu dem Anteile toleriert werden.

Mehr Stärke, weniger Zucker
Dr. Heiko Zentgraf, Ernährungswissenschaftler der GMF Vereinigung Getreide-, Markt- und Ernährungsforschung Bonn forderte in der täglichen Diät wieder mehr auf Brot und Backwaren zu achten. Im letzten Jahr haben die Deutschen mit 82,4 Kilogramm Backwarenmenge zwei Prozent weniger Getreideerzeugnisse gegessen als im Vorjahr. Damit liegt der Verbrauch erstmals unter dem langjährigen Mittel des „gesamtdeutschen Backwarenverbrauchs“, der seit 20 Jahren ermittelt wird und bei 83,6 Kilogramm liegt.
Doch Getreide und Mahlerzeugnisse sind die „Schlüsselprodukte“ für die Umsetzung der neuen Ernährungsempfehlungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). 52,5 Prozent der täglichen Nahrungsenergie sollen demnach aus Kohlenhydrate aufgenommen werden. In Deutschland erreichen drei Viertel der Männer und die Hälfte der Frauen nicht einmal die 50-Prozent-Marke.
Dabei liefert Brot nicht ur gute Kohlenhydrate, sondern auch wichtige Ballaststoffe, B-Vitamine und Mineralien.
Um die neuen Ernährungsziele zu erreichen, müsse der Anteil der Kohlenhydrate aus Getreideerzeugnissen lediglich um fünf Prozent gesteigert werden. Dafür reiche, so Dr. Zentgraf bereits eine halbe Scheibe Brot am Tag mehr.

Lesestoff:
Den VDM erreichen Sie unter www.muehlen.org
Alles über Mehl und Brotrezepte finden Sie unter www.mein-mehl.de. Dort können Sie auch das Mehl-o-Meter anfordern. Die praktische kleine Drehscheibe, die auf der Vorderseite wichtiges zum Thema Mehl und auf der Rückseite Informationen vom Anbau bis zur Auslieferung bereit hält.

Roland Krieg; Grafiken und Foto: VDM

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