Müssen Turbo-Kühe wirklich sein?

Landwirtschaft

Leistung macht krank

>Für die Ernährung eines Kalbes reicht es aus, dass die Kuh täglich rund 8 kg Milch gibt. Auf die Erzeugung dieser Menge ist der Stoffwechsel der Kuh von Natur aus eingestellt, wie das Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere (FBN) in Rostock Dummerstorf feststellt. Um jedoch ökonomisch wirtschaften zu können, muss der Bauer von seiner Kuh heute ein Mehrfaches an Milch erwarten. Kühe, die täglich über 50 kg Milch produzieren, sind keine Seltenheit mehr. Die Tiere müssen aber in die Milch investieren: Solche Hochleistungskühe scheiden täglich etwa 1,6 kg Eiweiß, 2 kg Fett und 2,4 kg Zucker mit der Milch aus. Die Synthese dieser Stoffe bedeutet Schwerstarbeit für den tierischen Organismus. Pro Kilogramm Körpergewicht sind im Stoffwechsel täglich 120 kcal umzusetzen, nahezu doppelt soviel wie ein Hochleistungssportler täglich verstoffwechselt.

Futter alleine reicht nicht
In der Phase der höchsten Milchleistung reichen für die Synthese der Milchinhaltsstoffe die Nährstoffe des Futters nicht aus, so dass die Kuh auch Körpergewebe, insbesondere Fett "einschmelzen" muss. Die hohe Belastung kann zur Verfettung der Leber führen, was auch Ursache dafür ist, dass das mittlere Lebensalter der Kuh mit dem Anstieg des Milchleistungsniveaus sinkt. In der praktischen Milcherzeugung wird dieses Problem nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus ethischer und ökologischer Sicht als besonders bedeutend eingestuft und ist Gegenstand zahlreicher Forschungsansätze.

Lösung über das Futter
Die Lösung des Problems wurde bisher in einer zusätzlichen Gabe von Traubenzucker (Glucose) gesehen, da an Glucose ein hoher Bedarf besteht. Die Experimente waren nicht erfolgreich, weil die Glucose den Insulingehalt im Blut erhöht. Wie Hochleistungssportler besitzen Hochleistungskühe nur sehr geringe Insulingehalte im Blut, da beide auf eine hohe Nährstoffverfügbarkeit angewiesen sind: der Sportler für eine schnelle Bereitstellung von Energie im Wettkampf, die Kuh für die Milchsynthese im Euter. Insulin bewirkt aber das Gegenteil: den vermehrten Einbau in das Körpergewebe. Im FBN wurde deshalb ein anderer Weg beschritten. Nicht Kohlenhydrate sollen aus dem Futter zusätzlich im Darm absorbiert werden, sondern langkettige pflanzliche Fettsäuren. Da die Fette nach der Verdauung über das Lymphsystem an der Leber vorbei direkt ins Blut und somit in die Milchdrüse gelangen, wird die Leber nicht belastet und die Neusynthese von Fettsäuren im Euter vermindert. So wird Glucose gespart, der Insulingehalt im Blut sinkt und die Kühe sind in der Lage nachhaltiger eine höhere Milchleistung zu erbringen. Darüber hinaus enthält das Milchfett einen höheren Gehalt an den gesundheitsfördernden konjugierten Linolsäuren (CLA).

Lösung über die Zucht
Einen ganz anderen Ansatz verfolgen ökologische Zuchtvereine, die mittlerweile auch Bullenkataloge herausgegeben haben. Die Hochleistungskühe werden meist nach zwei Laktationen bereits aussortiert. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft beschreibt den Zustand der deutschen Milchviehhaltung drastisch: Die Leistung der Milchkühe ist in den letzten 40 Jahren um 35 Prozent gestiegen, die Anzahl der Eutererkrankungen um 600 Prozent, Erkrankungen an Klauen und Gliedmaßen um 300 Prozent. Durchschnittliche Nutzungsdauer: 2,6 Jahre. Rechnerisch stehen dem Milchviehhalter damit pro Kuh nur noch 1,3 weibliche Kälber zur Verfügung, die vor dem ersten kalb auch noch zwei Jahre lang aufgezogen werden müssen. Die Bestandsergänzung der Herde ist zur Zeit der teuerste Faktor der Milchviehhaltung geworden.
Wird hingegen eine Zucht aufgebaut, die Kühe zehn Jahre lang nutzt, dann rechnet sich das auch wirtschaftlich. Zahlen belegen, dass noch nach zehn Jahren über 7.000 kg Milch pro Jahr und Kuh ermolken werden können. Damit steigt der Deckungsbeitrag der Kuh sogar von 1.500 auf 1.800 Euro. Auf einer Schulungstagung der Arbeitsgemeinschaft Rinderzucht auf Lebensleistung hatten Praktiker die Möglichkeit einen Bio-Betrieb mit 100 Milchkühen zu besuchen. Im Vergleich zu den üblichen Tierarztkosten in Höhe von 97,- € pro Tier und Jahr kam der Betrieb mit 19 € aus. Allerdings gibt es diese Tiere nicht überall und eine entsprechende Zucht wird erst langsam aufgebaut. Verschiedene Arbeitsgemeinschaften haben sich bereits auf Kriterien geeinigt. So gibt es immerhin schon 24 Bullen, die eine Gesamt-Lebensleistung von 150.000 kg Milch vererben.

roRo

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