Muss i´denn zum Städtele hinaus... ?

Landwirtschaft

Kunst und Kultur für die Identität der Regionen

Agrarwissenschaftlern sind die Fakten geläufig: Bis 2050 werden rund 9 Milliarden Menschen auf der Erde sein und der Zuwachse von drei Milliarden findet zur Hälfte in den Entwicklungsländern statt. Aber zu 100 Prozent in den Städten, was den ländlichen Raum vor besondere Probleme stellt. In Deutschland häufen sich die Tagungen zur Entwicklung des ländlichen Raums, weil die jungen und ausgebildeten Menschen in die Städte flüchten und „menschenleere Räume“ zurücklassen.
Erneuerbare Energien und Erholungslandschaften können eine flächendeckende Nutzung garantieren, so dass keine Einöden entstehen.
Das Mecklenburger Projekt zum „Aktiven und sozialen Dorf“ hat in diesem Jahr die Erkenntnis vorangebracht, dass eine dörfliche Gemeinschaft nicht unbedingt die Landwirtschaft braucht, um zu funktionieren. Trotzdem bleibt die Angst, dass zuerst Kunst und Kultur unter „schrumpfenden Regionen“ leiden und die Abwärtsspirale der Verödung beschleunigen, weil regionale Identität verloren geht. Will sich niemand mehr kulturelle Institutionen leisten? Diesen Fragen gingen gestern Britta Haßelmann, einzige Sprecherin für demographische Fragen im Bundestag, und Katrin Göring-Eckhard von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen in einem Fachgespräch nach.

Auch Städte schrumpfen
Niemand in der Politik hört den Begriff gerne: Schrumpfende Städte. Auch in Großbritannien hatte Kurator Philipp Oswalt mit seiner gleichnamigen Ausstellung Probleme. Offiziell sprechen Verwaltungen lieber von „Gebieten mit erhöhtem Umstrukturierungsbedarf“. Aber an der Wahrheit kommen sie so nicht vorbei. Oswalt zeigte, dass es weltweit immer mehr „Schrumpfende Städte“ mit über 100.000 Einwohnern gibt. Es gibt sie in den USA, in Europa, in Asien und in Russland. Selbst Afrika weist südlich der Sahara einige Markierungen auf. Das besondere ist, dass Städte selbst im Wachstum schrumpfen: Städte dehnen sich mit Leerstand in die Fläche aus. So verliert der traditionelle Marktplatz seinen öffentlichen Charakter und bleibt in der Nacht unheimlich leer. Die Jugend trifft sich mit ihren Autos an den Tankstellen der Vororte.
Oswalt sieht darin das Ende der europäischen Wachstumsepoche, die mit der Industrialisierung begann und jetzt ausläuft. Städte sind in dieser Zeit zum Ausdruck der Moderne und Kultur geworden – Wachstum ohne Ende. Die europäische ist eine städtische Gesellschaft.
Aber im Schrumpfen liegt auch eine Chance. Manchester hatte in den 1970er und 1980er Jahren rund die Hälfte der Einwohner verloren. In den leer stehenden Fabrikgebäuden erwachte eine Club-Kultur, die bis heute die Popkultur mitbestimmt. Oswalt verwies auf den Film „24 Hour Party People“. In Detroit verdünnt sich die Innenstadt und sowohl Brachland als auch leere Fassaden wurden zur Szenerie des Techno.

Kein Ende der Kultur
Drei Projekte hatten Gelegenheit, sich vorzustellen.
Dr. Maximilian Seefelder, Leiter des Kulturreferates des Bezirks Niederbayern, beschrieb wie der 7,5-Tonner LKW mit seitlich ausklappbarer Bühne zwischen Juni und September seit 1998 zwischen Landshut und dem Bayrischen Wald über 60.000 km zurücklegte: 279 Gastspiele mit 778 Vorstellungen vor fast 100.000 Zuschauern. 123 Dörfer und Kleinstädte wurden angefahren. In diesem Jahr gab es jeweils um 17:00 Uhr die „Kikerikikiste“, nicht nur für Kinder, und um 20:00 Uhr die Pop-Oper „Jon Diovanni“ in zwei Akten. Eine Mozartübertragung ins Bairische. Das Kulturmobil bringt professionelle Kultur in die Region. Nicht wegen der Schrumpfung, sagte Dr. Seefelder. Die war vor zehn Jahren noch nicht im Gespräch.
Mit einer 400 qm großen Gaststätte in Dresden-Omsewitz fing Omse e.V. 1990 im Plattenbau an. Der Verein versteht sich als „soziokultureller Animator“ und unterstützt eine aktive Lebensgestaltung unterschiedlichster Gruppen und bemüht sich um einen sozialen und kulturellen Ausgleich in der Stadt. Vorsitzender des Vereins Jürgen Czytrich zeigte auf, was sich aus der anfänglichen Idee, historisches Handwerk zu pflegen und ökologisches Leben zu fördern, entwickelte. Nach der Gaststätte „Kümmelschänke“ kam der Gartenbau hinzu, eine Töpferei und mehrere Kindergärten. Der Verein hat 4.000 qm Plattenbau übernommen und eine freie Schule gegründet. Aktuell will Omse ein Dorfleben abbilden und sucht Hartz IV-Empfänger, die verschiedene Handwerke können.
In Prösitz wohnen nur noch 40 Einwohner und doch ist das Dorf weit bekannt. Aus einem ehemaligen Dreiseithof des 19. Jahrhunderts wurde 1992 vom Verein „Künstlergut Prösitz“ eine Arbeitsstätte für Künstler. Das Künstlergut ermöglicht jährlich auf acht Symposien, professionelles Kunstschaffen mit der Versorgung der Kinder zu verbinden. Das Frauenprojekt wurde von Bildhauerin Ute Hartwig-Schulz und Leiterin des Vereins vorgestellt. Künstlerinnen kamen aus Brasilien, Russland, Frankreich, Polen und der Schweiz. Kunstausstellungen werden in Grimmen, Moritzburg, Potsdam und Bonn gezeigt. Als soziales Kunstprojekt gibt es das jährliche Wandergesellentreffen in dem kleinen Dorf zwischen Leipzig und Dresden.

„Wiederbelebung“ der Dorf- und Stadtkultur
Kultur muss allen zugänglich sein. Projektleiter Oswalt und die Politikerin Haßelmann waren sich einig, dass es keine wirkliche Rolle spielt, ob in Deutschland 80 oder 60 Millionen Menschen wohnen und arbeiten. Die Argumentation „Raum ohne Volk“ gilt als Angstmacherei. Die drei Beispiele zeigen, welche unterschiedlichen Facetten existieren. Sie geben ein beredtes Beispiel dafür ab, dass Lebendigkeit Leerstand bei Wohnungen und im ländlichen Raum beseelt.
Die Frage, ob Schrumpfung solche Projekte von sich aus hervorruft, oder ob diese Initiativen gegen den Prozess wirken sollen, mochte niemand so recht beantworten. Möglicherweise ist das aber auch egal. Initiativ geworden sind überall die Menschen. Sie haben ihre Gelegenheiten gesucht und gefunden und damit im Ergebnis das Leben in der Stadt und auf dem Land mit vielen Facetten bereichert.
Während „Raum ohne Volk“ die Verantwortung auf Institutionen zu legen scheint, nehmen die Initiativen diese selbst in die Hand.
Oswald Spengler kritisierte in seinem Buch „Untergang des Abendlandes“, dass sich die „faustische Seele“ des Menschen in der Spezialisierung erfüllt: Mathematik für Mathematiker, Malerei für Galeristen, Politik für Politiker. Das Kultur Mobil hat in seiner Idee etwas anarchistisches: Der rollende LKW entspricht den alten Fahrensleuten, die mit ihren Pferdewagen über das Land zogen und auf dem Marktplatz Halt machten, um die Menschen zu unterhalten. Die Kultur kehrt zu den Menschen zurück.

Man muss nur genau hinschauen
So tot, wie es mancher Kongress erscheinen lässt, ist der ländliche Raum nicht. Die Theaterschafe in Altusried waren auch ein gutes Beispiel zwischen ländlicher Agrar“kultur“ und professionellem Theater. Gestern hat das Bayrische Landwirtschaftsministerium verkündet, dass die nächsten Bayrischen Tage der Dorfkultur vom 15. bis zum 17. Juni im Naturpark Steigerwald stattfinden. Alle zwei Jahre werden die Dorfkulturtage in einem anderen Regierungsbezirk durchgeführt. Es sind immer mehrere Gemeinden und Städte beteiligt, die mit diesem Verbund aufzeigen, dass die Kommunen zusammen arbeiten sollen. Stadt und Land, Kultur und Nutzung, Schrumpfen und Wachsen können zu einer lebendigen Gesellschaft verweben.

Lesestoff:
Die Projekte haben alle eigene Internetseiten:
www.kulturmobil.de
www.omse-ev.de
www.kuenstlergut-proesitz.de
Das Projekt von Philipp Oswalt mit zahlreicher Literatur und Analysen gibt es unter www.shrinkingcities.de
Die Partei der Grünen hat unter www.gruene-bundestag.de unter Presse/Beschlüsse den Fraktionsbeschluss „Demografischer Wandel als Chance“ veröffentlicht (17. Oktober 2007)
Eine ausführliche Dokumentation über die Bayrischen Kulturtage 2005 in der Oberpfalz gibt es unter www.landentwicklung.bayern.de
Die entwicklung der ländlichen Räume ist mittlerweile auf der Bundespolitischen Ebene angekommen: Im Oktober gab es den Bundeskongress Ländlicher Raum.

Roland Krieg

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