Nachhaltige Landwirtschaft aus Sicht der Kirchen
Landwirtschaft
Zehn Jahre ökumenisches Grundlagenpapier zur LWS
„Jahwe Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und bewache“ (Gen 2,15). Deutlich vor dem sächsischen Oberberghauptmann Hans Carlo von Carlowitz beschreibt bereits die Genesis mit knappen Worten die Nachhaltigkeit. Die Kirchen haben die Landwirtschaft und die Welternährung schon lange thematisch begleitet. Auf dem Land verschärfte sich die Situation bei den Bauern durch Strukturwandel und die BSE-Krise stellte die gesamte Tierhaltung in Frage. Aus einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Katholischen und Evangelischen Kirche entstand im März 2003 der Diskussionsbeitrag „Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft“. Zehneinhalb Jahre später luden die KLB (Katholische Landbevölkerung Deutschlands) und der EDL (Evangelische Dienst auf dem Lande in Deutschland) zusammen mit dem Deutschen Bauernverband (DBV) zu einer Zwischenbilanz nach Berlin.
Nachhaltige Landwirtschaft
Das 52-seitige Heft beschreibt nicht nur den konkreten
Schutz der Ressourcen durch Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und biologischer
Vielfalt, sondern setzte ein deutliches Signal: „Die Verantwortung für die
Schöpfung ist im christlichen Denken zentrales Motiv“. Desweiteren wurde die
zunehmende Entfremdung zwischen Verbrauchern und Landwirten beklagt und die
geringe Wertschätzung der Lebensmittel, weil sie kaum noch etwas kosteten.
Das gesamte Vorwort könnte mit Punkt und Komma für eine
Neuauflage aktuell geschrieben werden. Hat sich denn nichts geändert?
Die Rolle der Kirchen
Die Kirchen sind einer der großen Verpächter
landwirtschaftlicher Flächen. Die Zeit des Erntedanks ist Gelegenheit, auf ein
arbeitsreiches Jahr zurück zu blicken, und angesichts aller möglichen Unbilden,
eine gut gefüllte Scheune wertzuschätzen, die das Einkommen für das nächste
Jahr sichert. Heute vielleicht mehr aus folkloristischem Blickwinkel – aber
noch immer mit gutem Grund. Land, Bauern und Kirche haben kulturelle
Gemeinsamkeiten, die dem Städter vielfach fremd sind. Wer Gott um ausreichenden
Sonnenschein und ein bisschen Regen bittet, der kennt seine fachlichen Grenzen.
„Die Landwirte sind Sachwalter der Schöpfung“, lautet
eines der Selbstverständnisse, die Prof. Dr. Markus Vogt von der LMU München
anführt. Nachhaltigkeit sei die Übersetzung der Schöpfungsverantwortung. Dabei
geht es um die einfache Bewahrung eines „geordneten und geschenkten
Lebensraums“. Konflikte, die heute vor allem aus der zunehmenden Heterogenität
verschiedener Agrarsysteme entstehen, können in der Kirche als Plattform
überwunden werden.
Natürlich beinhaltet das Nachhaltigkeitspapier auch das
„Urgeschäft“ der Kirchen: Die Seelsorge im ländlichen Raum und die Sorge um das
Familienbild. Der Konsum habe aus den Verbrauchern einen „Möglichkeitsmenschen“
gemacht, der erst mal alles kaufen will – und dann wegwirft, brauche er es doch
nicht mehr. Das gemeinsame Essen in der Familie befinde sich auf dem Rückzug.
Die 10-Jahres-Bilanzen
Seit dem Nachhaltigkeitspapier habe sich viel getan. Im Bereich des Tierschutzes sogar besonders viel. Aber, so schränkte Prof. Vogt ein: Von allem viel zu wenig.
Skeptischer formuliert es Nicole Podlinski, Vorsitzende der KLB. Weil das Vorwort heute genauso geschrieben werden könnte, hätte sich kaum etwas verändert. Die Erfolge im letzten Jahrzehnt liegen mehr auf der Öffentlichkeitsebene. Aus dem Begriff Ernährungssicherung wurde das Wort Ernährungssouveränität. Das beinhalte so viel mehr, weil es die Menschen befähigt, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, unbequem gegenüber der eigenen Regierung zu sein und den Menschenrechtsansatz befördert. Doch weder im Norden noch im Süden sei der Schutz der familienbäuerlichen Betriebe vorangekommen. Gehe der Strukturwandel weiter, bleiben von 600.000 Betrieben aus dem Jahr 1993 bis zum Jahr 1923 nur noch 180.000 übrig. „Wo ist das Ende des Strukturwandels?“, fragte sie und gab preis, dass sie keine Lösung kenne.
Fortschritte auf der geistigen Ebene sieht auch Dr. Clemens Dirscherl, Beauftragter für agrarsoziale Fragen beim EDL. Landwirtschaft ist Gesellschaftspolitik geworden, vielleicht auch mehr, als den Bauern lieb sei. Die Landwirtschaft habe sich in verschiedene Partikularinteressen entwickelt. Neben den großen Strukture in Ostdeutschland stehen die Grünlandbetriebe in der Eifel, der Energiewirt produziere an der Seite des Nebenerwerbslandwirtes. Die Kirchen müssten eine Plattform werden, die verschiedenen Partikularinteressen wieder zusammenzuführen. „Der Wandel ist auch eigentlich normal“, so Dr. Dirscherl. Es mache nicht immer Sinn einen Status quo festzuschreiben. Entscheidend sei vielmehr, wie er durchgeführt werde und welche Auswirkungen er habe. Da wollen die Kirchen mitreden.
Was den Bauernverband vor zehn Jahren störte, war die Wortwahl. Schon den erste Begriff „Neuordnung“ empfand der DBV als Provokation, erinnerte sich Dr. Michael Lohse. Auch die Seite 42, auf der es um die „Integration von Landwirtschaft und Naturschutz“ geht, wurde als Einmischung in die bäuerliche Praxis empfunden. Werner Schwarz, Landesbauernpräsident in Schleswig-Holstein schlug vor, für eine zweite Auflage den Bauernverband mit einzubeziehen. Wandel ist nach Schwarz ein Prozess, den die Bauern erfolgreich durchlaufen. So produzieren sie mit weniger Dünger mehr Ertrag und haben so die Produktivität gesteigert. Die jüngste Entwicklung sei die Initiative Tierwohl gewesen, die im Januar für den Schweinebereich startet [1].
Erfolg beanspruchte aber auch Stefan Zwoll, Geschäftsführer beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Die meisten Verbraucher wollen keine gentechnisch veränderten Produkte und sie werden in Deutschland auch nicht mehr angebaut. Er appellierte an die Kirchen, sich stärker für die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und vor allem im Fleischbereich einzusetzen. Die Löhne und Situation mit den Werkverträgen sind unhaltbar geworden. Würde sich der Ökolandbau in Deutschland auf 20 Prozent der Fläche erstrecken, sei schon viel für die Nachhaltigkeit getan. Dabei lässt er die Gegenargumente nicht zu, dass die extensivere Produktion angesichts von 860 Millionen hungernden Menschen moralisch nicht vertretbar sei. Deutschland werde die Welt nicht ernähren, stellte Zwoll klar. Das gehe nur mit einer ökologischen Intensivierung der kleinen Betriebe in den einzelnen Weltregionen.
Ein neues Papier müsste das Verbraucherbild gründlich überarbeiten, kritisierte Jutta Jaksche vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Die Schlussfolgerung, dass Verbrauchermehr Geld für Lebensmittel ausgeben müssten sei ungenügend. Wenn sie mehr Geld ausgeben, dann auch für höhere Qualität. Der Mensch werde immer rational an der Ladenkasse entscheiden und brauche daher ein neues Preis-Qualitäts-Verhältnis. Auch der Vorwurf, dass Menschen nicht kochen können, müsse differenziert werden. Die Lebenswelten haben sich geändert und die Menschen wollten nicht mehr kochen. Dem Verbraucher Mitverantwortung zuzusprechen sei durchaus der richtige Ansatz, bleibe aber unvollständig. Mit der Teilhabe an Erzeuger-Verbraucher-Organisationen habe er viel direktere Einflussmöglichkeiten.
Brauchen wir den Markt?
Vor allem für den Bereich der Welternährung wurde
deutlich, dass eine Errungenschaft, das Menschenrecht auf Nahrung, nicht über
marktbasierende Lösung realisierbar ist. Dennoch wird der Markt von beiden
Kirchen als dezentral, freiheitlich und innovativ bezeichnet. Er erfüllt in seinem
Selbstzweck aber keine ethischen Grundsätze. Ein Markt ohne Ordnungsrecht führe
zu Fehlallokationen, räumte der ehemalige Staatssekretär im sächsische
Landwirtschaftsministerium Hermann Kroll-Schlüter, an. Alleine bessere
Haftungsregeln würden mehr soziale Verantwortung in den Markt bringen.
Agrarpolitiker Dr. Max Lehmer, ist skeptisch. Ihm fehlt
ein deutliches Plädoyer der Kirchen für die soziale Marktwirtschaft. Gerade die
Agrarwirtschaft könne mit zahlreichen Interventionen, Subventionen und Quotenmodellen
auf kostspielige Korrekturmöglichkeiten zurück blicken. Diese kamen aber immer
zu spät, waren zu viel oder wirkten falsch. Ein Blick auf die Hungerländer
zeige, dass dort die Märkte fehlen. Dr. Lehmer zweifelt auch an der von den
Kirchen betonten Kausalität zwischen Überfluss- und Defizitregionen. Der
äthiopische Bauer kennt den Weltmarkt nicht, hat für Produkte seines
Subsistenzbetriebes noch nicht einmal einen Händler in Sicht. Umgekehrt dringe
der Weltmarkt nicht bis zu ihm vor.
Dennoch will Kroll-Schlüter, der jetzt Präsident des
Internationalen Ländlichen Entwicklungsdienstes ILD ist, nicht auf Regeln verzichten. Der Markt kenne
keine Moral und es sei Aufgabe des Staates, Märkte zu ordnen. „Die soziale Marktwirtschaft
ist ein Ordnungssystem und keine Regellosigkeit“, schrieb er zuletzt in der
Zeitschrift „Ländlicher Raum“ [2]. Der Agrarpolitik rät er, auf die zweite
Säule zu verzichten und die Entwicklung des ländlichen Raums über die Regionen
mit einem eigenen Budget ohne Umweg über Brüssel zu finanzieren.
Neue Herausforderungen
Nach mehr als zehn Jahren haben sich nach Prof. Vogt
neue Herausforderungen herausgebildet, die in einem Folgeband besonders betont
werden würden. Darunter fällt der Klimawandel. Der Boden als natürlicher
Speicher von Kohlendioxid müsse größere Bedeutung erhalten. Eine veränderte
Landnutzung müsse mehr Wälder und Niedermoorstandorte berücksichtigen.
Die biologische Vielfalt bezeichnete er als „Motor der
Entwicklung“ und verweist auf den TEEB-Bericht, der dem Nutzen einen Preis
zuordnen kann [3]. Diese Weiterentwicklung habe noch keinen Einzug in die
Ökonomie gehalten.
Noch mehr in den Vordergrund würde Vogt den ländlichen
Raum stellen. Hierbei geht es um die Resilienz, um die elastische
Widerstandskraft auf negative Einflüsse, wie Wetterextreme, zusätzliche
Arbeitsmöglichkeiten oder soziale Treffpunkte. Vogt denkt gleich an den
globalen Maßstab, weil die meisten hungernden Menschen auf dem Land leben und
sogar selbst eine Subsistenzwirtschaft betreiben.
Lesestoff:
Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft, Gemeinsame Texte 18; Hrsg.: Kirchenamt der Evangelischen Kirche und von Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz; März 2003; Zu beziehen über www.dbk-shop.de -> Gemeinsame Texte
[1] Tierwohl-Initiative und Kritik auf der ANUGA
[2] Kroll-Schlüter, H.: 300 Jahre Nachhaltigkeit – eine Idee hat Geburtstag, in: Ländlicher Raum 03/2013. Hrsg.: Agrarsoziale Gesellschaft
[3] Den Wert der Natur in die Mitte der Gesellschaft stellen
Roland Krieg