„Nachhaltigkeits-Milliarde“ für die Forschung

Landwirtschaft

BUND fordert mehr Forschung für Nachhaltigkeit

In einem aktuellen „Plädoyer für eine Wissenschaft für und mit der Gesellschaft“ hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) mehr Forschung für die Nachhaltigkeit eingefordert. Vor Journalisten plädierte BUND-Präsident Prof. Dr. Hubert Weiger am Donnerstag für eine „Nachhaltigkeits-Milliarde“ von der Bundesregierung, um die seiner Ansicht nach vernachlässigte Nachhaltigkeitsforschung voranzutreiben.

Wissenschaft hat sich verändert

Die Forderung zu mehr Nachhaltigkeit in der Forschung passt zum Motto „Zukunftsprojekt Erde“ des Wissenschaftsjahres 2012. Doch hat sich die Wissenschaft in den letzten Jahren verändert, erklärte Dr. Weiger.
So sind zahlreiche Lehrstühle, die für eine ganzheitliche Sicht der Ökosysteme beitragen können, verschwunden. Als Beispiel nannte Prof. Weiger das Fach Freilandökologie für Biologen. Darin lernen sie erst die ganze Biodiversität kennen. Diese Lehrinhalte werden nicht nur reduziert, sondern vermehrt in Lehrstühle für Gentechnik und Biotechnologie umgewandelt.
Auch in der Biotechnologie selbst gebe es Defizite. Es finde mehr Anwendungsforschung statt und keine Wirkungsforschung auf die Umwelt, so Weiger. Zudem würden kritische Forschungen nicht so oft veröffentlicht wie beispielsweise in Österreich und den USA.
Im Medizinischen Bereich fehlt es dem BUND an Gesundheitsforschung am Menschen. Sowohl in der Toxikologie als auch in der Epidemiologie gibt es kaum noch Wirkungsforschung über neue Technologien.
Ein großes Problem ist sei Drittmittelabhängigkeit der Forschung, weil sich der Staat aus haushalterischen Gründen aus der Forschung zurückzieht. Die Ausrichtung der Exzellenzuniversitäten ist an Veröffentlichungen und Drittmittelgelder gebunden und nicht an der Ausrichtung in Richtung Nachhaltigkeit, wie die Universität Lüneburg.
Forschung habe sich zudem immer mehr spezialisiert und den Gesamtkomplex aus den Augen verloren. Die Geisteswissenschaften müssten näher an die Naturwissenschaften heranrücken, um neben der Ingenieursleistung auch die psychologischen und sozialen Folgen und Barrieren zu ergründen.


Agrarforschung

Nach Prof. Weiger zeichnen sich vor allem in der Agrarforschung „die Defizite im System“ ab. Bis heute haben das Bundeslandwirtschaftsministerium und die Bundesregierung den Weltagrarbericht nicht nur Kenntnis genommen und ratifiziert, weil sie die High-Tech-Landwirtschaft befürworteten. Low-Input-Systeme und der ökologische Landbau seien unterbewertet.
Auf der Grünen Woche diskutierte die konventionelle Agrarforschung jedoch genau anders herum. Dr. Uwe Schrader, Vorsitzender der Plattform „Grüne Vernunft“, in der sich Wissenschaftler für die grüne Gentechnik einsetzen, beklagte den Abzug der BASF-Pflanzenforschung1) in die USA und zeige, dass die Biotechnologen „kein Gehör in der Politik“ finden. Die Beziehungen zwischen dem Sojaanbau in Brasilien, der Schweinemast in Deutschland und dem Export von Fleisch werde ausschließlich von den Umweltorganisationen thematisiert, ergänzte Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Solche Diskussionen seien in der Gesellschaft nicht geerdet.

Verbraucherverwirrung

Während für die einen Experten die grüne Gentechnik kein Zukunftsmodell ist und schädliche Auswirkungen auf die Umwelt habe, sehen andere Wissenschaftler diese als Bestandteil der Nachhaltigkeit.
Verbraucher sind auch verwirrt, weil es zwar gesetzliche Höchstwerte für Rückstände von Pflanzenschutzmitteln gibt, diese aber von den Umweltverbänden angezweifelt werden. Doch der Wissenschaftsdiskurs des BUND werde sich auch diesem Thema widmen, sagte Prof. Weiger zu Herd-und-Hof.de. Es gehe darum, wie Verbraucher mit den vielen widersprüchlichen Signalen umgehen und wem sie am Ende mehr Vertrauen schenken. Dazu gebe es bereits Ansätze im Forschungsministerium, doch müssten sie stärker ausgebaut werden, so Weiger. Oftmals werden nach Prof. Weiger nachhaltige Effekte im Vornherein im Potenzial unterschätzt und deren Kosten überschätzt. Das heißt, es fehlt an der Monetarisierung von Umweltleistungen, die Effekte sichtbar zu machen. Doch zumindest gibt es im TEEB einen ersten globalen Schritt, dieses Defizit zu beseitigen4). Denn der Verbraucher ist mit seinem Verhalten der Hebel der Transformation.

Rebound – Effekte

Es ist nicht so, dass es keine nachhaltige Forschung in Deutschland gibt. Gerade die Umwelttechnik hält zahlreiche Beispiele bereit: Erschließung von Geothermie auf Haushaltsgröße, effiziente Kontrollsysteme für den Energieverbrauch von Elektroautos oder energiesparende Stranggießanlagen für besonders dünne, feste und Ressourcensparende Stahlbleche. Doch der Autor des Artikels „Saubere Sachen“2) schreibt auch: „Der Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 steigt unaufhaltsam an.“
Ingenieure bezeichnen das Problem als „Rebound“. Effiziente Produkte regen zusätzliche Nachfrage an und lösen beim Menschen das Gefühl aus, sich durch die Einsparung mehr leisten zu können. Dr. Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie beschreibt den Rebound-Effekt ganz plastisch. „Die Menschen investieren in Sparlampen, und weil die so wenig verbrauchen, montieren sie noch gleich weitere dazu.“3) Aufklärung alleine verhindere den Rebound nicht. Nach Dr. Kopatz müsse die Politik den richtigen Rahmen stellen. Zum Beispiel eine schrittweise Reduzierung des Gewichts von Kraftfahrzeugen auf eine Tonne. Das würde den Benzinverbrauch drastisch reduzieren.

Lesestoff:

www.bund.net

Der Verbund für Nachhaltige Wissenschaft (NaWis) führt in diesem Jahr bundesweit die Veranstaltungsreihe „Transformatives Wissen schaffen“. Alle Termine und Programme finden Sie unter www.nachhaltigewissenschaft.blog.de

1) BASF verlegt Plant Science in die USA

2) Jürgen Nakott: Saubere Sachen; in National Geographic Februar 2012, S. 108 ff

3) Interview Dr. Kopatz mit „innovation & energie“, 1/2012. Das Magazin der EnergieAgentur.NRW

4) Den Wert der Natur in den Vordergrund stellen. TEEB auf der Umweltkonferenz in Nagoya

Roland Krieg

Zurück