Natur und Mensch in Mitteleuropa

Landwirtschaft

Natur und Mensch in Mitteleuropa im letzten Jahrtausend

Der Kölner Dom ragt nur noch mit den Spitzen aus dem Küstengewässer und über die Mark Brandenburg rollen Wanderdünen. Mit welchen Bildern sollen sich die Menschen einen Klimawandel vorstellen, den sie vermeiden sollten? Die Fülle an Szenarien und die Aussichtslosigkeit gleich morgen „zählbare Ergebnisse“ durch Verhaltensänderungen von heute erzielen zu können, lassen das Interesse erlahmen. Vor allem aber deshalb, weil der Mensch mit zwei Parametern sinnlich nur schwer umzugehen weiß: Veränderung und Zeit. „Aber der Klima-Anfänger ertrinkt zunächst in der Flut gegenläufiger Extrem-Anomalien des Alltagswetters, oft im 1- oder 2-Jahres-Rhythmus“.

Die Klimageschichte und der Mensch
Doch genau diese Parameter, Veränderung und Zeit, sind in der Naturgeschichte essentiell, so Prof. Josef Reichholf. Deshalb haben sich die Rundgespräche der Kommission für Ökologie der Bayrischen Akademie der Wissenschaften um das Thema Mensch und Natur gedreht. Jetzt ist das Buch erschienen, das die Referate und Diskussionen dokumentiert, die vor dem IPCC-Bericht der UN stattgefunden haben.
Auf welchen Basiszustand beziehen sich Zukunftsszenarien? Wann gab es eigentlich den „richtigen“ Zustand in der Natur? Folgen die Szenarien nicht zwangsläufig nur den Regionen, die wie Mitteleuropa gut dokumentiert sind?
Ganz gelegentlich muss man sich auch durch geisteswissenschaftliche Schachtelsätze kämpfen, wird aber mit fundamentalen Erkenntnissen belohnt: „Klimaoptimum“ reflektiert in unseren Breiten die Grundbefindlichkeit einer Schönwetter-Gesellschaft, die Wärme und Sonnenschein als „gutes“ / „schönes“ Wetter (frz. la belle saison = Sommer) fühlt, bis in tägliche Wettervorhersagen in Radio und Fernsehen, während Kälte und Regen in „Schlechtwetterfronten“ dräuen“.
Prof. Immanuel Geiss nimmt den Leser auf einen Husarenritt in die Klimageschichte gleich mitten in das Zentrum des Themas: „Kalte Nässe im Norden, glutheiße Dürre im Süden zerstörten auf ihre je eigene Weise die Grundlagen agrarischer Existenz.“ Völkerwanderungen, Eroberungskriege und Bauernaufstände waren die Folge.
Bis zum Grund durchgefrorene Seen oder fehlendes Wasser durch lange Dürren wären als Wetteranomalien heute ein eher technisches Problem. Im Mittelalter hingegen standen die Wassermühlen still und es gab kein Brot!

Die Menschen und der Mensch
Nicht aber nur das Klima wirken über die Parameter Veränderung und Zeit auf die Menschen. Wurden Anbau und Rohstoffbedingungen für die frühen isolierten Subsistenzwirtschaften ungünstig, dann zogen auch in Mitteleuropa die Menschen weiter zu einem neuen Standort. Hatten sie begonnen Wirtschaftsnetze aufzubauen, konnten sie mit Mangelsituationen besser umgehen, brauchten nicht mehr zu wandern und konnten Städte gründen, in denen die Bewohner nichts mehr mit der Produktion von Nahrungsmitteln zu tun haben brauchten. In der Landwirtschaft mussten Überschüsse erzielt werden und mit der Schaffung von stabilen Systemen wollte man jederzeit gleiche Agrarerträge erzielen, um Wohlstand zu schaffen. Das hat das Gesicht der Erde verändert.

Pusta Augustowska

Kulturlandschaft am Kyffhäuser

Welche Landschaft brauchen wir? Welche Landschaft wollen wir? Welche Landschaft können wir uns leisten? Links: Urwald in Masuren; Rechts: Landschaft am Kyffhäuser; Fotos: roRo

Wie sah der Wald vor 1000 Jahren aus? Die Bauern wollten Weidewald, die Städter Brennholzwald und die Grundbesitzer einen Nutzholzwald, beschreibt Prof. Reinhard Mosandl vergangene Nutzungskonflikte, die seltsam aktuell anmuten.
Wenn wir heute über steigende Lebensmittel diskutieren, dann hilft der Blick zurück, als „Schmalhans“ wirklich noch Küchenmeister gewesen ist. Die heutige Hauptgetreideart Weizen galt im Mittelalter bei Tabernaemontanus noch als Heilmittel: „“Der Weizen ... wird vor allem anderen Geträyde und Kornfrüchten hoch gepriesen / und nicht allein um seiner grossen und krafftigen Nahrung willen / sondern auch darum / dass er auch sonst zu vielen innerlichen und äußerlichen Leibesgebrechen fast nützlich in der Artzney gebraucht wird.“
Mit seinen Reiseaktivitäten und technischen Innovationen hat der Mensch das gesamte Artenspektrum der Nutzpflanzen in der Landwirtschaft und der Küche nahezu komplett umgekrempelt.

So viel Hintergrund ist nötig
Derzeit geht es um viele Aktionen, die den Ausstoß von Kohlendioxid verringern sollen. Die Rundgespräche bieten einen umfangreichen Einstieg in detailliertes Hintergrundwissen, sich auch darüber Gedanken zu machen, in welche Richtung wir wollen. Das Buch erinnert, dass der Mensch schon immer Veränderungen erzeugt hat und unterworfen war. So wird es auch weiter gehen, aber bevor wir eine Strategie entwerfen, bräuchten wir ein Ziel. Und das hat sich in den letzten eintausend Jahren ständig geändert.

Lesestoff:
Natur und Mensch in Mitteleuropa im letzten Jahrtausend. Rundgespräche der Kommission für Ökologie, Band 32 (2007), 174 S., 34 Farb- und 53 Schwarzweißabbildungen, 11 Tabellen, Paperback;
Hrsg.: Bayrische Akademie der Wissenschaften. Verlag Dr. Friedrich Pfeil, Wolfratshauser Straße, 81379 München (www.pfeil-verlag.de); 25,00 €; ISBN 978-3-89937-077-5
Die Rundgespräche werden seit 1990 herausgegeben. Im letzten Jahr ging es um Gräser und Grasland.

Roland Krieg; Fotos: roRo

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