Neonicotinoide: Gefährlich oder Alternativlos?

Landwirtschaft

Nutzten und Gefährdung der Neonicotinoide

Die natürlichen Ressourcen sind endlich. Sowohl mit fruchtbarem Ackerboden als auch mit Wasser gehen die Menschen verschwenderisch um. Um eine wachsende Zahl an Menschen satt zu bekommen, muss die Produktivität der Landwirtschaft gesteigert werden. Ob Extensivierungen eine Lösung steigender Nachfrage sind, bleibt zweifelhaft, solange sich das Konsumvolumen der Menschen nicht ändert.
Um Die Saat auch später ernten zu können, schützen Landwirte sie mit einer Beize. Wirkstoffe werden in einem Mantel um das Saatgut aufgebracht und machen die Körner weniger verlockend für Schadinsekten.

Sozio-ökonomische Bewertung von Neonicotinoiden

Eine Wirkstoffgruppe sind die Neonicotinoide, die mittlerweile nicht nur in der Fachwelt bekannt sind. Einer der Wirkstoffe, Clothianidin, hat durch das Bienensterben im Oberrheingraben im Jahr 2008 europaweit Bekanntheit erlangt.
Spätestens seitdem liegen Imker mit Bauern und der Agrarchemie im Dauerclinch um Neonicotinoide.
Im Rahmen der Grünen Woche hatte der Industrieverband Agrar (IVA) deshalb zu einer Studie über die Wirkstoffgruppe geladen, die den Nutzen der Neonicotinoide belegen will.
In mehr als zehn Ländern haben Steffen Noleppa und Thomas Hahn vom Humboldt Forum for Food and Agriculture an der HU Berlin (HFFA) Anwendungen an sechs verschiedenen Kulturen untersucht und die Ergebnisse einer sozio-ökonomischen, technologischen und ökologischen Bewertung unterzogen.

Studien-Highlights

Als kurzfristigen sozio-ökonomischen Nutzen generieren die Wirkstoffe einen Umsatz von zwei Milliarden Euro jährlich, wobei in Deutschland ein Fünftel davon anfällt. Der Nutzen für das Bruttoinlandsprodukt wird als mittelfristiger Nutzen auf sechs Milliarden Euro, für Deutschland auf 1,5 Milliarden, geschätzt. Würden Neonicotinoide verboten, müssten durch sinkende Erträge bei Raps, Mais, Sonnenblumen und anderen Feldfrüchten Produkte importiert werden, die in anderen Ländern 3,3 Millionen Hektar Anbaufläche in Anspruch nehmen. Die Umweltkosten durch diese zusätzliche Landnahme wird als Umweltimplikation mit 600 Millionen Tonnen Kohlendioxid angegeben, was einen Schadenswert von 15 Milliarden Euro hat.
Die europäischen Bauern würden an Gewinnspanne verlieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Kernindustrie gehe verloren.
In den letzten Jahrzehnten hat es viermal einen Wirkstoffwechsel gegeben, sagte Dietmar Brauer von der Norddeutschen Pflanzenzucht Lembke KG. Man müsse berücksichtigen, dass die Wirkstoffe immer besser werden, während früher beispielsweise mit DDT noch gespritzt werde.
Anfang der 1960er Jahren ist die Vergilbungskrankheit bei Zuckerrüben zu über 60 Prozent aufgetreten, wurde in der Folgezeit bei großen Schwankungen langsam auf 20 bis 30 Prozent gesenkt. Die Wirkgruppe Carbamate haben die Vergilbungskrankheit noch einmal halbiert und die Neonicotinoide den Befall zuletzt auf einen niedrigen einstelligen Prozentsatz gesenkt. Die Kleine Kohlfliege sei derzeit nur mit Neonicotinoiden zu bekämpfen.
Die HFFA-Studie will den Einsatz von Neonicotinoiden nicht forcieren, spricht aber die Empfehlug aus, die Schäden durch entgangenen Nutzen bei einem Verbot für die Zulassung mit zu berücksichtigen. Mecklenburg-Vorpommern, das sich gerne als Rapsland darstellt, müsste auf diese Feldfrucht nahezu verzichten, so Brauer.
Kritiker setzen auf weite Fruchtfolgen oder alternative Schädlingsbekämpfung. Prof. Harald von Witzke vom HFFA glaubt nicht, dass weite Fruchtfolgen die Märkte und Herausforderungen steigender Nachfrage bedienen können. Die Beize hat nach Brauer den Einsatz von Saatgut sehr effizient gemacht und Kosten gespart. Noch in den 1970er Jahren wurden 12 Kilogramm Rapssaat auf einen Hektar ausgesät, heute brauchen die Bauern nur noch drei Kilogramm. Pro Quadratmeter reichen 30 bis 40 Saatkörner für die gelbe Frühjahrspracht aus.

Forschung an Alternativen

„Wenn es etwas besseres gäbe, würden wir es nutzen“, sagte Brauer. Die Agrarforschung arbeitet daran. Doch Neonicotinoide haben ein breites Wirkspektrum gegen saugende und beißende Insekten, erklärte Dr. Helmut Schramm von Bayer Crop Science gegenüber Herd-und-Hof.de. Alternativen sind selektiver ausgerichtet und müssten umfassender angewendet werden. Zudem dauert die Entwicklung eines Moleküls bis zur Zulassung als Wirkstoff rund zehn Jahre und kostet bis zu 200 Millionen Euro. Die Zulassung nimmt dabei den anspruchsvollsten Teil der Forschung ein, so Dr. Schramm.

Neue EFSA-Bewertung

Theo Jachmann von Syngenta sagte bei der Vorstellung der Studie, dass Neonicotinoide und Bienen nicht zusammen passen. Daher muss jedoch als Form des Risikomanagements die Beize so sicher wie möglich machen, so dass der Wirkstoff den Bienen nichts mehr anhaben kann.
In der letzten Woche hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA eine neue Bewertung für drei Anwendungen innerhalb der Neonicotinoide erneut überprüft. Neben Clothianidin waren das Imidacloprid und Thiamethoxam.
Zu allen drei Substanzen gibt die EFSA folgende Empfehlungen heraus:

Wann immer notwendig, sollen die Wirkstoffe nur bei Pflanze genutzt werden, die für Bienen keine Attraktion sind.

Eine Kontamination über Staub konnte die EFSA nur bei Zuckerrüben und Unterglasanbau ausschließen.

Guttation (Abgabe von Wassertropfen bei Pflanzen): Nur bei Mias konnte die EFSA Versuche durchführen, dort aber aufzeigen, dass die Bienen über Guttationswasser mit dem Wirkstoff kontaminiert werden können.

Auf dieser Datenbasis hat die EFSA Tabellen für sichere Anwendungen erstellt.

Interpretationen

Syngenta produziert den Wirkstoff Thiamethoxam und unterstreicht, dass die EFSA kein Anwendungsverbot ausgesprochen hat. Theo Jachmann verwies auf die jahrzehntelangen Anwendungen ohne Zwischenfälle, was die EFSA außer Acht gelassen hätte.

Harald Ebner, Sprecher für Agrogentechnik bei Bündnis 90/Die Grünen, liest aus der Bewertung ein „Alarmsignal“ heraus, dass Bienen und andere Nutzinsekten durch die Wirkstoffe existenziell bedroht sind. Mit Blick auf die HFFA-Studie dürfe sich Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner nicht von „bezahlten Auftragsstudien“ beeinflussen lassen und ein Anwendungsmoratorium in der EU durchsetzen.

Lesestoff:

Die Studie finden Sie unter www.hffa.info

Clothianidin: Mehr als nur Abrieb

Forschungsbedarf Neonicotinoide

EFSA-Bewertung Neonicotinoide: www.efsa.europa.eu

Roland Krieg

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