Neonicotinoide trudeln auf Verbot zu

Landwirtschaft

Neonicotinoid-Verbot kommt scheibchenweise

Auf EU-Ebene wird heftig um drei Pflanzenschutzmittel aus der Gruppe der Neonicotinoide gestritten. Es geht dabei um Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Im März hat der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit keine Einigung über ein Verbot erzielen können [1]. 13 Mitgliedsstaaten befürworteten eine Einschränkung der Anwendung, neun stimmten dagegen und fünf, darunter Deutschland, enthielten sich.
Da das keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Vorschlag war, musste diesen Montag der Vermittlungsausschuss ran. Für ein Verbot stimmten jetzt 15 Länder, darunter Deutschland, acht votierten dagegen und vier enthielten sich. Auch diese Stimmverschiebung reicht nicht für eine qualifizierte Mehrheit. Damit ist am Montag kein Verbot ausgesprochen worden – aber die EU-Kommission wird nun über die Anwendung der Neonicotinoide entscheiden. Und das kommt einem Totalverbot gleich. Die Kommission hat angekündigt, nur geringe Änderungen vornehmen zu wollen und am 01. Dezember den Vorschlag in Kraft zu setzen. Die Verschiebung auf den Dezember wird mit einem sonst stattfindenden Einbruch des Rapsanbaus begründet. Der muss für die Saison 2013 erst noch blühen.

Stimmungswandel

Im März sah sich Deutschland „aufgrund der fehlenden Klarstellung, dass Zulassungen für Saatgutbehandlungsmittel national nicht erteilt werden müssen, wenn das hohe Schutzniveau für Mensch, Tier und Umwelt nicht gewährleistet ist, zu einer Enthaltung gezwungen“, teilte das Landwirtschaftsministerium mit. Für Wintergetreide hat Deutschland die Wirkstoffe nicht zugelassen, weil Staubabdrift auf Blühpflanzen gelangen und Bienen gefährden kann. Die EU habe für das Ministerium klargestellt, dass diese nationale Regelung bleiben darf. Daher wurde am Montag für ein Verbot gestimmt. Ministerin Ilse Aigner hat angekündigt, die Übergangszeit für mehr Forschung im Bereich der Alternativen nutzen zu wollen.

Der Vorschlag

Die drei Wirkstoffe werden für die Anwendung zur Saatgutbehandlung, zur Bodenanwendung als Granulat und bei der Blattbehandlung für Pflanze und Getreide, die für Bienen attraktiv sind, eingeschränkt. Ausnahmen gelten für Feldkulturen, die zwar für Bienen attraktiv, aber im Gewächshaus angebaut werden. Im Freien dürfen sie auch angewandt werden, aber nur nach der Blüte. Die anderen zugelassenen Wirkstoffe dürfen nur noch von professionellen Anwendern genutzt werden. In spätestens zwei Jahren soll das Verbot nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen überprüft werden. De Facto gilt das Verbot für die Kulturen Mais, Sonnenblumen, Raps und Baumwolle.

Reaktionen

Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus begrüßt die Entscheidung: „Es kann nicht sein, dass die Bienen unter dem falschen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln leiden.“ Aber er betonte auch, dass gerade beim Winterraps der Einsatz der entsprechenden Beizmittel bei Einhaltung der entsprechenden fachlichen Vorgaben kein Problem darstelle. Daher sei die angekündigte Überprüfung in zwei Jahren wichtig.

Ulrike Höfken, Landwirtschaftsministerin in Rheinland-Pfalz freut sich neben der Entscheidung selbst auch über den Stimmungswandel im Bundesministerium: „Erfreulich ist, dass die Bundesregierung sich aufgrund von öffentlichem Druck auf den letzten Metern doch noch dazu durchgerungen hat, für das von der EU-Kommission vorgeschlagene Moratorium zu stimmen“. Die Bundesregierung stehe nun in der Pflicht, ein Konzept für einen schrittweisen Ausstieg aus diesen Wirkstoffen zu formulieren. Da selbst die Europäische Behörde zur Lebensmittelsicherheit EFSA die drei Wirkstoffe als risikoreich eingestuft hat, habe Rheinland-Pfalz bereits im Februar die Ausnahmegenehmigung für das Mittel „Santana“ mit dem Wirkstoff Clothianidin entzogen. Die landwirtschaftliche Beratung ist seitdem unterwegs, Alternativen bei der Kulturwahl, der Fruchtfolge und der Pflanzenschutzmittel zu verbreiten.

Schon vor der Entscheidung hatte Walter Heidl, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, vor einem Verbot gewarnt. „Insektizide Beizen und Bodengranulate sind effektiver Pflanzenschutz“, sagte Heidl im Vorfeld. Er fürchtete, dass erfolgreiche Minimierungsstrategien aus Großbritannien und Deutschland nicht zur Abwägung herangezogen werden. Die Entscheidung könne den Anbau von Raps und Mais in Deutschland gefährden: Schädlinge wie die kleine Kohlfliege sind zum Beispiel ohne neonicotinoide Saatgutbeizung nicht mehr bekämpfbar. Gegen den Rapserdfloh sind zwar Behandlungen mit Pyrethroiden zugelassen, werden jedoch wegen fortschreitender Resistenz gegen diese Wirkstoffklasse zunehmend unwirksam. Zusätzliche Flächenspritzungen als zwangsläufige Folge eines Verbotes der neonicotinoiden Rapsbeizung würden die Resistenzentwicklung beschleunigen. Beide Schädlinge können bei ungeschützten Rapsbeständen zu massiven Schäden und zum völligen Pflanzenverlust führen. Erhebliche Ertragseinbußen bis hin zu Umbrüchen wären die Folge. Mittelfristig würde so der Rapsanbau deutlich zurückgehen und somit eine wichtige Futterquelle für die heimischen Bienen fehlen. Durch ein Verbot würden z. B. nach der Aussaat des Rapses Flächenspritzungen im Herbst notwendig, um den Bestand schützen zu können. „Das ist keine Alternative zur insektiziden Beizung“, so Heidl.

Kritik am deutschen Abstimmungsverhalten gibt es von der deutschen Pflanzenschutz-Industrie. „Hier ist kurzfristiges politisches Kalkül über die Interessen der deutschen Landwirte gestellt worden. So zerstört man das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Zulassungsregeln“, kommentiert Hauptgeschäftsführer Volker Koch-Achelpöhler vom Industrieverband Agrar (IVA). Vor allem der Anbau von Winterraps stünde in Deutschland auf der Kippe. Koch-Achelpöhler verweist auf die strengen Zulassungsverfahren, die ein Mittel im Vorfeld durchlaufen muss.

Die Syngenta Agro GmbH verweist auf die immer noch fehlende qualifizierte Mehrheit. Das sei ein Beleg für die Uneinigkeit der EU-Mitgliedsländer über den Umgang mit Neonicotinoiden. John Atkin, Chief Operating Officer von Syngenta, sagte dazu: „Der EU-Kommission ist es erneut nicht gelungen, die notwendige Unterstützung der Mitgliedstaaten für ein Verbot dieser wichtigen Technologie zu gewinnen. Der Vorschlag basiert auf einer mangelhaften wissenschaftlichen Grundlage und lässt zahlreiche empirische Nachweise, dass diese Pflanzenschutzmittel die Bienengesundheit nicht gefährden, unberücksichtigt. Anstelle eines Verbots dieser Produkte sollte die EU-Kommission die Gelegenheit nutzen, gegen die wahren Ursachen der schwindenden Bienengesundheit vorzugehen: Viren, Krankheiten sowie die Zerstörung von Lebensräumen und der Nahrungsgrundlagen." Für Atkin sind die Untersuchungen der EFSA „übereilt und hochgradig theoretisch“. Vor allem sei die angenommene Wirkmenge zu hoch. Solche Dosen gebe es nicht auf dem Feld. Atkin erinnert daran, dass die Bienen nicht nur durch Pflanzenschutzmittel gefährdet sind. Viren, Krankheiten sowie die Zerstörung von Lebensräumen und fehlende Nahrungsgrundlagen seine die wahren Ursachen für das Bienensterben.

Lesestoff:

[1] SCoFCAH ohne qualifizierte Mehrheit

[2] Studie zum sozio-ökonomischen Nutzen vonNeonicotinoiden

Roland Krieg

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