Neue Perspektiven für Roggen
Landwirtschaft
Roggenforum auf den DLG-Feldtagen
>Roggen (Secale cereale) gilt in der Agrarwissenschaft als sekundäre Kulturpflanze, da sie zunächst in Weizen- und Gerstenfeldern als Ungras auftrat. Bald jedoch wurden einige Vorteile des Roggen entdeckt, was ihm eine relative Vorzüglichkeit gab: Roggen ist trockenresistenter, kältetauglicher und kann damit auch in höheren Lagen angebaut werden. Als Brotgetreide hat sich dieses gesunde Korn jedoch nie neben dem ertragsreicheren Weizen etablieren können. Als Futtergetreide ist Roggen allerdings ein Renner. Die letzte dramatische Entwicklung im Roggenanbau ist der Wegfall der Roggenintervention, so dass sich das Getreide in diesem Erntejahr erstmals auf einem freien Markt behaupten muss. Da jedoch Roggen andererseits für den Anbau auf sandigen Böden Nordostdeutschlands eine hervorragende Pflanze ist, machen sich Experten auf den DLG-Feldtagen Gedanken über die Zukunft.Roggen: Ein regionaler Markt
Thomas Blumtritt vom www.roggenforum.de zeigte, dass 90 Prozent der Roggenernte nur von fünf Ländern erzeugt werden. 85 Prozent des europäischen Roggen kommen aus Polen und Deutschland: Roggen hat nur einen regionalen Markt. In Polen ist durch brach fallende Flächen die Roggenproduktion von rund fünf auf etwa drei Millionen Tonnen gesunken. Gleichzeitig muss jedoch ständig Roggen importiert werden. Das liegt daran, dass der einheimische direkt in die Futtertröge gelangt und somit gar nicht auf dem Markt auftaucht. Als neue Vermarktungsmöglichkeit gibt es erste Nachfragen für die Ethanolproduktion.
In der Bundesrepublik bezogen die Mühlen im letzten Jahr mehr Roggen als produziert wurde. Gedeckt wurde der Bedarf nur aus den verbliebenen Interventionsbeständen. Den Erzeugerpreisen tat das jedoch gut - sie lagen etwa ein Drittel höher als im Vorjahr. 15.000 Tonnen Roggen gingen in die Ethanolerzeugung, 900.000 t in die Bäckereien und 2,6 Mio. t gelangten in die Futtertröge. Absatzreserven liegen neben dem Futteranbau in der Ethanolgewinnung. Thomas Blumtritt hält eine Ausdehnung auf 600.000 t für möglich, allerdings wird das möglicherweise die Kapazitätsgrenze bleiben. Um das Ziel zu erreichen müsse die Roggenanbaufläche um 10 Prozent ausgeweitet werden.
Vorteil Trockenstandort
Sven Böse, Geschäftsführer des Roggenforums e.V. beschreibt dann auch genau, wo der Anbau intensiviert werden soll. 600.000 Hektar sind es bundesweit und die liegen vor allem in Niedersachsen und Nordostdeutschland. Klimatische Bedingungen, wie beispielsweise die Trockenheit im letzten Jahr, fördern den Anbau gerade auf den Standorten, die niedrigere Ackerzahlen (AZ) aufweisen. In den ostdeutschen Marktfruchtregionen mit AZ zwischen 23 und 27 (bester Wert ist 100 auf den Lößstandorten Magdeburger Börde und Köln-Bonner Bucht) spielt der Roggen seine Ertragsstärke gegenüber Triticale und Wintergerste aus. Drei Bioethanolanlagen, beispielsweise in Schwedt, bieten neue Absatzchancen. Auf Böden mit AZ bis 33 ist Roggen nicht von Natur aus wettbewerbsfähiger. Niedrigere Stückkosten können hier jedoch Vorteile bringen, denn bei Roggen können Behandlungskosten eingespart werden. Er hat eine starke Konkurrenzkraft gegen Unkräuter. Auch dünn gesäte standfeste Sorten werden durch Wind und Regen kaum geknickt, so dass das bei Bauern gefürchtete Lagergetreide oft ausbleibt. Umgeknickte, übereinander lagernde Getreidehalme erschweren die Ernte. Die Kornausbildung dieses Getreide bleibt auch schwach.
Neuer Markt Bioethanol
Dr. Wilfried von Gagern vom Landesamt für Verbraucher und Landwirtschaft in Brandenburg referierte über Roggen als nachwachsenden Rohstoff. Drei Möglichkeiten skizzierte der Fachmann auf der Grundlage, dass von 10 ha Anbaufläche 500 dt Korn geerntet werden.
Bei der Verbrennung entspricht diese Erntemenge 170 MWh Heizenergie pro Jahr. Das sind umgerechnet 21.700 Litern Heizölmenge. Eine kWh Heizöl kostete im März 2004 3,8 Cent, die von Getreide kostet nur 2,2 Cent. Hohe Investitions- und Betriebskosten reduzieren jedoch die Einsparpotentiale. Die Verbrennung von Getreide ist dennoch die rentabelste Form der Energiegewinnung, wenn auch zur Zeit nicht als Regelbrennstoff zulässig.
Die Biogaserzeugung liefert von den gleichen Ausgangsbedingungen 50.000 kWh Elektroenergie und 65.000 kWh Wärmeenergie pro Jahr. Getreide wird jedoch als Koferment eingesetzt. Bei täglich 95 Kubikmeter Biogas aus Getreide kann 2.000 l Heizöl und 20.000 kWh Strom jährlich eingespart werden. Wirtschaftlich ist diese Variante, sobald die Wärmeenergie im eigenen Betrieb eingesetzt werden kann.
Aus 500 dt Roggen können als dritte Variante 18.000 Liter Bioethanol hergestellt werden. Allerdings ist die Herstellung eines Liters mit 45 Cent ca. 5 Cent teurer als herkömmliches Benzin. Der Preisvorteil von 20 ? 30 Cent pro Liter gewinnt der Autofahrer praktisch nur aus den Steuervorteilen. Dr. Gagern befürchtet jedoch, dass dieses Potenzial von den Produzenten und Tankstellenpächtern abgeschöpft wird. Komplett wird die Perspektive natürlich nur mit einem Blick auf die Bereitstellungskosten. Da liegt Getreide mit 2-3 Cent/kWh deutlich unter denen von Heizöl (3-6 Cent).
Allerdings gibt es auch noch eine politische Dimension. Bioethanol wird in die EU auch aus Brasilien eingeführt und nur mit einem Zollsatz von ca. 20 Cent auf das Herstellungsniveau des bundesdeutschen hochgeschraubt. Da die Welthandelsorganisation WTO darauf drängt Zölle und Subventionen abzubauen, ist dieser Schutz nicht auf ewig garantiert. Das ist jedoch nur, so Dr. Gagern, für die Ethanol-Anlagenbauern kritisch, weniger für die Roggenbauern. Der einzige politisch unabhängige Markt für Roggen ist der für Futtermittel. Und der wächst.
roRo